Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
1) Die Allotissements.

Die allotissements beruhen darauf, daß die französische Revolution
und speciell der berühmte Code rural (Loi de 28 Sept. 6 Oct. 1791
sur la police rurale)
zwar jedes Eigenthum frei machte, "libre comme
les personnes qui l'habitent";
allein es fiel ihm natürlich nicht ein,
den Gemeinden ihr Gemeindegut zu nehmen. Das Recht dieser Gemeinde-
güter hatte nun bisher unter dem alten Feudalrecht gestanden. Jetzt
war es eine staatsbürgerliche Gütergemeinschaft; und damit mußte es
sich fragen, ob das Recht derselben ein bloßes Privat- oder zugleich ein
öffentliches Recht sein solle.

Hier nun zuerst treten uns jene beiden oben erwähnten Faktoren
entgegen, und ergänzen das französische System des Gemeindegutes,
nach welchem das Eigenthum desselben der Gemeinde, die Benutzung
aber den Einzelnen übergeben wird. Und es ist die Stellung und
das Wesen der neuen staatsbürgerlichen Gemeinde, welche für Frankreich
und damit für Deutschland maßgebend wird.

Die Commune der Revolution ist nämlich keine Genossenschaft mit
den specifischen Unterschieden des Besitzenden in Voll- und Halbbauern,
Käthnern, Tagelöhnern, Handwerkern und so weiter, also kein kleiner
gesellschaftlich in sich organisirter Körper, sondern sie ist eine administrative
Einheit von lauter ganz gleichberechtigten Staatsbürgern, bei denen
Art und Maß des Besitzes durchaus für alle Rechtsverhältnisse gleich-
gültig sind. Die Gemeinde ist daher jetzt nur das unterste, selbständige,
aber als Einheit aufgefaßte Organ der Verwaltung. Daraus folgt
denn erstlich, daß sie selbst als diese Einheit, und nicht mehr ihre ein-
zelnen Mitglieder, persönliche Eigenthümerin des Gemeindegutes ist,
zweitens, daß sie mit der Verwaltung dieses Gemeindegutes unter den-
selben Grundsätzen steht, wie mit allen übrigen Zweigen ihrer Ver-
waltung. Das leitende Princip für diese Verwaltung ist nur die Selbst-
bestimmung unter der Oberaufsicht der höheren Behörde. Die Haupt-
äußerung dieser Oberaufsicht erscheint aber darin, daß jede auf die Dauer
berechnete Maßregel der Gemeindeverwaltung der ausdrücklichen Zu-
stimmung dieser Behörde bedarf. Natürlich gehört dann zu diesen, auf
die Dauer berechneten Gemeindebeschlüssen wesentlich auch jede Verfü-
gung über das Gemeindegut. Das Gemeindegut selbst aber ist persön-
liches Eigenthum der juristischen Persönlichkeit der Gemeinde selbst;
damit ist die alte Idee einer Gemeinschaft der Bauern als Eigenthümer
an diesem Gute im Princip gebrochen; das Gemeindevermögen aber
wird jetzt als die wirthschaftliche Basis der Leistungen dieser Gemeinde
als Ganzes betrachtet, und so ergeben sich die beiden ersten Grundsätze

1) Die Allotissements.

Die allotissements beruhen darauf, daß die franzöſiſche Revolution
und ſpeciell der berühmte Code rural (Loi de 28 Sept. 6 Oct. 1791
sur la police rurale)
zwar jedes Eigenthum frei machte, „libre comme
les personnes qui l’habitent“;
allein es fiel ihm natürlich nicht ein,
den Gemeinden ihr Gemeindegut zu nehmen. Das Recht dieſer Gemeinde-
güter hatte nun bisher unter dem alten Feudalrecht geſtanden. Jetzt
war es eine ſtaatsbürgerliche Gütergemeinſchaft; und damit mußte es
ſich fragen, ob das Recht derſelben ein bloßes Privat- oder zugleich ein
öffentliches Recht ſein ſolle.

Hier nun zuerſt treten uns jene beiden oben erwähnten Faktoren
entgegen, und ergänzen das franzöſiſche Syſtem des Gemeindegutes,
nach welchem das Eigenthum deſſelben der Gemeinde, die Benutzung
aber den Einzelnen übergeben wird. Und es iſt die Stellung und
das Weſen der neuen ſtaatsbürgerlichen Gemeinde, welche für Frankreich
und damit für Deutſchland maßgebend wird.

Die Commune der Revolution iſt nämlich keine Genoſſenſchaft mit
den ſpecifiſchen Unterſchieden des Beſitzenden in Voll- und Halbbauern,
Käthnern, Tagelöhnern, Handwerkern und ſo weiter, alſo kein kleiner
geſellſchaftlich in ſich organiſirter Körper, ſondern ſie iſt eine adminiſtrative
Einheit von lauter ganz gleichberechtigten Staatsbürgern, bei denen
Art und Maß des Beſitzes durchaus für alle Rechtsverhältniſſe gleich-
gültig ſind. Die Gemeinde iſt daher jetzt nur das unterſte, ſelbſtändige,
aber als Einheit aufgefaßte Organ der Verwaltung. Daraus folgt
denn erſtlich, daß ſie ſelbſt als dieſe Einheit, und nicht mehr ihre ein-
zelnen Mitglieder, perſönliche Eigenthümerin des Gemeindegutes iſt,
zweitens, daß ſie mit der Verwaltung dieſes Gemeindegutes unter den-
ſelben Grundſätzen ſteht, wie mit allen übrigen Zweigen ihrer Ver-
waltung. Das leitende Princip für dieſe Verwaltung iſt nur die Selbſt-
beſtimmung unter der Oberaufſicht der höheren Behörde. Die Haupt-
äußerung dieſer Oberaufſicht erſcheint aber darin, daß jede auf die Dauer
berechnete Maßregel der Gemeindeverwaltung der ausdrücklichen Zu-
ſtimmung dieſer Behörde bedarf. Natürlich gehört dann zu dieſen, auf
die Dauer berechneten Gemeindebeſchlüſſen weſentlich auch jede Verfü-
gung über das Gemeindegut. Das Gemeindegut ſelbſt aber iſt perſön-
liches Eigenthum der juriſtiſchen Perſönlichkeit der Gemeinde ſelbſt;
damit iſt die alte Idee einer Gemeinſchaft der Bauern als Eigenthümer
an dieſem Gute im Princip gebrochen; das Gemeindevermögen aber
wird jetzt als die wirthſchaftliche Baſis der Leiſtungen dieſer Gemeinde
als Ganzes betrachtet, und ſo ergeben ſich die beiden erſten Grundſätze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0290" n="272"/>
                  <div n="7">
                    <head>1) <hi rendition="#g">Die <hi rendition="#aq">Allotissements.</hi></hi></head><lb/>
                    <p>Die <hi rendition="#aq">allotissements</hi> beruhen darauf, daß die franzö&#x017F;i&#x017F;che Revolution<lb/>
und &#x017F;peciell der berühmte <hi rendition="#aq">Code rural (Loi de 28 Sept. 6 Oct. 1791<lb/>
sur la police rurale)</hi> zwar jedes Eigenthum frei machte, <hi rendition="#aq">&#x201E;libre comme<lb/>
les personnes qui l&#x2019;habitent&#x201C;;</hi> allein es fiel ihm natürlich nicht ein,<lb/>
den Gemeinden ihr Gemeindegut zu nehmen. Das Recht die&#x017F;er Gemeinde-<lb/>
güter hatte nun bisher unter dem alten Feudalrecht ge&#x017F;tanden. Jetzt<lb/>
war es eine &#x017F;taatsbürgerliche Gütergemein&#x017F;chaft; und damit mußte es<lb/>
&#x017F;ich fragen, ob das Recht der&#x017F;elben ein bloßes Privat- oder zugleich ein<lb/>
öffentliches Recht &#x017F;ein &#x017F;olle.</p><lb/>
                    <p>Hier nun zuer&#x017F;t treten uns jene beiden oben erwähnten Faktoren<lb/>
entgegen, und ergänzen das franzö&#x017F;i&#x017F;che Sy&#x017F;tem des Gemeindegutes,<lb/>
nach welchem das Eigenthum de&#x017F;&#x017F;elben der <hi rendition="#g">Gemeinde</hi>, die Benutzung<lb/>
aber den <hi rendition="#g">Einzelnen</hi> übergeben wird. Und es i&#x017F;t die Stellung und<lb/>
das We&#x017F;en der neuen &#x017F;taatsbürgerlichen Gemeinde, welche für Frankreich<lb/>
und damit für Deut&#x017F;chland maßgebend wird.</p><lb/>
                    <p>Die Commune der Revolution i&#x017F;t nämlich keine Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft mit<lb/>
den &#x017F;pecifi&#x017F;chen Unter&#x017F;chieden des Be&#x017F;itzenden in Voll- und Halbbauern,<lb/>
Käthnern, Tagelöhnern, Handwerkern und &#x017F;o weiter, al&#x017F;o kein kleiner<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlich in &#x017F;ich organi&#x017F;irter Körper, &#x017F;ondern &#x017F;ie i&#x017F;t eine admini&#x017F;trative<lb/>
Einheit von lauter ganz gleichberechtigten Staatsbürgern, bei denen<lb/>
Art und Maß des Be&#x017F;itzes durchaus für alle Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e gleich-<lb/>
gültig &#x017F;ind. Die Gemeinde i&#x017F;t daher jetzt nur das unter&#x017F;te, &#x017F;elb&#x017F;tändige,<lb/>
aber als <hi rendition="#g">Einheit</hi> aufgefaßte Organ der Verwaltung. Daraus folgt<lb/>
denn er&#x017F;tlich, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t als die&#x017F;e Einheit, und nicht mehr ihre ein-<lb/>
zelnen Mitglieder, per&#x017F;önliche Eigenthümerin des Gemeindegutes i&#x017F;t,<lb/>
zweitens, daß &#x017F;ie mit der Verwaltung die&#x017F;es Gemeindegutes unter den-<lb/>
&#x017F;elben Grund&#x017F;ätzen &#x017F;teht, wie mit allen übrigen Zweigen ihrer Ver-<lb/>
waltung. Das leitende Princip für die&#x017F;e Verwaltung i&#x017F;t nur die Selb&#x017F;t-<lb/>
be&#x017F;timmung unter der Oberauf&#x017F;icht der höheren Behörde. Die Haupt-<lb/>
äußerung die&#x017F;er Oberauf&#x017F;icht er&#x017F;cheint aber darin, daß jede auf die Dauer<lb/>
berechnete Maßregel der Gemeindeverwaltung der ausdrücklichen Zu-<lb/>
&#x017F;timmung die&#x017F;er Behörde bedarf. Natürlich gehört dann zu die&#x017F;en, auf<lb/>
die Dauer berechneten Gemeindebe&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en we&#x017F;entlich auch jede Verfü-<lb/>
gung über das Gemeindegut. Das Gemeindegut &#x017F;elb&#x017F;t aber i&#x017F;t per&#x017F;ön-<lb/>
liches Eigenthum der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Per&#x017F;önlichkeit der Gemeinde &#x017F;elb&#x017F;t;<lb/>
damit i&#x017F;t die alte Idee einer Gemein&#x017F;chaft der Bauern als Eigenthümer<lb/>
an die&#x017F;em Gute im Princip gebrochen; das Gemeindevermögen aber<lb/>
wird jetzt als die wirth&#x017F;chaftliche Ba&#x017F;is der Lei&#x017F;tungen die&#x017F;er Gemeinde<lb/>
als Ganzes betrachtet, und &#x017F;o ergeben &#x017F;ich die beiden er&#x017F;ten Grund&#x017F;ätze<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0290] 1) Die Allotissements. Die allotissements beruhen darauf, daß die franzöſiſche Revolution und ſpeciell der berühmte Code rural (Loi de 28 Sept. 6 Oct. 1791 sur la police rurale) zwar jedes Eigenthum frei machte, „libre comme les personnes qui l’habitent“; allein es fiel ihm natürlich nicht ein, den Gemeinden ihr Gemeindegut zu nehmen. Das Recht dieſer Gemeinde- güter hatte nun bisher unter dem alten Feudalrecht geſtanden. Jetzt war es eine ſtaatsbürgerliche Gütergemeinſchaft; und damit mußte es ſich fragen, ob das Recht derſelben ein bloßes Privat- oder zugleich ein öffentliches Recht ſein ſolle. Hier nun zuerſt treten uns jene beiden oben erwähnten Faktoren entgegen, und ergänzen das franzöſiſche Syſtem des Gemeindegutes, nach welchem das Eigenthum deſſelben der Gemeinde, die Benutzung aber den Einzelnen übergeben wird. Und es iſt die Stellung und das Weſen der neuen ſtaatsbürgerlichen Gemeinde, welche für Frankreich und damit für Deutſchland maßgebend wird. Die Commune der Revolution iſt nämlich keine Genoſſenſchaft mit den ſpecifiſchen Unterſchieden des Beſitzenden in Voll- und Halbbauern, Käthnern, Tagelöhnern, Handwerkern und ſo weiter, alſo kein kleiner geſellſchaftlich in ſich organiſirter Körper, ſondern ſie iſt eine adminiſtrative Einheit von lauter ganz gleichberechtigten Staatsbürgern, bei denen Art und Maß des Beſitzes durchaus für alle Rechtsverhältniſſe gleich- gültig ſind. Die Gemeinde iſt daher jetzt nur das unterſte, ſelbſtändige, aber als Einheit aufgefaßte Organ der Verwaltung. Daraus folgt denn erſtlich, daß ſie ſelbſt als dieſe Einheit, und nicht mehr ihre ein- zelnen Mitglieder, perſönliche Eigenthümerin des Gemeindegutes iſt, zweitens, daß ſie mit der Verwaltung dieſes Gemeindegutes unter den- ſelben Grundſätzen ſteht, wie mit allen übrigen Zweigen ihrer Ver- waltung. Das leitende Princip für dieſe Verwaltung iſt nur die Selbſt- beſtimmung unter der Oberaufſicht der höheren Behörde. Die Haupt- äußerung dieſer Oberaufſicht erſcheint aber darin, daß jede auf die Dauer berechnete Maßregel der Gemeindeverwaltung der ausdrücklichen Zu- ſtimmung dieſer Behörde bedarf. Natürlich gehört dann zu dieſen, auf die Dauer berechneten Gemeindebeſchlüſſen weſentlich auch jede Verfü- gung über das Gemeindegut. Das Gemeindegut ſelbſt aber iſt perſön- liches Eigenthum der juriſtiſchen Perſönlichkeit der Gemeinde ſelbſt; damit iſt die alte Idee einer Gemeinſchaft der Bauern als Eigenthümer an dieſem Gute im Princip gebrochen; das Gemeindevermögen aber wird jetzt als die wirthſchaftliche Baſis der Leiſtungen dieſer Gemeinde als Ganzes betrachtet, und ſo ergeben ſich die beiden erſten Grundſätze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/290
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/290>, abgerufen am 09.11.2024.