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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Geschlechterordnung ist auch für die Dorfschaft bewältigt, und das
Princip des freien Einzeleigenthums an ihre Stelle getreten. Allein
auch dieser letzte negative Standpunkt ist bereits überwunden, und die
neue Gemeinschaft der Landgemeinde an die Stelle der alten Geschlechter-
gemeinschaft des Bauerndorfes getreten. Das Gemeingut ist künftig
ein Gemeindegut
und der Gemeindewald ein öffentlich rechtliches
Eigenthum, dessen Benützung der Gemeinde gehört. Der Abschluß
der alten Epoche wird zum Beginne einer neuen, und an die Stelle
der Auftheilung tritt für die Verwaltungslehre die Lehre vom Gemeinde-
leben und seiner Verwaltung.

Dieß nun sind die allgemeinen Gesichtspunkte für den Ursprung und
die Bedeutung des Gemeindetheilungswesens. Es ist durch den innigen
Anschluß desselben an die Geschichte und die gegebene Ordnung der
Gesellschaft leicht klar, daß die positive Gestalt dieser Bewegung in
den einzelnen Ländern Europas eine sehr verschiedene gewesen ist und
noch ist. Es ist gänzlich einseitig und zum Theil geradezu falsch, mit
den Nationalökonomen auch der neuesten Zeit, wie Rau (Volkswirth-
schaftspflege §. 85 ff.), Roscher (System §. 79 ff.), oder mit der Polizei-
wissenschaft (Mohl, II. §. 113 ff.) einerseits bloß bei dem Gesichts-
punkte der Theilung, ihres Nutzens und ihrer Grundsätze stehen zu
bleiben, anderseits nur Deutschland im Auge zu behalten und höchstens
mit Roscher die tiefliegende Besonderheit Englands und Frankreichs
durch einige Notizen zu erledigen. Es ist keinem Zweifel unterworfen,
daß der alte rein nationalökonomische, ja sogar beschränkt landwirth-
schaftliche Standpunkt des vorigen Jahrhunderts ein in unserer Zeit
durchaus überwundener ist, und daß man die Gemeinheitstheilung in
der Gegenwart eben so wenig als ein actuelles Rechtsverhältniß oder
eine dauernde Frage der Volkswirthschaft fortführen kann, wie die
Entlastungslehre. Beide gehören, wie wir gezeigt, der Geschichte der
Gesellschaft; und wieder zeigt es sich hier, was wir bei jeder größeren
Thatsache zu constatiren nicht müde werden dürfen, daß das Ver-
waltungsrecht der großen Völker nur auf Grundlage ihrer gesellschaft-
lichen Verhältnisse einerseits verglichen, andererseits in seiner Indivi-
dualität recht erkannt werden könne.

Wir werden daher auch hier versuchen, England, Frankreich und
Deutschland als die drei großen Repräsentanten der gesellschaftlichen
Bewegung Europas für das Gemeinheitstheilungswesen zu charakterisiren,
und die Geschichte desselben mit der allgemeinen inneren Geschichte dieser
drei Völker in Verbindung zu bringen.


Geſchlechterordnung iſt auch für die Dorfſchaft bewältigt, und das
Princip des freien Einzeleigenthums an ihre Stelle getreten. Allein
auch dieſer letzte negative Standpunkt iſt bereits überwunden, und die
neue Gemeinſchaft der Landgemeinde an die Stelle der alten Geſchlechter-
gemeinſchaft des Bauerndorfes getreten. Das Gemeingut iſt künftig
ein Gemeindegut
und der Gemeindewald ein öffentlich rechtliches
Eigenthum, deſſen Benützung der Gemeinde gehört. Der Abſchluß
der alten Epoche wird zum Beginne einer neuen, und an die Stelle
der Auftheilung tritt für die Verwaltungslehre die Lehre vom Gemeinde-
leben und ſeiner Verwaltung.

Dieß nun ſind die allgemeinen Geſichtspunkte für den Urſprung und
die Bedeutung des Gemeindetheilungsweſens. Es iſt durch den innigen
Anſchluß deſſelben an die Geſchichte und die gegebene Ordnung der
Geſellſchaft leicht klar, daß die poſitive Geſtalt dieſer Bewegung in
den einzelnen Ländern Europas eine ſehr verſchiedene geweſen iſt und
noch iſt. Es iſt gänzlich einſeitig und zum Theil geradezu falſch, mit
den Nationalökonomen auch der neueſten Zeit, wie Rau (Volkswirth-
ſchaftspflege §. 85 ff.), Roſcher (Syſtem §. 79 ff.), oder mit der Polizei-
wiſſenſchaft (Mohl, II. §. 113 ff.) einerſeits bloß bei dem Geſichts-
punkte der Theilung, ihres Nutzens und ihrer Grundſätze ſtehen zu
bleiben, anderſeits nur Deutſchland im Auge zu behalten und höchſtens
mit Roſcher die tiefliegende Beſonderheit Englands und Frankreichs
durch einige Notizen zu erledigen. Es iſt keinem Zweifel unterworfen,
daß der alte rein nationalökonomiſche, ja ſogar beſchränkt landwirth-
ſchaftliche Standpunkt des vorigen Jahrhunderts ein in unſerer Zeit
durchaus überwundener iſt, und daß man die Gemeinheitstheilung in
der Gegenwart eben ſo wenig als ein actuelles Rechtsverhältniß oder
eine dauernde Frage der Volkswirthſchaft fortführen kann, wie die
Entlaſtungslehre. Beide gehören, wie wir gezeigt, der Geſchichte der
Geſellſchaft; und wieder zeigt es ſich hier, was wir bei jeder größeren
Thatſache zu conſtatiren nicht müde werden dürfen, daß das Ver-
waltungsrecht der großen Völker nur auf Grundlage ihrer geſellſchaft-
lichen Verhältniſſe einerſeits verglichen, andererſeits in ſeiner Indivi-
dualität recht erkannt werden könne.

Wir werden daher auch hier verſuchen, England, Frankreich und
Deutſchland als die drei großen Repräſentanten der geſellſchaftlichen
Bewegung Europas für das Gemeinheitstheilungsweſen zu charakteriſiren,
und die Geſchichte deſſelben mit der allgemeinen inneren Geſchichte dieſer
drei Völker in Verbindung zu bringen.


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[264/0282] Geſchlechterordnung iſt auch für die Dorfſchaft bewältigt, und das Princip des freien Einzeleigenthums an ihre Stelle getreten. Allein auch dieſer letzte negative Standpunkt iſt bereits überwunden, und die neue Gemeinſchaft der Landgemeinde an die Stelle der alten Geſchlechter- gemeinſchaft des Bauerndorfes getreten. Das Gemeingut iſt künftig ein Gemeindegut und der Gemeindewald ein öffentlich rechtliches Eigenthum, deſſen Benützung der Gemeinde gehört. Der Abſchluß der alten Epoche wird zum Beginne einer neuen, und an die Stelle der Auftheilung tritt für die Verwaltungslehre die Lehre vom Gemeinde- leben und ſeiner Verwaltung. Dieß nun ſind die allgemeinen Geſichtspunkte für den Urſprung und die Bedeutung des Gemeindetheilungsweſens. Es iſt durch den innigen Anſchluß deſſelben an die Geſchichte und die gegebene Ordnung der Geſellſchaft leicht klar, daß die poſitive Geſtalt dieſer Bewegung in den einzelnen Ländern Europas eine ſehr verſchiedene geweſen iſt und noch iſt. Es iſt gänzlich einſeitig und zum Theil geradezu falſch, mit den Nationalökonomen auch der neueſten Zeit, wie Rau (Volkswirth- ſchaftspflege §. 85 ff.), Roſcher (Syſtem §. 79 ff.), oder mit der Polizei- wiſſenſchaft (Mohl, II. §. 113 ff.) einerſeits bloß bei dem Geſichts- punkte der Theilung, ihres Nutzens und ihrer Grundſätze ſtehen zu bleiben, anderſeits nur Deutſchland im Auge zu behalten und höchſtens mit Roſcher die tiefliegende Beſonderheit Englands und Frankreichs durch einige Notizen zu erledigen. Es iſt keinem Zweifel unterworfen, daß der alte rein nationalökonomiſche, ja ſogar beſchränkt landwirth- ſchaftliche Standpunkt des vorigen Jahrhunderts ein in unſerer Zeit durchaus überwundener iſt, und daß man die Gemeinheitstheilung in der Gegenwart eben ſo wenig als ein actuelles Rechtsverhältniß oder eine dauernde Frage der Volkswirthſchaft fortführen kann, wie die Entlaſtungslehre. Beide gehören, wie wir gezeigt, der Geſchichte der Geſellſchaft; und wieder zeigt es ſich hier, was wir bei jeder größeren Thatſache zu conſtatiren nicht müde werden dürfen, daß das Ver- waltungsrecht der großen Völker nur auf Grundlage ihrer geſellſchaft- lichen Verhältniſſe einerſeits verglichen, andererſeits in ſeiner Indivi- dualität recht erkannt werden könne. Wir werden daher auch hier verſuchen, England, Frankreich und Deutſchland als die drei großen Repräſentanten der geſellſchaftlichen Bewegung Europas für das Gemeinheitstheilungsweſen zu charakteriſiren, und die Geſchichte deſſelben mit der allgemeinen inneren Geſchichte dieſer drei Völker in Verbindung zu bringen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/282>, abgerufen am 22.11.2024.