der wirklich geschehenen Auftheilung, nicht bloß aus dem vorigen, son- dern auch aus dem gegenwärtigen Jahrhundert; aber die letzten Maß- regeln zeigen, daß die wirklich aufgetheilten Gemeinden fast allenthalben in der Minderzahl gewesen sein müssen. Das 19. Jahrhundert tritt daher noch mit einer sehr bedeutenden Masse ungetheilter Güter auf; vielfach war daran auch die Schwierigkeit Schuld, sich mit den Herren in ihren Antheilen zurecht zu finden; endlich traten überhaupt die Ent- lastungen in den Vordergrund; und so blieb für die neue Zeit und ihren Standpunkt noch genug übrig, um der zweiten Epoche eine beträchtliche Substanz für die Anwendung ihres neuen Princips darzubieten.
In der That nämlich hatte schon das 18. Jahrhundert in der wirklich geschehenen Auftheilung einen juristischen Punkt in den Vorder- grund gedrängt, der eigentlich schon damals auf weiter gehende Er- wägungen hätte hinleiten müssen. Nach welchem Maßstab soll denn eigentlich getheilt werden? Sollen nur die Besitzenden an dem Besitze ein Recht haben? Mit welchem Grunde will man die Besitzlosen aus- schließen, da der Gemeindegrund denn doch der Dorfschaft im Ganzen -- der alten Geschlechtergenossenschaft als solcher -- und nicht gerade den Ganz- und Halbhufnern gehört? Ist es vernünftig, den Gemeinde- grund nach dem vorhandenen Viehbestande zu theilen, der freilich das Maß der Benutzung, aber doch nicht das Maß des Rechts abgibt? Ist es vernünftig, ihn nach dem möglichen Bestande zu vertheilen, der doch beständig wechseln muß? Ist es richtig, eine Theilung eintreten zu lassen, die dem Bauern Besitzungen gibt, welche durch ihre Kleinheit oder ihre Entfernung werthloser für sie werden, als das Recht der Gemeindeweide es selbst war? Und ist es denn endlich richtig, die ganze Gemeinde geradezu vermögenslos, und damit die Aufbringung der künftigen Ge- meindelasten von der Zahlungsfähigkeit der einzelnen Glieder abhängig zu machen? Und wenn man die Theilung durchführt, was entsteht? Man erzeugt aus der Gemeinschaft des Dorfes und allen Momenten, die sich an dieselbe knüpfen, eine Reihe von Einzelwirthschaften, denen man das Interesse an dem Dorfe selbst genommen hat, ohne ihnen etwas anderes dafür zu geben. Die Gemeindetheilung wird aller- dings die Basis der individuellen Selbständigkeit, aber auch die der Atomisirung, der Scheidung des Zusammengehörigen, der Auflösung einer vielleicht falsch verwalteten, gewiß aber in vieler Beziehung heil- samen Gemeinschaft. Ist das unbedingt richtig, und unbedingt ein Ersatz für das frühere Gesammtgut?
An diese Fragen knüpft sich nun das erste Moment, das die Gesetz- gebung unseres Jahrhunderts gegenüber dem Recht des vergangenen charakterisirt. Das Princip der unbedingten Verpflichtung zur Auf-
der wirklich geſchehenen Auftheilung, nicht bloß aus dem vorigen, ſon- dern auch aus dem gegenwärtigen Jahrhundert; aber die letzten Maß- regeln zeigen, daß die wirklich aufgetheilten Gemeinden faſt allenthalben in der Minderzahl geweſen ſein müſſen. Das 19. Jahrhundert tritt daher noch mit einer ſehr bedeutenden Maſſe ungetheilter Güter auf; vielfach war daran auch die Schwierigkeit Schuld, ſich mit den Herren in ihren Antheilen zurecht zu finden; endlich traten überhaupt die Ent- laſtungen in den Vordergrund; und ſo blieb für die neue Zeit und ihren Standpunkt noch genug übrig, um der zweiten Epoche eine beträchtliche Subſtanz für die Anwendung ihres neuen Princips darzubieten.
In der That nämlich hatte ſchon das 18. Jahrhundert in der wirklich geſchehenen Auftheilung einen juriſtiſchen Punkt in den Vorder- grund gedrängt, der eigentlich ſchon damals auf weiter gehende Er- wägungen hätte hinleiten müſſen. Nach welchem Maßſtab ſoll denn eigentlich getheilt werden? Sollen nur die Beſitzenden an dem Beſitze ein Recht haben? Mit welchem Grunde will man die Beſitzloſen aus- ſchließen, da der Gemeindegrund denn doch der Dorfſchaft im Ganzen — der alten Geſchlechtergenoſſenſchaft als ſolcher — und nicht gerade den Ganz- und Halbhufnern gehört? Iſt es vernünftig, den Gemeinde- grund nach dem vorhandenen Viehbeſtande zu theilen, der freilich das Maß der Benutzung, aber doch nicht das Maß des Rechts abgibt? Iſt es vernünftig, ihn nach dem möglichen Beſtande zu vertheilen, der doch beſtändig wechſeln muß? Iſt es richtig, eine Theilung eintreten zu laſſen, die dem Bauern Beſitzungen gibt, welche durch ihre Kleinheit oder ihre Entfernung werthloſer für ſie werden, als das Recht der Gemeindeweide es ſelbſt war? Und iſt es denn endlich richtig, die ganze Gemeinde geradezu vermögenslos, und damit die Aufbringung der künftigen Ge- meindelaſten von der Zahlungsfähigkeit der einzelnen Glieder abhängig zu machen? Und wenn man die Theilung durchführt, was entſteht? Man erzeugt aus der Gemeinſchaft des Dorfes und allen Momenten, die ſich an dieſelbe knüpfen, eine Reihe von Einzelwirthſchaften, denen man das Intereſſe an dem Dorfe ſelbſt genommen hat, ohne ihnen etwas anderes dafür zu geben. Die Gemeindetheilung wird aller- dings die Baſis der individuellen Selbſtändigkeit, aber auch die der Atomiſirung, der Scheidung des Zuſammengehörigen, der Auflöſung einer vielleicht falſch verwalteten, gewiß aber in vieler Beziehung heil- ſamen Gemeinſchaft. Iſt das unbedingt richtig, und unbedingt ein Erſatz für das frühere Geſammtgut?
An dieſe Fragen knüpft ſich nun das erſte Moment, das die Geſetz- gebung unſeres Jahrhunderts gegenüber dem Recht des vergangenen charakteriſirt. Das Princip der unbedingten Verpflichtung zur Auf-
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der wirklich geſchehenen Auftheilung, nicht bloß aus dem vorigen, ſon-
dern auch aus dem gegenwärtigen Jahrhundert; aber die letzten Maß-
regeln zeigen, daß die wirklich aufgetheilten Gemeinden faſt allenthalben
in der Minderzahl geweſen ſein müſſen. Das 19. Jahrhundert tritt
daher noch mit einer ſehr bedeutenden Maſſe ungetheilter Güter auf;
vielfach war daran auch die Schwierigkeit Schuld, ſich mit den Herren
in ihren Antheilen zurecht zu finden; endlich traten überhaupt die Ent-
laſtungen in den Vordergrund; und ſo blieb für die neue Zeit und ihren
Standpunkt noch genug übrig, um der zweiten Epoche eine beträchtliche
Subſtanz für die Anwendung ihres neuen Princips darzubieten.
In der That nämlich hatte ſchon das 18. Jahrhundert in der
wirklich geſchehenen Auftheilung einen juriſtiſchen Punkt in den Vorder-
grund gedrängt, der eigentlich ſchon damals auf weiter gehende Er-
wägungen hätte hinleiten müſſen. Nach welchem Maßſtab ſoll denn
eigentlich getheilt werden? Sollen nur die Beſitzenden an dem Beſitze
ein Recht haben? Mit welchem Grunde will man die Beſitzloſen aus-
ſchließen, da der Gemeindegrund denn doch der Dorfſchaft im Ganzen
— der alten Geſchlechtergenoſſenſchaft als ſolcher — und nicht gerade
den Ganz- und Halbhufnern gehört? Iſt es vernünftig, den Gemeinde-
grund nach dem vorhandenen Viehbeſtande zu theilen, der freilich das
Maß der Benutzung, aber doch nicht das Maß des Rechts abgibt? Iſt
es vernünftig, ihn nach dem möglichen Beſtande zu vertheilen, der doch
beſtändig wechſeln muß? Iſt es richtig, eine Theilung eintreten zu laſſen,
die dem Bauern Beſitzungen gibt, welche durch ihre Kleinheit oder ihre
Entfernung werthloſer für ſie werden, als das Recht der Gemeindeweide
es ſelbſt war? Und iſt es denn endlich richtig, die ganze Gemeinde
geradezu vermögenslos, und damit die Aufbringung der künftigen Ge-
meindelaſten von der Zahlungsfähigkeit der einzelnen Glieder abhängig
zu machen? Und wenn man die Theilung durchführt, was entſteht?
Man erzeugt aus der Gemeinſchaft des Dorfes und allen Momenten,
die ſich an dieſelbe knüpfen, eine Reihe von Einzelwirthſchaften, denen
man das Intereſſe an dem Dorfe ſelbſt genommen hat, ohne ihnen
etwas anderes dafür zu geben. Die Gemeindetheilung wird aller-
dings die Baſis der individuellen Selbſtändigkeit, aber auch die der
Atomiſirung, der Scheidung des Zuſammengehörigen, der Auflöſung
einer vielleicht falſch verwalteten, gewiß aber in vieler Beziehung heil-
ſamen Gemeinſchaft. Iſt das unbedingt richtig, und unbedingt ein
Erſatz für das frühere Geſammtgut?
An dieſe Fragen knüpft ſich nun das erſte Moment, das die Geſetz-
gebung unſeres Jahrhunderts gegenüber dem Recht des vergangenen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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