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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Die volkswirthschaftliche Epoche der Gemeinheitstheilung beruht
zunächst auf dem Zustand der Landwirthschaft, wie sie wesentlich durch
die Natur der Gemeindeweiden bedingt ward, wobei man die Wald-
verhältnisse fast gänzlich zur Seite liegen ließ. Diese landwirthschaft-
liche Bedeutung der Gemeindeweiden ist namentlich in Deutschland so
oft und so gründlich behandelt, daß die Verwaltungslehre bei der
Charakterisirung ihrer beiden Hauptmomente stehen bleiben darf. Zu-
erst nämlich erzeugen sie ein weites, zum Theil unschätzbares Gebiet
an Ackerland, das aber vermöge seiner Gemeinschaft niemals ordentlich
bearbeitet ward, und daher fast ganz seine Produktivität verlor. "Ge-
sammtgut, verdammt Gut." Eine Entwicklung des Volksreichthums
ist daher unter dem einfachen Fortbestehen der Gesammtweide so gut
als unmöglich. Zweitens aber haben diese Gesammtweiden einen eben
so entscheidenden Einfluß auf die Einzelwirthschaft der Bauerngüter.
Denn sie sind es wesentlich, auf denen die Dreifelderwirthschaft beruht,
ohne daß doch jemals bei ihnen eine tüchtige und nahrhafte Viehweide
möglich wäre.

So wie daher, und zwar namentlich durch den direkten und in-
direkten Einfluß der Physiokraten, die Erkenntniß allgemein wird, daß
die Landwirthschaft die Grundlage des Volkswohlstandes ist, so schließt
sich an diese Ueberzeugung dasjenige, was wir die Lehre von der ratio-
nellen Landwirthschaft nennen. Die rationelle Landwirthschaft beruht
nun in allen ihren Punkten auf zwei leitenden Principien. Zuerst
darauf, daß jede vorhandene Naturkraft vollständig ausgebeutet werden
soll; dann darauf, daß dies nur durch Verwendung eines bestimmten
Kapitals auf den Grund und Boden geschehen kann. Die erste dieser
Forderungen kann nun unter dem Bestande der alten Gemeinweiden
nicht einmal für die einzelnen Mitbesitzer, geschweige denn für die Ge-
meinweide selbst erfüllt werden; die zweite ist bei diesem Bestande ju-
ristisch unmöglich. Mit dem Entstehen der rationellen Landwirthschaft,
dieser großen europäischen, praktischen Consequenz des physiokratischen
Systems muß daher ein Kampf gegen die Gemeinweide beginnen. Wir
verfolgen hier diesen Kampf nicht auf sein landwirthschaftliches Gebiet;
wohl aber ist seine öffentlich-rechtliche Seite von entscheidender Be-
deutung.

In der That haben nämlich alle jene Folgen der bestehenden Ge-
meinweide Einen gemeinsamen tiefen Grund, den sich die Landwirthe,
Thaer an der Spitze, so wenig klar formulirten, wie die späteren
Nationalökonomen. Die erste und unbedingte Voraussetzung alles wirth-
schaftlichen Wohlergehens, also auch desjenigen der Landwirthe und
Bauern, ist die Individualität des wirthschaftlichen Lebens. Der

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 17

Die volkswirthſchaftliche Epoche der Gemeinheitstheilung beruht
zunächſt auf dem Zuſtand der Landwirthſchaft, wie ſie weſentlich durch
die Natur der Gemeindeweiden bedingt ward, wobei man die Wald-
verhältniſſe faſt gänzlich zur Seite liegen ließ. Dieſe landwirthſchaft-
liche Bedeutung der Gemeindeweiden iſt namentlich in Deutſchland ſo
oft und ſo gründlich behandelt, daß die Verwaltungslehre bei der
Charakteriſirung ihrer beiden Hauptmomente ſtehen bleiben darf. Zu-
erſt nämlich erzeugen ſie ein weites, zum Theil unſchätzbares Gebiet
an Ackerland, das aber vermöge ſeiner Gemeinſchaft niemals ordentlich
bearbeitet ward, und daher faſt ganz ſeine Produktivität verlor. „Ge-
ſammtgut, verdammt Gut.“ Eine Entwicklung des Volksreichthums
iſt daher unter dem einfachen Fortbeſtehen der Geſammtweide ſo gut
als unmöglich. Zweitens aber haben dieſe Geſammtweiden einen eben
ſo entſcheidenden Einfluß auf die Einzelwirthſchaft der Bauerngüter.
Denn ſie ſind es weſentlich, auf denen die Dreifelderwirthſchaft beruht,
ohne daß doch jemals bei ihnen eine tüchtige und nahrhafte Viehweide
möglich wäre.

So wie daher, und zwar namentlich durch den direkten und in-
direkten Einfluß der Phyſiokraten, die Erkenntniß allgemein wird, daß
die Landwirthſchaft die Grundlage des Volkswohlſtandes iſt, ſo ſchließt
ſich an dieſe Ueberzeugung dasjenige, was wir die Lehre von der ratio-
nellen Landwirthſchaft nennen. Die rationelle Landwirthſchaft beruht
nun in allen ihren Punkten auf zwei leitenden Principien. Zuerſt
darauf, daß jede vorhandene Naturkraft vollſtändig ausgebeutet werden
ſoll; dann darauf, daß dies nur durch Verwendung eines beſtimmten
Kapitals auf den Grund und Boden geſchehen kann. Die erſte dieſer
Forderungen kann nun unter dem Beſtande der alten Gemeinweiden
nicht einmal für die einzelnen Mitbeſitzer, geſchweige denn für die Ge-
meinweide ſelbſt erfüllt werden; die zweite iſt bei dieſem Beſtande ju-
riſtiſch unmöglich. Mit dem Entſtehen der rationellen Landwirthſchaft,
dieſer großen europäiſchen, praktiſchen Conſequenz des phyſiokratiſchen
Syſtems muß daher ein Kampf gegen die Gemeinweide beginnen. Wir
verfolgen hier dieſen Kampf nicht auf ſein landwirthſchaftliches Gebiet;
wohl aber iſt ſeine öffentlich-rechtliche Seite von entſcheidender Be-
deutung.

In der That haben nämlich alle jene Folgen der beſtehenden Ge-
meinweide Einen gemeinſamen tiefen Grund, den ſich die Landwirthe,
Thaer an der Spitze, ſo wenig klar formulirten, wie die ſpäteren
Nationalökonomen. Die erſte und unbedingte Vorausſetzung alles wirth-
ſchaftlichen Wohlergehens, alſo auch desjenigen der Landwirthe und
Bauern, iſt die Individualität des wirthſchaftlichen Lebens. Der

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 17
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[257/0275] Die volkswirthſchaftliche Epoche der Gemeinheitstheilung beruht zunächſt auf dem Zuſtand der Landwirthſchaft, wie ſie weſentlich durch die Natur der Gemeindeweiden bedingt ward, wobei man die Wald- verhältniſſe faſt gänzlich zur Seite liegen ließ. Dieſe landwirthſchaft- liche Bedeutung der Gemeindeweiden iſt namentlich in Deutſchland ſo oft und ſo gründlich behandelt, daß die Verwaltungslehre bei der Charakteriſirung ihrer beiden Hauptmomente ſtehen bleiben darf. Zu- erſt nämlich erzeugen ſie ein weites, zum Theil unſchätzbares Gebiet an Ackerland, das aber vermöge ſeiner Gemeinſchaft niemals ordentlich bearbeitet ward, und daher faſt ganz ſeine Produktivität verlor. „Ge- ſammtgut, verdammt Gut.“ Eine Entwicklung des Volksreichthums iſt daher unter dem einfachen Fortbeſtehen der Geſammtweide ſo gut als unmöglich. Zweitens aber haben dieſe Geſammtweiden einen eben ſo entſcheidenden Einfluß auf die Einzelwirthſchaft der Bauerngüter. Denn ſie ſind es weſentlich, auf denen die Dreifelderwirthſchaft beruht, ohne daß doch jemals bei ihnen eine tüchtige und nahrhafte Viehweide möglich wäre. So wie daher, und zwar namentlich durch den direkten und in- direkten Einfluß der Phyſiokraten, die Erkenntniß allgemein wird, daß die Landwirthſchaft die Grundlage des Volkswohlſtandes iſt, ſo ſchließt ſich an dieſe Ueberzeugung dasjenige, was wir die Lehre von der ratio- nellen Landwirthſchaft nennen. Die rationelle Landwirthſchaft beruht nun in allen ihren Punkten auf zwei leitenden Principien. Zuerſt darauf, daß jede vorhandene Naturkraft vollſtändig ausgebeutet werden ſoll; dann darauf, daß dies nur durch Verwendung eines beſtimmten Kapitals auf den Grund und Boden geſchehen kann. Die erſte dieſer Forderungen kann nun unter dem Beſtande der alten Gemeinweiden nicht einmal für die einzelnen Mitbeſitzer, geſchweige denn für die Ge- meinweide ſelbſt erfüllt werden; die zweite iſt bei dieſem Beſtande ju- riſtiſch unmöglich. Mit dem Entſtehen der rationellen Landwirthſchaft, dieſer großen europäiſchen, praktiſchen Conſequenz des phyſiokratiſchen Syſtems muß daher ein Kampf gegen die Gemeinweide beginnen. Wir verfolgen hier dieſen Kampf nicht auf ſein landwirthſchaftliches Gebiet; wohl aber iſt ſeine öffentlich-rechtliche Seite von entſcheidender Be- deutung. In der That haben nämlich alle jene Folgen der beſtehenden Ge- meinweide Einen gemeinſamen tiefen Grund, den ſich die Landwirthe, Thaer an der Spitze, ſo wenig klar formulirten, wie die ſpäteren Nationalökonomen. Die erſte und unbedingte Vorausſetzung alles wirth- ſchaftlichen Wohlergehens, alſo auch desjenigen der Landwirthe und Bauern, iſt die Individualität des wirthſchaftlichen Lebens. Der Stein, die Verwaltungslehre. VII. 17

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/275>, abgerufen am 22.11.2024.