werden. Diesen Theil bezeichnen zunächst wir als die Bauernrechte; denselben Charakter hat das, was man die Realgerechtigkeiten nennt. Dahin gehören endlich eine Anzahl von Dienstbarkeiten, die in den meisten Fällen den Charakter von Grundlasten annehmen, und daher vielfach denselben Grundsätzen unterworfen sind, wie diese. Der zweite Theil dagegen geht mit seinen historischen Grundlagen der Gutsherrlichkeit noch voran, und knüpft sich an die älteste Form der Geschlechterordnung, die nur noch den Bauern und das Dorf kennt. Daraus entstehen die uralten Gemeindebesitzungen, die von der Grundherrlichkeit an sich vollkommen unabhängig, dennoch mit der- selben vielfach in Beziehung treten. Alle diese verschiedenen Rechts- verhältnisse haben nur Ein gemeinsames Gebiet, durch welches sie nicht bloß der Geschichte und dem Recht, sondern auch der Verwaltungs- lehre angehören; und wie sie durch ihren Inhalt und ihre Gestalt das Bild der Rechtsordnung der Geschlechter erfüllen und vervollständigen, so ergeben sie andererseits das zweite und letzte Gebiet des Entlastungs- wesens. Denn alle diese verschiedenen Rechte erscheinen als objektive Beschränkungen des freien Einzeleigenthums, in ähnlicher Weise, wie die eigentlichen Grundlasten. Sie sind wie diese der Regel nach nicht durch die freie Selbstbestimmung der Betheiligten entstanden, sondern Ausdrücke einer höheren Ordnung menschlicher Dinge. Sie werden daher auch nicht durch den freien Beschluß der Betheiligten beseitigt, sondern dauern wie eine geschichtliche Thatsache durch sich selber fort. Sie beschränken endlich die freie Verfügung der Einzelnen über ihr Gut, und damit die volle Entwicklung der Gesammtheit, ohne durch die Thätigkeit und den Willen der Betreffenden geändert werden zu können. Sie sind daher in der That kein bürgerliches Recht, sondern sie sind ein nicht unwesentlicher Theil des gesellschaftlichen Rechtes der Geschlechterordnung, zum Theil auch der Ständeordnung. Sie stehen ferner dadurch im Widerspruch mit dem ersten Princip der staatsbürger- lichen Gesellschaft, der individuellen Freiheit; die letztere kann nicht zur vollen Geltung gelangen, so lange jene bestehen; der Kampf gegen sie beginnt daher mit dem Kampfe gegen die Geschlechterordnung selbst, geht mit ihm Schritt vor Schritt vorwärts, und es ist naturgemäß, daß er mit der gesetzlichen, definitiven Aufhebung der Geschlechterord- nung selber abschließt. In diesem Proceß der Befreiung von jenen Rechten gelangt nun der an sich sehr wesentliche Unterschied zwischen jenen beiden Gruppen dieser Rechtsverhältnisse, die wir oben bezeichnet haben, allerdings zur Geltung, aber nicht so sehr in dem Streben nach ihrer Beseitigung, als in der Form, in der sie geschieht; und dieser Unterschied selbst wird wieder bedingt durch das Verhalten jeder
werden. Dieſen Theil bezeichnen zunächſt wir als die Bauernrechte; denſelben Charakter hat das, was man die Realgerechtigkeiten nennt. Dahin gehören endlich eine Anzahl von Dienſtbarkeiten, die in den meiſten Fällen den Charakter von Grundlaſten annehmen, und daher vielfach denſelben Grundſätzen unterworfen ſind, wie dieſe. Der zweite Theil dagegen geht mit ſeinen hiſtoriſchen Grundlagen der Gutsherrlichkeit noch voran, und knüpft ſich an die älteſte Form der Geſchlechterordnung, die nur noch den Bauern und das Dorf kennt. Daraus entſtehen die uralten Gemeindebeſitzungen, die von der Grundherrlichkeit an ſich vollkommen unabhängig, dennoch mit der- ſelben vielfach in Beziehung treten. Alle dieſe verſchiedenen Rechts- verhältniſſe haben nur Ein gemeinſames Gebiet, durch welches ſie nicht bloß der Geſchichte und dem Recht, ſondern auch der Verwaltungs- lehre angehören; und wie ſie durch ihren Inhalt und ihre Geſtalt das Bild der Rechtsordnung der Geſchlechter erfüllen und vervollſtändigen, ſo ergeben ſie andererſeits das zweite und letzte Gebiet des Entlaſtungs- weſens. Denn alle dieſe verſchiedenen Rechte erſcheinen als objektive Beſchränkungen des freien Einzeleigenthums, in ähnlicher Weiſe, wie die eigentlichen Grundlaſten. Sie ſind wie dieſe der Regel nach nicht durch die freie Selbſtbeſtimmung der Betheiligten entſtanden, ſondern Ausdrücke einer höheren Ordnung menſchlicher Dinge. Sie werden daher auch nicht durch den freien Beſchluß der Betheiligten beſeitigt, ſondern dauern wie eine geſchichtliche Thatſache durch ſich ſelber fort. Sie beſchränken endlich die freie Verfügung der Einzelnen über ihr Gut, und damit die volle Entwicklung der Geſammtheit, ohne durch die Thätigkeit und den Willen der Betreffenden geändert werden zu können. Sie ſind daher in der That kein bürgerliches Recht, ſondern ſie ſind ein nicht unweſentlicher Theil des geſellſchaftlichen Rechtes der Geſchlechterordnung, zum Theil auch der Ständeordnung. Sie ſtehen ferner dadurch im Widerſpruch mit dem erſten Princip der ſtaatsbürger- lichen Geſellſchaft, der individuellen Freiheit; die letztere kann nicht zur vollen Geltung gelangen, ſo lange jene beſtehen; der Kampf gegen ſie beginnt daher mit dem Kampfe gegen die Geſchlechterordnung ſelbſt, geht mit ihm Schritt vor Schritt vorwärts, und es iſt naturgemäß, daß er mit der geſetzlichen, definitiven Aufhebung der Geſchlechterord- nung ſelber abſchließt. In dieſem Proceß der Befreiung von jenen Rechten gelangt nun der an ſich ſehr weſentliche Unterſchied zwiſchen jenen beiden Gruppen dieſer Rechtsverhältniſſe, die wir oben bezeichnet haben, allerdings zur Geltung, aber nicht ſo ſehr in dem Streben nach ihrer Beſeitigung, als in der Form, in der ſie geſchieht; und dieſer Unterſchied ſelbſt wird wieder bedingt durch das Verhalten jeder
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werden. Dieſen Theil bezeichnen zunächſt wir als die Bauernrechte;
denſelben Charakter hat das, was man die Realgerechtigkeiten
nennt. Dahin gehören endlich eine Anzahl von Dienſtbarkeiten,
die in den meiſten Fällen den Charakter von Grundlaſten annehmen,
und daher vielfach denſelben Grundſätzen unterworfen ſind, wie dieſe.
Der zweite Theil dagegen geht mit ſeinen hiſtoriſchen Grundlagen der
Gutsherrlichkeit noch voran, und knüpft ſich an die älteſte Form der
Geſchlechterordnung, die nur noch den Bauern und das Dorf kennt.
Daraus entſtehen die uralten Gemeindebeſitzungen, die von der
Grundherrlichkeit an ſich vollkommen unabhängig, dennoch mit der-
ſelben vielfach in Beziehung treten. Alle dieſe verſchiedenen Rechts-
verhältniſſe haben nur Ein gemeinſames Gebiet, durch welches ſie
nicht bloß der Geſchichte und dem Recht, ſondern auch der Verwaltungs-
lehre angehören; und wie ſie durch ihren Inhalt und ihre Geſtalt das
Bild der Rechtsordnung der Geſchlechter erfüllen und vervollſtändigen,
ſo ergeben ſie andererſeits das zweite und letzte Gebiet des Entlaſtungs-
weſens. Denn alle dieſe verſchiedenen Rechte erſcheinen als objektive
Beſchränkungen des freien Einzeleigenthums, in ähnlicher
Weiſe, wie die eigentlichen Grundlaſten. Sie ſind wie dieſe der Regel
nach nicht durch die freie Selbſtbeſtimmung der Betheiligten entſtanden,
ſondern Ausdrücke einer höheren Ordnung menſchlicher Dinge. Sie
werden daher auch nicht durch den freien Beſchluß der Betheiligten
beſeitigt, ſondern dauern wie eine geſchichtliche Thatſache durch ſich
ſelber fort. Sie beſchränken endlich die freie Verfügung der Einzelnen
über ihr Gut, und damit die volle Entwicklung der Geſammtheit, ohne
durch die Thätigkeit und den Willen der Betreffenden geändert werden
zu können. Sie ſind daher in der That kein bürgerliches Recht, ſondern
ſie ſind ein nicht unweſentlicher Theil des geſellſchaftlichen Rechtes
der Geſchlechterordnung, zum Theil auch der Ständeordnung. Sie ſtehen
ferner dadurch im Widerſpruch mit dem erſten Princip der ſtaatsbürger-
lichen Geſellſchaft, der individuellen Freiheit; die letztere kann nicht
zur vollen Geltung gelangen, ſo lange jene beſtehen; der Kampf gegen
ſie beginnt daher mit dem Kampfe gegen die Geſchlechterordnung ſelbſt,
geht mit ihm Schritt vor Schritt vorwärts, und es iſt naturgemäß,
daß er mit der geſetzlichen, definitiven Aufhebung der Geſchlechterord-
nung ſelber abſchließt. In dieſem Proceß der Befreiung von jenen
Rechten gelangt nun der an ſich ſehr weſentliche Unterſchied zwiſchen
jenen beiden Gruppen dieſer Rechtsverhältniſſe, die wir oben bezeichnet
haben, allerdings zur Geltung, aber nicht ſo ſehr in dem Streben
nach ihrer Beſeitigung, als in der Form, in der ſie geſchieht; und
dieſer Unterſchied ſelbſt wird wieder bedingt durch das Verhalten jeder
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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