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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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der Gesellschaft gezogenen Gränzlinien verwischt, und an ihre Stelle
eine große unklare Masse von Verhältnissen und Rechten gesetzt hatte,
bei denen Ursprung und Umfang, Begriff und Titel, ja selbst die
Ausdrücke und rechtlichen Definitionen nicht mehr klar erkennbar waren,
während dabei zugleich einzelne Reste der alten Verhältnisse noch ganz
deutlich als Trümmer einer zerbröckelten, starren Klassenordnung,
namentlich in den Bezeichnungen der Bauernhöfe und selbst in vielen
Einzelleistungen noch hervorragten. Die Folge war zuerst, daß dadurch
jeder einzelne Staat gezwungen wurde, die Gränze zwischen den mit
und ohne Entschädigung aufzuhebenden Rechten nach seinen historischen
Landesverhältnissen selbst aufzustellen; dann aber folgte ferner, was
für die Geschichte dieser Gesetzgebung sehr wichtig ist, daß man im ersten
Anlauf nur ausnahmsweise dazu gelangte, alle Reallasten zugleich zu
beseitigen. Es ergaben sich fast in allen Ländern nach der ersten Gesetz-
gebung eine Reihe von Rechten oder Lasten, die man durch nachträg-
liche Gesetze erst aufheben und entwähren mußte. Daher hat eigentlich
auch nach 1848 in keinem Staate das erste Grundentlastungsgesetz
genügt; aber andererseits muß die Geschichte anerkennen, daß die spätere
Gesetzgebung wesentlich in demselben Geiste fortgeschritten ist; leider
nicht ohne Ausnahmen. Das Einzelne dabei muß der Einzelgeschichte
überwiesen bleiben.

So stand der erste Grundgedanke fest, daß alle aus der Leib-
eigenschaft fließenden Lasten ohne Entschädigung, alle übrigen dagegen
mit Entschädigung aufgehoben werden sollten. Daran schloß sich ein
zweites Princip, das seinerseits einen mehr volkswirthschaftlichen
Charakter hatte. Dasselbe betraf die Form der Entschädigung.

Für diese Form der Entschädigung gab es drei Arten. Man konnte
sie nach dem englischen Vorbild in Land geben; man konnte sie als
festes Kapital bestimmen, und man konnte Renten creiren. Die erste
dieser Formen schien schien am nächsten zu liegen; allein sie hätte den Grund-
stamm der mittleren Besitzungen zu vielfach vernichtet, und an ihrer
Stelle Latifundien hervorgerufen. Trotz des Beispiels von Preußen
ward dieser Weg daher nirgends eingeschlagen, und selbst in Preußen
verläßt man ihn nach 1848. Eben so wenig konnte man die unmittel-
bare Auszahlung der Entschädigung fordern, wenn es mit der Ablösung
Ernst sein sollte. Daher ward die Herstellung einer Rente als Ent-
schädigungsform allgemein durchgeführt, und hier war es, wo die Regie-
rungen mit den Landescreditanstalten eingriffen, die in der That die
wirkliche Durchführung der Entschädigung erst möglich gemacht haben.
Das war der zweite Punkt in dem Systeme der Entlastung, in dem
alle deutschen Staaten einig waren.


der Geſellſchaft gezogenen Gränzlinien verwiſcht, und an ihre Stelle
eine große unklare Maſſe von Verhältniſſen und Rechten geſetzt hatte,
bei denen Urſprung und Umfang, Begriff und Titel, ja ſelbſt die
Ausdrücke und rechtlichen Definitionen nicht mehr klar erkennbar waren,
während dabei zugleich einzelne Reſte der alten Verhältniſſe noch ganz
deutlich als Trümmer einer zerbröckelten, ſtarren Klaſſenordnung,
namentlich in den Bezeichnungen der Bauernhöfe und ſelbſt in vielen
Einzelleiſtungen noch hervorragten. Die Folge war zuerſt, daß dadurch
jeder einzelne Staat gezwungen wurde, die Gränze zwiſchen den mit
und ohne Entſchädigung aufzuhebenden Rechten nach ſeinen hiſtoriſchen
Landesverhältniſſen ſelbſt aufzuſtellen; dann aber folgte ferner, was
für die Geſchichte dieſer Geſetzgebung ſehr wichtig iſt, daß man im erſten
Anlauf nur ausnahmsweiſe dazu gelangte, alle Reallaſten zugleich zu
beſeitigen. Es ergaben ſich faſt in allen Ländern nach der erſten Geſetz-
gebung eine Reihe von Rechten oder Laſten, die man durch nachträg-
liche Geſetze erſt aufheben und entwähren mußte. Daher hat eigentlich
auch nach 1848 in keinem Staate das erſte Grundentlaſtungsgeſetz
genügt; aber andererſeits muß die Geſchichte anerkennen, daß die ſpätere
Geſetzgebung weſentlich in demſelben Geiſte fortgeſchritten iſt; leider
nicht ohne Ausnahmen. Das Einzelne dabei muß der Einzelgeſchichte
überwieſen bleiben.

So ſtand der erſte Grundgedanke feſt, daß alle aus der Leib-
eigenſchaft fließenden Laſten ohne Entſchädigung, alle übrigen dagegen
mit Entſchädigung aufgehoben werden ſollten. Daran ſchloß ſich ein
zweites Princip, das ſeinerſeits einen mehr volkswirthſchaftlichen
Charakter hatte. Daſſelbe betraf die Form der Entſchädigung.

Für dieſe Form der Entſchädigung gab es drei Arten. Man konnte
ſie nach dem engliſchen Vorbild in Land geben; man konnte ſie als
feſtes Kapital beſtimmen, und man konnte Renten creiren. Die erſte
dieſer Formen ſchien ſchien am nächſten zu liegen; allein ſie hätte den Grund-
ſtamm der mittleren Beſitzungen zu vielfach vernichtet, und an ihrer
Stelle Latifundien hervorgerufen. Trotz des Beiſpiels von Preußen
ward dieſer Weg daher nirgends eingeſchlagen, und ſelbſt in Preußen
verläßt man ihn nach 1848. Eben ſo wenig konnte man die unmittel-
bare Auszahlung der Entſchädigung fordern, wenn es mit der Ablöſung
Ernſt ſein ſollte. Daher ward die Herſtellung einer Rente als Ent-
ſchädigungsform allgemein durchgeführt, und hier war es, wo die Regie-
rungen mit den Landescreditanſtalten eingriffen, die in der That die
wirkliche Durchführung der Entſchädigung erſt möglich gemacht haben.
Das war der zweite Punkt in dem Syſteme der Entlaſtung, in dem
alle deutſchen Staaten einig waren.


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[223/0241] der Geſellſchaft gezogenen Gränzlinien verwiſcht, und an ihre Stelle eine große unklare Maſſe von Verhältniſſen und Rechten geſetzt hatte, bei denen Urſprung und Umfang, Begriff und Titel, ja ſelbſt die Ausdrücke und rechtlichen Definitionen nicht mehr klar erkennbar waren, während dabei zugleich einzelne Reſte der alten Verhältniſſe noch ganz deutlich als Trümmer einer zerbröckelten, ſtarren Klaſſenordnung, namentlich in den Bezeichnungen der Bauernhöfe und ſelbſt in vielen Einzelleiſtungen noch hervorragten. Die Folge war zuerſt, daß dadurch jeder einzelne Staat gezwungen wurde, die Gränze zwiſchen den mit und ohne Entſchädigung aufzuhebenden Rechten nach ſeinen hiſtoriſchen Landesverhältniſſen ſelbſt aufzuſtellen; dann aber folgte ferner, was für die Geſchichte dieſer Geſetzgebung ſehr wichtig iſt, daß man im erſten Anlauf nur ausnahmsweiſe dazu gelangte, alle Reallaſten zugleich zu beſeitigen. Es ergaben ſich faſt in allen Ländern nach der erſten Geſetz- gebung eine Reihe von Rechten oder Laſten, die man durch nachträg- liche Geſetze erſt aufheben und entwähren mußte. Daher hat eigentlich auch nach 1848 in keinem Staate das erſte Grundentlaſtungsgeſetz genügt; aber andererſeits muß die Geſchichte anerkennen, daß die ſpätere Geſetzgebung weſentlich in demſelben Geiſte fortgeſchritten iſt; leider nicht ohne Ausnahmen. Das Einzelne dabei muß der Einzelgeſchichte überwieſen bleiben. So ſtand der erſte Grundgedanke feſt, daß alle aus der Leib- eigenſchaft fließenden Laſten ohne Entſchädigung, alle übrigen dagegen mit Entſchädigung aufgehoben werden ſollten. Daran ſchloß ſich ein zweites Princip, das ſeinerſeits einen mehr volkswirthſchaftlichen Charakter hatte. Daſſelbe betraf die Form der Entſchädigung. Für dieſe Form der Entſchädigung gab es drei Arten. Man konnte ſie nach dem engliſchen Vorbild in Land geben; man konnte ſie als feſtes Kapital beſtimmen, und man konnte Renten creiren. Die erſte dieſer Formen ſchien ſchien am nächſten zu liegen; allein ſie hätte den Grund- ſtamm der mittleren Beſitzungen zu vielfach vernichtet, und an ihrer Stelle Latifundien hervorgerufen. Trotz des Beiſpiels von Preußen ward dieſer Weg daher nirgends eingeſchlagen, und ſelbſt in Preußen verläßt man ihn nach 1848. Eben ſo wenig konnte man die unmittel- bare Auszahlung der Entſchädigung fordern, wenn es mit der Ablöſung Ernſt ſein ſollte. Daher ward die Herſtellung einer Rente als Ent- ſchädigungsform allgemein durchgeführt, und hier war es, wo die Regie- rungen mit den Landescreditanſtalten eingriffen, die in der That die wirkliche Durchführung der Entſchädigung erſt möglich gemacht haben. Das war der zweite Punkt in dem Syſteme der Entlaſtung, in dem alle deutſchen Staaten einig waren.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/241>, abgerufen am 24.11.2024.