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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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vollen individuellen Eigenthums am Grund und Boden, und die defini-
tive Beseitigung des Geschlechtereigenthums und seiner Rechte. Die
Geschlechter sind damit seit 1848 das, was sie sein sollen, große
historische sociale Thatsachen im gesellschaftlichen und staatlichen
Leben, aber nicht mehr gesellschaftliche Rechtskörper. Die letzte Voll-
ziehung dieses Gedankens ist die eigentliche Grundentlastung. Mit ihr
geht die alte Geschlechterordnung zu Grunde. Und neben diesem Unter-
gang steht ein zweiter; das ist der der ständischen Ordnung. Was die
Grundentlastung für den Grundbesitz, das ist die Gewerbefreiheit für
den gewerblichen Erwerb. Ein letzter Akt in dieser großen Bewegung
steht noch bevor; es ist die Beseitigung der ständischen Kirche. Doch
das ist ein Gebiet, das uns hier ferner liegt. Wir sind noch nicht weit
genug, um darüber ohne Vorurtheil nachdenken zu können. Die Grund-
entlastung aber geht voran, wie die Geschlechterordnung der ständischen.
Die Zukunft gehört dem Princip des Staatsbürgerthums; aber auch
dieses Princip ist nicht der Abschluß der Geschichte, denn es ist mit
seinem tödtlichen Feinde, der Idee der socialen Bewegung, zugleich
groß geworden. Wir aber müssen hier bei jenem stehen bleiben.

In jenem großen Proceß der endgültigen Herstellung des freien
individuellen Eigenthums an der Stelle des unfreien Geschlechtereigen-
thums tritt uns nun wieder der eigenthümliche Charakter Deutschlands
in schlagender Weise entgegen. In Deutschland ist das Volksbewußt-
sein ein gleichartiges und einheitliches Ganze, das Staatsleben dagegen
ein verschiedenes und besondertes. Die Principien gelten daher stets,
und so auch für die Entlastung, gleichmäßig für alle, aber die Gesetze,
durch welche sie werwirklicht werden, sind weder gleich durchgreifend,
noch auch gleichzeitig. Und dabei werden hier, wie immer, die letzteren
durch die ersteren überragt; es ist ein tiefer Charakterzug des deutschen
Lebens, daß eben dadurch das wirklich geltende Recht stets hinter den
Ideen zurückbleibt, welche im Volke leben. Dafür aber hat die
Wissenschaft die nie erschöpfte Aufgabe, diesen Widerstreit auszugleichen;
das ist von jeher die praktische Aufgabe der letzteren gewesen und wird
es bleiben.

Jene allgemeinen Grundsätze der Grundentlastung seit 1848 sind
ihrem tiefern Wesen nach von denen der ersten Hälfte unseres Jahr-
hunderts eben so sehr verschieden, wie die Geschlechterordnung von der
staatsbürgerlichen. Es handelt sich dabei nicht um einen Fortschritt
von dem Einen zum Andern, sondern vielmehr um eine ganz neue
Grundlage der Entwicklung. Die Gesetze seit 1848 haben nicht etwa
ausgeführt, was die früheren nicht vermocht, sondern sie haben etwas
festgestellt, was die früheren gar nicht gewollt. Während die bisher

vollen individuellen Eigenthums am Grund und Boden, und die defini-
tive Beſeitigung des Geſchlechtereigenthums und ſeiner Rechte. Die
Geſchlechter ſind damit ſeit 1848 das, was ſie ſein ſollen, große
hiſtoriſche ſociale Thatſachen im geſellſchaftlichen und ſtaatlichen
Leben, aber nicht mehr geſellſchaftliche Rechtskörper. Die letzte Voll-
ziehung dieſes Gedankens iſt die eigentliche Grundentlaſtung. Mit ihr
geht die alte Geſchlechterordnung zu Grunde. Und neben dieſem Unter-
gang ſteht ein zweiter; das iſt der der ſtändiſchen Ordnung. Was die
Grundentlaſtung für den Grundbeſitz, das iſt die Gewerbefreiheit für
den gewerblichen Erwerb. Ein letzter Akt in dieſer großen Bewegung
ſteht noch bevor; es iſt die Beſeitigung der ſtändiſchen Kirche. Doch
das iſt ein Gebiet, das uns hier ferner liegt. Wir ſind noch nicht weit
genug, um darüber ohne Vorurtheil nachdenken zu können. Die Grund-
entlaſtung aber geht voran, wie die Geſchlechterordnung der ſtändiſchen.
Die Zukunft gehört dem Princip des Staatsbürgerthums; aber auch
dieſes Princip iſt nicht der Abſchluß der Geſchichte, denn es iſt mit
ſeinem tödtlichen Feinde, der Idee der ſocialen Bewegung, zugleich
groß geworden. Wir aber müſſen hier bei jenem ſtehen bleiben.

In jenem großen Proceß der endgültigen Herſtellung des freien
individuellen Eigenthums an der Stelle des unfreien Geſchlechtereigen-
thums tritt uns nun wieder der eigenthümliche Charakter Deutſchlands
in ſchlagender Weiſe entgegen. In Deutſchland iſt das Volksbewußt-
ſein ein gleichartiges und einheitliches Ganze, das Staatsleben dagegen
ein verſchiedenes und beſondertes. Die Principien gelten daher ſtets,
und ſo auch für die Entlaſtung, gleichmäßig für alle, aber die Geſetze,
durch welche ſie werwirklicht werden, ſind weder gleich durchgreifend,
noch auch gleichzeitig. Und dabei werden hier, wie immer, die letzteren
durch die erſteren überragt; es iſt ein tiefer Charakterzug des deutſchen
Lebens, daß eben dadurch das wirklich geltende Recht ſtets hinter den
Ideen zurückbleibt, welche im Volke leben. Dafür aber hat die
Wiſſenſchaft die nie erſchöpfte Aufgabe, dieſen Widerſtreit auszugleichen;
das iſt von jeher die praktiſche Aufgabe der letzteren geweſen und wird
es bleiben.

Jene allgemeinen Grundſätze der Grundentlaſtung ſeit 1848 ſind
ihrem tiefern Weſen nach von denen der erſten Hälfte unſeres Jahr-
hunderts eben ſo ſehr verſchieden, wie die Geſchlechterordnung von der
ſtaatsbürgerlichen. Es handelt ſich dabei nicht um einen Fortſchritt
von dem Einen zum Andern, ſondern vielmehr um eine ganz neue
Grundlage der Entwicklung. Die Geſetze ſeit 1848 haben nicht etwa
ausgeführt, was die früheren nicht vermocht, ſondern ſie haben etwas
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[218/0236] vollen individuellen Eigenthums am Grund und Boden, und die defini- tive Beſeitigung des Geſchlechtereigenthums und ſeiner Rechte. Die Geſchlechter ſind damit ſeit 1848 das, was ſie ſein ſollen, große hiſtoriſche ſociale Thatſachen im geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Leben, aber nicht mehr geſellſchaftliche Rechtskörper. Die letzte Voll- ziehung dieſes Gedankens iſt die eigentliche Grundentlaſtung. Mit ihr geht die alte Geſchlechterordnung zu Grunde. Und neben dieſem Unter- gang ſteht ein zweiter; das iſt der der ſtändiſchen Ordnung. Was die Grundentlaſtung für den Grundbeſitz, das iſt die Gewerbefreiheit für den gewerblichen Erwerb. Ein letzter Akt in dieſer großen Bewegung ſteht noch bevor; es iſt die Beſeitigung der ſtändiſchen Kirche. Doch das iſt ein Gebiet, das uns hier ferner liegt. Wir ſind noch nicht weit genug, um darüber ohne Vorurtheil nachdenken zu können. Die Grund- entlaſtung aber geht voran, wie die Geſchlechterordnung der ſtändiſchen. Die Zukunft gehört dem Princip des Staatsbürgerthums; aber auch dieſes Princip iſt nicht der Abſchluß der Geſchichte, denn es iſt mit ſeinem tödtlichen Feinde, der Idee der ſocialen Bewegung, zugleich groß geworden. Wir aber müſſen hier bei jenem ſtehen bleiben. In jenem großen Proceß der endgültigen Herſtellung des freien individuellen Eigenthums an der Stelle des unfreien Geſchlechtereigen- thums tritt uns nun wieder der eigenthümliche Charakter Deutſchlands in ſchlagender Weiſe entgegen. In Deutſchland iſt das Volksbewußt- ſein ein gleichartiges und einheitliches Ganze, das Staatsleben dagegen ein verſchiedenes und beſondertes. Die Principien gelten daher ſtets, und ſo auch für die Entlaſtung, gleichmäßig für alle, aber die Geſetze, durch welche ſie werwirklicht werden, ſind weder gleich durchgreifend, noch auch gleichzeitig. Und dabei werden hier, wie immer, die letzteren durch die erſteren überragt; es iſt ein tiefer Charakterzug des deutſchen Lebens, daß eben dadurch das wirklich geltende Recht ſtets hinter den Ideen zurückbleibt, welche im Volke leben. Dafür aber hat die Wiſſenſchaft die nie erſchöpfte Aufgabe, dieſen Widerſtreit auszugleichen; das iſt von jeher die praktiſche Aufgabe der letzteren geweſen und wird es bleiben. Jene allgemeinen Grundſätze der Grundentlaſtung ſeit 1848 ſind ihrem tiefern Weſen nach von denen der erſten Hälfte unſeres Jahr- hunderts eben ſo ſehr verſchieden, wie die Geſchlechterordnung von der ſtaatsbürgerlichen. Es handelt ſich dabei nicht um einen Fortſchritt von dem Einen zum Andern, ſondern vielmehr um eine ganz neue Grundlage der Entwicklung. Die Geſetze ſeit 1848 haben nicht etwa ausgeführt, was die früheren nicht vermocht, ſondern ſie haben etwas feſtgeſtellt, was die früheren gar nicht gewollt. Während die bisher

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/236>, abgerufen am 09.11.2024.