verfassung (Einl.). Es ist kein Zweifel, daß schon mit dem Ende der zwanziger Jahre die wirthschaftliche Ueberzeugung von der Noth- wendigkeit der Beseitigung dieses "Hindernisses der landwirthschaftlichen Produktion" ganz allgemein feststeht, die sich übrigens um die formale Hauptsache, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, gar nicht kümmerte. Die Gewißheit, daß die Gesetzgebung hier eingreifen werde und müsse, erzeugt dann schon in dieser Zeit eine Reihe von Vorschlägen, alle mit der bestimmt ausgesprochenen Tendenz, die "geheiligten Rechte" der Grundherren so viel als möglich zu schonen; die juristisch-historischen Untersuchungen halten dabei das Bewußtsein der Unterscheidung in der rechtlichen Natur der verschiedenen Lasten fest, und so entsteht eine wahre Fluth von Arbeiten, die alle demselben Ziele zustreben. Dieser ganzen Richtung fehlt lange Zeit freilich eins, das ist das klare Ver- ständniß von dem, was man von den Regierungen in Beziehung auf die Entschädigungen der Berechtigten fordern solle. Einerseits war man sich nicht klar über die Natur derjenige Rechte, für welche man überhaupt Entschädigung verlangen dürfe, und wie wir gleich bemerken, man ist es sich theoretisch auch nie geworden, wie nament- lich die allgemeinen Werke von Mohl und Rau hinreichend beweisen, bei denen es in dieser Beziehung gänzlich an einem Princip fehlte und fehlt. Andererseits aber, und das war das specifisch Praktische, wußte man die als nothwendig erkannten Entschädigungen nicht zu organisiren, da die Entschädigung durch Abtretung von Land theil- weise bedenklich für den Bauernstand, theilweise werthlos für den Gutsherrn werden müsse (schon Hagen, über das Agrargesetz und dessen Anwendung. 1814; vergl. Mohl, Polizeiwissenschaft II. 133 und Rau, neulich RoscherII. §. 122). Eben deßhalb blieb auch ein Mann, den wir in der Geschichte der Staatswirthschaftslehre stets als einen eben so gründlichen als freisinnigen und verständigen Schrift- steller hochschätzen müssen, Lotz (in seiner Staatswissenschaftslehre II. §. 96 f.) ohne bedeutenden Erfolg. Dagegen beginnt mit Stüve ("Ueber die Lasten des Grundeigenthums in Rücksicht auf das Königreich Hannover" 1829), ein Gedanke Platz zu greifen, der von da langsam fortschreitend die ganze Ablösungstheorie und bald auch die Ablösungs- gesetzgebung beherrscht. Das ist die Durchführung der Entschädigung nach bestimmten Procentualsätzen, vor allem aber die Ermöglichung der Abzahlung durch Bildung eines landwirthschaftlichen Cre- dits, der die Entschädigungssumme gegen Unterpfand hergibt, und die Abtragung der Entlastungsschuld durch den befreiten Bauern raten- weise möglich macht. Eigentlich war erst damit der rechte praktische Weg für die Verwaltung gewiesen, und das Entlastungswesen gewinnt
verfaſſung (Einl.). Es iſt kein Zweifel, daß ſchon mit dem Ende der zwanziger Jahre die wirthſchaftliche Ueberzeugung von der Noth- wendigkeit der Beſeitigung dieſes „Hinderniſſes der landwirthſchaftlichen Produktion“ ganz allgemein feſtſteht, die ſich übrigens um die formale Hauptſache, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, gar nicht kümmerte. Die Gewißheit, daß die Geſetzgebung hier eingreifen werde und müſſe, erzeugt dann ſchon in dieſer Zeit eine Reihe von Vorſchlägen, alle mit der beſtimmt ausgeſprochenen Tendenz, die „geheiligten Rechte“ der Grundherren ſo viel als möglich zu ſchonen; die juriſtiſch-hiſtoriſchen Unterſuchungen halten dabei das Bewußtſein der Unterſcheidung in der rechtlichen Natur der verſchiedenen Laſten feſt, und ſo entſteht eine wahre Fluth von Arbeiten, die alle demſelben Ziele zuſtreben. Dieſer ganzen Richtung fehlt lange Zeit freilich eins, das iſt das klare Ver- ſtändniß von dem, was man von den Regierungen in Beziehung auf die Entſchädigungen der Berechtigten fordern ſolle. Einerſeits war man ſich nicht klar über die Natur derjenige Rechte, für welche man überhaupt Entſchädigung verlangen dürfe, und wie wir gleich bemerken, man iſt es ſich theoretiſch auch nie geworden, wie nament- lich die allgemeinen Werke von Mohl und Rau hinreichend beweiſen, bei denen es in dieſer Beziehung gänzlich an einem Princip fehlte und fehlt. Andererſeits aber, und das war das ſpecifiſch Praktiſche, wußte man die als nothwendig erkannten Entſchädigungen nicht zu organiſiren, da die Entſchädigung durch Abtretung von Land theil- weiſe bedenklich für den Bauernſtand, theilweiſe werthlos für den Gutsherrn werden müſſe (ſchon Hagen, über das Agrargeſetz und deſſen Anwendung. 1814; vergl. Mohl, Polizeiwiſſenſchaft II. 133 und Rau, neulich RoſcherII. §. 122). Eben deßhalb blieb auch ein Mann, den wir in der Geſchichte der Staatswirthſchaftslehre ſtets als einen eben ſo gründlichen als freiſinnigen und verſtändigen Schrift- ſteller hochſchätzen müſſen, Lotz (in ſeiner Staatswiſſenſchaftslehre II. §. 96 f.) ohne bedeutenden Erfolg. Dagegen beginnt mit Stüve („Ueber die Laſten des Grundeigenthums in Rückſicht auf das Königreich Hannover“ 1829), ein Gedanke Platz zu greifen, der von da langſam fortſchreitend die ganze Ablöſungstheorie und bald auch die Ablöſungs- geſetzgebung beherrſcht. Das iſt die Durchführung der Entſchädigung nach beſtimmten Procentualſätzen, vor allem aber die Ermöglichung der Abzahlung durch Bildung eines landwirthſchaftlichen Cre- dits, der die Entſchädigungsſumme gegen Unterpfand hergibt, und die Abtragung der Entlaſtungsſchuld durch den befreiten Bauern raten- weiſe möglich macht. Eigentlich war erſt damit der rechte praktiſche Weg für die Verwaltung gewieſen, und das Entlaſtungsweſen gewinnt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0207"n="189"/>
verfaſſung (Einl.). Es iſt kein Zweifel, daß ſchon mit dem Ende der<lb/>
zwanziger Jahre die <hirendition="#g">wirthſchaftliche</hi> Ueberzeugung von der Noth-<lb/>
wendigkeit der Beſeitigung dieſes „Hinderniſſes der landwirthſchaftlichen<lb/>
Produktion“ ganz allgemein feſtſteht, die ſich übrigens um die formale<lb/>
Hauptſache, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, <hirendition="#g">gar nicht</hi> kümmerte.<lb/>
Die Gewißheit, daß die Geſetzgebung hier eingreifen werde und müſſe,<lb/>
erzeugt dann ſchon in dieſer Zeit eine Reihe von Vorſchlägen, alle mit<lb/>
der beſtimmt ausgeſprochenen Tendenz, die „geheiligten Rechte“ der<lb/>
Grundherren ſo viel als möglich zu ſchonen; die juriſtiſch-hiſtoriſchen<lb/>
Unterſuchungen halten dabei das Bewußtſein der Unterſcheidung in<lb/>
der rechtlichen Natur der verſchiedenen Laſten feſt, und ſo entſteht eine<lb/>
wahre Fluth von Arbeiten, die alle demſelben Ziele zuſtreben. Dieſer<lb/>
ganzen Richtung fehlt lange Zeit freilich eins, das iſt das klare Ver-<lb/>ſtändniß von dem, was man von den Regierungen in Beziehung auf<lb/>
die <hirendition="#g">Entſchädigungen</hi> der Berechtigten fordern ſolle. Einerſeits<lb/>
war man ſich nicht klar über die Natur derjenige Rechte, für welche<lb/>
man überhaupt Entſchädigung <hirendition="#g">verlangen</hi> dürfe, und wie wir gleich<lb/>
bemerken, man iſt es ſich theoretiſch auch nie geworden, wie nament-<lb/>
lich die allgemeinen Werke von Mohl und Rau hinreichend beweiſen,<lb/>
bei denen es in dieſer Beziehung <hirendition="#g">gänzlich</hi> an einem Princip fehlte<lb/>
und fehlt. Andererſeits aber, und das war das ſpecifiſch Praktiſche,<lb/>
wußte man die als nothwendig erkannten Entſchädigungen nicht zu<lb/>
organiſiren, da die Entſchädigung durch Abtretung von <hirendition="#g">Land</hi> theil-<lb/>
weiſe bedenklich für den Bauernſtand, theilweiſe werthlos für den<lb/>
Gutsherrn werden müſſe (ſchon <hirendition="#g">Hagen</hi>, über das Agrargeſetz und<lb/>
deſſen Anwendung. 1814; vergl. <hirendition="#g">Mohl</hi>, Polizeiwiſſenſchaft <hirendition="#aq">II.</hi> 133<lb/>
und <hirendition="#g">Rau</hi>, neulich <hirendition="#g">Roſcher</hi><hirendition="#aq">II.</hi> §. 122). Eben deßhalb blieb auch ein<lb/>
Mann, den wir in der Geſchichte der Staatswirthſchaftslehre ſtets als<lb/>
einen eben ſo gründlichen als freiſinnigen und verſtändigen Schrift-<lb/>ſteller hochſchätzen müſſen, <hirendition="#g">Lotz</hi> (in ſeiner Staatswiſſenſchaftslehre <hirendition="#aq">II.</hi><lb/>
§. 96 f.) ohne bedeutenden Erfolg. Dagegen beginnt mit <hirendition="#g">Stüve</hi><lb/>
(„Ueber die Laſten des Grundeigenthums in Rückſicht auf das Königreich<lb/>
Hannover“ 1829), ein Gedanke Platz zu greifen, der von da langſam<lb/>
fortſchreitend die ganze Ablöſungstheorie und bald auch die Ablöſungs-<lb/>
geſetzgebung beherrſcht. Das iſt die Durchführung der Entſchädigung<lb/>
nach beſtimmten <hirendition="#g">Procentualſätzen</hi>, vor allem aber die Ermöglichung<lb/>
der Abzahlung durch Bildung eines <hirendition="#g">landwirthſchaftlichen Cre-<lb/>
dits</hi>, der die Entſchädigungsſumme gegen Unterpfand hergibt, und<lb/>
die Abtragung der Entlaſtungsſchuld durch den befreiten Bauern raten-<lb/>
weiſe möglich macht. Eigentlich war erſt damit der rechte praktiſche<lb/>
Weg für die Verwaltung gewieſen, und das Entlaſtungsweſen gewinnt<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[189/0207]
verfaſſung (Einl.). Es iſt kein Zweifel, daß ſchon mit dem Ende der
zwanziger Jahre die wirthſchaftliche Ueberzeugung von der Noth-
wendigkeit der Beſeitigung dieſes „Hinderniſſes der landwirthſchaftlichen
Produktion“ ganz allgemein feſtſteht, die ſich übrigens um die formale
Hauptſache, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, gar nicht kümmerte.
Die Gewißheit, daß die Geſetzgebung hier eingreifen werde und müſſe,
erzeugt dann ſchon in dieſer Zeit eine Reihe von Vorſchlägen, alle mit
der beſtimmt ausgeſprochenen Tendenz, die „geheiligten Rechte“ der
Grundherren ſo viel als möglich zu ſchonen; die juriſtiſch-hiſtoriſchen
Unterſuchungen halten dabei das Bewußtſein der Unterſcheidung in
der rechtlichen Natur der verſchiedenen Laſten feſt, und ſo entſteht eine
wahre Fluth von Arbeiten, die alle demſelben Ziele zuſtreben. Dieſer
ganzen Richtung fehlt lange Zeit freilich eins, das iſt das klare Ver-
ſtändniß von dem, was man von den Regierungen in Beziehung auf
die Entſchädigungen der Berechtigten fordern ſolle. Einerſeits
war man ſich nicht klar über die Natur derjenige Rechte, für welche
man überhaupt Entſchädigung verlangen dürfe, und wie wir gleich
bemerken, man iſt es ſich theoretiſch auch nie geworden, wie nament-
lich die allgemeinen Werke von Mohl und Rau hinreichend beweiſen,
bei denen es in dieſer Beziehung gänzlich an einem Princip fehlte
und fehlt. Andererſeits aber, und das war das ſpecifiſch Praktiſche,
wußte man die als nothwendig erkannten Entſchädigungen nicht zu
organiſiren, da die Entſchädigung durch Abtretung von Land theil-
weiſe bedenklich für den Bauernſtand, theilweiſe werthlos für den
Gutsherrn werden müſſe (ſchon Hagen, über das Agrargeſetz und
deſſen Anwendung. 1814; vergl. Mohl, Polizeiwiſſenſchaft II. 133
und Rau, neulich Roſcher II. §. 122). Eben deßhalb blieb auch ein
Mann, den wir in der Geſchichte der Staatswirthſchaftslehre ſtets als
einen eben ſo gründlichen als freiſinnigen und verſtändigen Schrift-
ſteller hochſchätzen müſſen, Lotz (in ſeiner Staatswiſſenſchaftslehre II.
§. 96 f.) ohne bedeutenden Erfolg. Dagegen beginnt mit Stüve
(„Ueber die Laſten des Grundeigenthums in Rückſicht auf das Königreich
Hannover“ 1829), ein Gedanke Platz zu greifen, der von da langſam
fortſchreitend die ganze Ablöſungstheorie und bald auch die Ablöſungs-
geſetzgebung beherrſcht. Das iſt die Durchführung der Entſchädigung
nach beſtimmten Procentualſätzen, vor allem aber die Ermöglichung
der Abzahlung durch Bildung eines landwirthſchaftlichen Cre-
dits, der die Entſchädigungsſumme gegen Unterpfand hergibt, und
die Abtragung der Entlaſtungsſchuld durch den befreiten Bauern raten-
weiſe möglich macht. Eigentlich war erſt damit der rechte praktiſche
Weg für die Verwaltung gewieſen, und das Entlaſtungsweſen gewinnt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/207>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.