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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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und die Ausbildung derselben zu einer Wissenschaft. Auf beide haben
die beiden großen Schulen der Franzosen und Engländer, die physio-
kratischen und die Smith'schen Ansichten, entscheidend eingewirkt. Jene,
indem sie namentlich in Deutschland die Ueberzeugung hervorriefen,
daß die Landwirthschaft die Hauptquelle des Volks- und dadurch des
Staatsreichthums sei; diese, indem sie für die ganze Volkswirthschafts-
lehre die Wahrheit zum Dogma erhoben, daß nur die möglichste Frei-
heit
der wirthschaftlichen Zustände den Flor der Volkswirthschaft be-
gründe. Aus dem Zusammenwirken beider ging dann zunächst der
Eifer hervor, mit welchem sich die Regierungen der Hebung der Land-
wirthschaft annahmen, die Organisirung der "Landes-Oekonomie-Col-
legien," die Aufnahme der speciellen "Landwirthschafts-Polizei" in die
Polizeiwissenschaft und der Gedanke, daß der Staat das Recht habe,
hier wie auf allen Punkten seiner Verwaltung mit seinen Gesetzen
durchzugreifen. Da es sich in Deutschland nicht um eine Nacht des
4. Augusts handeln konnte, so handelte es sich um eine Beweisführung
über die landwirthschaftliche Nothwendigkeit und Nützlichkeit der
Entlastung. Diese Beweisführung hat die deutsche Literatur über-
nommen und sie wirklich geliefert. Man kann im Allgemeinen sagen,
daß die darauf bezügliche Literatur sich in drei große, historisch ein-
ander folgende Gruppen scheidet. Die erste umfaßt die Schriftsteller
des vorigen Jahrhunderts seit Justi, welche nachweisen, daß die Be-
seitigung der Grundlasten, Frohnden und Zehnten nicht bloß im All-
gemeinen möglich sei, sondern auch ohne Benachtheiligung der
Berechtigten vor sich gehen könne. Wir haben schon auf sie hinge-
wiesen, und dürfen nur den Wunsch aussprechen, daß sie recht bald
einmal Gegenstand der Besprechung von kundiger Hand werden mögen.
Die zweite gehört den ersten dreißig Jahren unseres Jahrhunderts
an. An der Spitze derselben steht Thaer in seinen verschiedenen land-
wirthschaftlichen Werken; von ihm aus geht der dann alle Theile der
Volkswirthschaftspflege durchziehende, in den verschiedensten Formen
wiederholte Beweis, dessen geistige Basis immer Adam Smith ist, daß
die unfreie Arbeit die unproduktivste sei, und daß daher die
Aufhebung der Grundlasten eine unabweisbare Bedingung des gesammten
Volkswohles werde. Wir dürfen für die einzelnen Citate auf Rau,
Volkswirthschaftspflege von §. 53 an, Roscher, Nationalökonomie II.
von §. 107, Mohl, Polizeiwissenschaft II. 133 ff. und dessen Litera-
tur der Staatswissenschaft (a. a. O.), besonders auf Bülau in seiner
ruhigen, klaren Weise: "Der Staat und der Landbau;" ähnlich, aber
etwas verwischter, in seinem "Handbuch der Staatswirthschaftslehre"
1835 §. 46 verweisen; für den Norden speciell auf Kochs Agrar-

und die Ausbildung derſelben zu einer Wiſſenſchaft. Auf beide haben
die beiden großen Schulen der Franzoſen und Engländer, die phyſio-
kratiſchen und die Smith’ſchen Anſichten, entſcheidend eingewirkt. Jene,
indem ſie namentlich in Deutſchland die Ueberzeugung hervorriefen,
daß die Landwirthſchaft die Hauptquelle des Volks- und dadurch des
Staatsreichthums ſei; dieſe, indem ſie für die ganze Volkswirthſchafts-
lehre die Wahrheit zum Dogma erhoben, daß nur die möglichſte Frei-
heit
der wirthſchaftlichen Zuſtände den Flor der Volkswirthſchaft be-
gründe. Aus dem Zuſammenwirken beider ging dann zunächſt der
Eifer hervor, mit welchem ſich die Regierungen der Hebung der Land-
wirthſchaft annahmen, die Organiſirung der „Landes-Oekonomie-Col-
legien,“ die Aufnahme der ſpeciellen „Landwirthſchafts-Polizei“ in die
Polizeiwiſſenſchaft und der Gedanke, daß der Staat das Recht habe,
hier wie auf allen Punkten ſeiner Verwaltung mit ſeinen Geſetzen
durchzugreifen. Da es ſich in Deutſchland nicht um eine Nacht des
4. Auguſts handeln konnte, ſo handelte es ſich um eine Beweisführung
über die landwirthſchaftliche Nothwendigkeit und Nützlichkeit der
Entlaſtung. Dieſe Beweisführung hat die deutſche Literatur über-
nommen und ſie wirklich geliefert. Man kann im Allgemeinen ſagen,
daß die darauf bezügliche Literatur ſich in drei große, hiſtoriſch ein-
ander folgende Gruppen ſcheidet. Die erſte umfaßt die Schriftſteller
des vorigen Jahrhunderts ſeit Juſti, welche nachweiſen, daß die Be-
ſeitigung der Grundlaſten, Frohnden und Zehnten nicht bloß im All-
gemeinen möglich ſei, ſondern auch ohne Benachtheiligung der
Berechtigten vor ſich gehen könne. Wir haben ſchon auf ſie hinge-
wieſen, und dürfen nur den Wunſch ausſprechen, daß ſie recht bald
einmal Gegenſtand der Beſprechung von kundiger Hand werden mögen.
Die zweite gehört den erſten dreißig Jahren unſeres Jahrhunderts
an. An der Spitze derſelben ſteht Thaer in ſeinen verſchiedenen land-
wirthſchaftlichen Werken; von ihm aus geht der dann alle Theile der
Volkswirthſchaftspflege durchziehende, in den verſchiedenſten Formen
wiederholte Beweis, deſſen geiſtige Baſis immer Adam Smith iſt, daß
die unfreie Arbeit die unproduktivſte ſei, und daß daher die
Aufhebung der Grundlaſten eine unabweisbare Bedingung des geſammten
Volkswohles werde. Wir dürfen für die einzelnen Citate auf Rau,
Volkswirthſchaftspflege von §. 53 an, Roſcher, Nationalökonomie II.
von §. 107, Mohl, Polizeiwiſſenſchaft II. 133 ff. und deſſen Litera-
tur der Staatswiſſenſchaft (a. a. O.), beſonders auf Bülau in ſeiner
ruhigen, klaren Weiſe: „Der Staat und der Landbau;“ ähnlich, aber
etwas verwiſchter, in ſeinem „Handbuch der Staatswirthſchaftslehre“
1835 §. 46 verweiſen; für den Norden ſpeciell auf Kochs Agrar-

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[188/0206] und die Ausbildung derſelben zu einer Wiſſenſchaft. Auf beide haben die beiden großen Schulen der Franzoſen und Engländer, die phyſio- kratiſchen und die Smith’ſchen Anſichten, entſcheidend eingewirkt. Jene, indem ſie namentlich in Deutſchland die Ueberzeugung hervorriefen, daß die Landwirthſchaft die Hauptquelle des Volks- und dadurch des Staatsreichthums ſei; dieſe, indem ſie für die ganze Volkswirthſchafts- lehre die Wahrheit zum Dogma erhoben, daß nur die möglichſte Frei- heit der wirthſchaftlichen Zuſtände den Flor der Volkswirthſchaft be- gründe. Aus dem Zuſammenwirken beider ging dann zunächſt der Eifer hervor, mit welchem ſich die Regierungen der Hebung der Land- wirthſchaft annahmen, die Organiſirung der „Landes-Oekonomie-Col- legien,“ die Aufnahme der ſpeciellen „Landwirthſchafts-Polizei“ in die Polizeiwiſſenſchaft und der Gedanke, daß der Staat das Recht habe, hier wie auf allen Punkten ſeiner Verwaltung mit ſeinen Geſetzen durchzugreifen. Da es ſich in Deutſchland nicht um eine Nacht des 4. Auguſts handeln konnte, ſo handelte es ſich um eine Beweisführung über die landwirthſchaftliche Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Entlaſtung. Dieſe Beweisführung hat die deutſche Literatur über- nommen und ſie wirklich geliefert. Man kann im Allgemeinen ſagen, daß die darauf bezügliche Literatur ſich in drei große, hiſtoriſch ein- ander folgende Gruppen ſcheidet. Die erſte umfaßt die Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts ſeit Juſti, welche nachweiſen, daß die Be- ſeitigung der Grundlaſten, Frohnden und Zehnten nicht bloß im All- gemeinen möglich ſei, ſondern auch ohne Benachtheiligung der Berechtigten vor ſich gehen könne. Wir haben ſchon auf ſie hinge- wieſen, und dürfen nur den Wunſch ausſprechen, daß ſie recht bald einmal Gegenſtand der Beſprechung von kundiger Hand werden mögen. Die zweite gehört den erſten dreißig Jahren unſeres Jahrhunderts an. An der Spitze derſelben ſteht Thaer in ſeinen verſchiedenen land- wirthſchaftlichen Werken; von ihm aus geht der dann alle Theile der Volkswirthſchaftspflege durchziehende, in den verſchiedenſten Formen wiederholte Beweis, deſſen geiſtige Baſis immer Adam Smith iſt, daß die unfreie Arbeit die unproduktivſte ſei, und daß daher die Aufhebung der Grundlaſten eine unabweisbare Bedingung des geſammten Volkswohles werde. Wir dürfen für die einzelnen Citate auf Rau, Volkswirthſchaftspflege von §. 53 an, Roſcher, Nationalökonomie II. von §. 107, Mohl, Polizeiwiſſenſchaft II. 133 ff. und deſſen Litera- tur der Staatswiſſenſchaft (a. a. O.), beſonders auf Bülau in ſeiner ruhigen, klaren Weiſe: „Der Staat und der Landbau;“ ähnlich, aber etwas verwiſchter, in ſeinem „Handbuch der Staatswirthſchaftslehre“ 1835 §. 46 verweiſen; für den Norden ſpeciell auf Kochs Agrar-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/206>, abgerufen am 24.11.2024.