Leibeigenschaft 1819 ist freilich bis auf Sugenheim nichts Bedeu- tendes in dieser Richtung geleistet. Allein die Vertretung der Ideen einer wirklichen Befreiung des Bauernstandes verflachen sich zu ziemlich allgemeinen Phrasen wie bei Jacob, Polizeiwissenschaft Th. II. §. 122, "daß kein Recht und kein Gesetz fortdauern solle, wenn die Umstände oder die Einsichten sich so verändern, daß es mit dem allgemeinen Staatszweck oder mit dem wesentlichen Rechte eines Gliedes des Staats in Widerspruch tritt." Energischer im Allgemeinen, aber nicht eingrei- fender im Einzelnen sind Rottecks Ansichten. Die großen Worte, welche namentlich im Anfange der zwanziger Jahre die von Rotteck und Welker vertretene Richtung namentlich des badischen Liberalismus in den Mund nahm ("heilloses Unrecht," "Zins der Sklaverei" u. s. w.) waren nicht geeignet, in dem sehr besonnen gewordenen Deutschland die Sache der Befreiung des Bauernstandes zu fördern. Der Ge- danke, daß die Grundlast ein "wohlerworbenes Recht" des Grundherrn sei, hätte ein viel tieferes Eingehen gefordert; die rechtshistorische Bil- dung war zu weit vorgeschritten, um nicht das einfache Zusammen- werfen von Leibeigenschaft, Frohnden und Zehnten, wie es z. B. von Rotteck (in der von ihm geschriebenen Fortsetzung vom Aretins Staatsrecht der constitutionellen Monarchie II. 1. S. 268--276) ge- schieht, als Gegenargument zu gebrauchen, und die weitere Forderung dieser Richtung, die am klarsten Rotteck selbst (a. a. O. S. 270) aus- spricht: "Von allen diesen Lasten aber fordert der Bauer die unent- geltliche Befreiung, eben darum, weil sie mit Unrecht ihm aufliegen und weil die Zumuthung des Loskaufs keine Freisprechung, sondern eine bekräftigte Verdammung ist," widersprach sogar den einfachen Grundbegriffen des Privateigenthums, da es durch die neuern Unter- suchungen unzweifelhaft ward, daß wenigstens ein Theil dieser Lasten wirklich ein rein privatrechtliches Verhältniß enthielt. Die Vertreter der Befreiung wurden durch jene Maßlosigkeit vielleicht viel mehr als durch die Gegner eingeschüchtert; denn die Natur des deutschen Geistes bringt es mit sich, daß er sich weit mehr vor dem Unrecht fürchtet, welches er durch Uebertretung oder durch historische Unkenntniß begeht, als vor dem, welches auf einem einseitigen System beruht. So sehen wir denn hier Mohls Ausspruch bestätigt, den er wunderlicher Weise dem oben angeführten fast unmittelbar voraufgehen läßt; "der große Antheil, den die Wissenschaft an den späteren Verbesserungen hat, unterliegt keinem Zweifel;" allein "sie sind mehr durch die allge- meine geistige Strömung der Zeit, als durch einzelne Bestrebungen hervorgerufen worden" (Literatur der Staatswissenschaft a. a. O. S. 318.) In der That haben weder Chr. Schlözer in seinem "Anfang der Staats-
Leibeigenſchaft 1819 iſt freilich bis auf Sugenheim nichts Bedeu- tendes in dieſer Richtung geleiſtet. Allein die Vertretung der Ideen einer wirklichen Befreiung des Bauernſtandes verflachen ſich zu ziemlich allgemeinen Phraſen wie bei Jacob, Polizeiwiſſenſchaft Th. II. §. 122, „daß kein Recht und kein Geſetz fortdauern ſolle, wenn die Umſtände oder die Einſichten ſich ſo verändern, daß es mit dem allgemeinen Staatszweck oder mit dem weſentlichen Rechte eines Gliedes des Staats in Widerſpruch tritt.“ Energiſcher im Allgemeinen, aber nicht eingrei- fender im Einzelnen ſind Rottecks Anſichten. Die großen Worte, welche namentlich im Anfange der zwanziger Jahre die von Rotteck und Welker vertretene Richtung namentlich des badiſchen Liberalismus in den Mund nahm („heilloſes Unrecht,“ „Zins der Sklaverei“ u. ſ. w.) waren nicht geeignet, in dem ſehr beſonnen gewordenen Deutſchland die Sache der Befreiung des Bauernſtandes zu fördern. Der Ge- danke, daß die Grundlaſt ein „wohlerworbenes Recht“ des Grundherrn ſei, hätte ein viel tieferes Eingehen gefordert; die rechtshiſtoriſche Bil- dung war zu weit vorgeſchritten, um nicht das einfache Zuſammen- werfen von Leibeigenſchaft, Frohnden und Zehnten, wie es z. B. von Rotteck (in der von ihm geſchriebenen Fortſetzung vom Aretins Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie II. 1. S. 268—276) ge- ſchieht, als Gegenargument zu gebrauchen, und die weitere Forderung dieſer Richtung, die am klarſten Rotteck ſelbſt (a. a. O. S. 270) aus- ſpricht: „Von allen dieſen Laſten aber fordert der Bauer die unent- geltliche Befreiung, eben darum, weil ſie mit Unrecht ihm aufliegen und weil die Zumuthung des Loskaufs keine Freiſprechung, ſondern eine bekräftigte Verdammung iſt,“ widerſprach ſogar den einfachen Grundbegriffen des Privateigenthums, da es durch die neuern Unter- ſuchungen unzweifelhaft ward, daß wenigſtens ein Theil dieſer Laſten wirklich ein rein privatrechtliches Verhältniß enthielt. Die Vertreter der Befreiung wurden durch jene Maßloſigkeit vielleicht viel mehr als durch die Gegner eingeſchüchtert; denn die Natur des deutſchen Geiſtes bringt es mit ſich, daß er ſich weit mehr vor dem Unrecht fürchtet, welches er durch Uebertretung oder durch hiſtoriſche Unkenntniß begeht, als vor dem, welches auf einem einſeitigen Syſtem beruht. So ſehen wir denn hier Mohls Ausſpruch beſtätigt, den er wunderlicher Weiſe dem oben angeführten faſt unmittelbar voraufgehen läßt; „der große Antheil, den die Wiſſenſchaft an den ſpäteren Verbeſſerungen hat, unterliegt keinem Zweifel;“ allein „ſie ſind mehr durch die allge- meine geiſtige Strömung der Zeit, als durch einzelne Beſtrebungen hervorgerufen worden“ (Literatur der Staatswiſſenſchaft a. a. O. S. 318.) In der That haben weder Chr. Schlözer in ſeinem „Anfang der Staats-
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Leibeigenſchaft 1819 iſt freilich bis auf Sugenheim nichts Bedeu-
tendes in dieſer Richtung geleiſtet. Allein die Vertretung der Ideen
einer wirklichen Befreiung des Bauernſtandes verflachen ſich zu ziemlich
allgemeinen Phraſen wie bei Jacob, Polizeiwiſſenſchaft Th. II. §. 122,
„daß kein Recht und kein Geſetz fortdauern ſolle, wenn die Umſtände
oder die Einſichten ſich ſo verändern, daß es mit dem allgemeinen
Staatszweck oder mit dem weſentlichen Rechte eines Gliedes des Staats
in Widerſpruch tritt.“ Energiſcher im Allgemeinen, aber nicht eingrei-
fender im Einzelnen ſind Rottecks Anſichten. Die großen Worte,
welche namentlich im Anfange der zwanziger Jahre die von Rotteck
und Welker vertretene Richtung namentlich des badiſchen Liberalismus
in den Mund nahm („heilloſes Unrecht,“ „Zins der Sklaverei“ u. ſ. w.)
waren nicht geeignet, in dem ſehr beſonnen gewordenen Deutſchland
die Sache der Befreiung des Bauernſtandes zu fördern. Der Ge-
danke, daß die Grundlaſt ein „wohlerworbenes Recht“ des Grundherrn
ſei, hätte ein viel tieferes Eingehen gefordert; die rechtshiſtoriſche Bil-
dung war zu weit vorgeſchritten, um nicht das einfache Zuſammen-
werfen von Leibeigenſchaft, Frohnden und Zehnten, wie es z. B. von
Rotteck (in der von ihm geſchriebenen Fortſetzung vom Aretins
Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie II. 1. S. 268—276) ge-
ſchieht, als Gegenargument zu gebrauchen, und die weitere Forderung
dieſer Richtung, die am klarſten Rotteck ſelbſt (a. a. O. S. 270) aus-
ſpricht: „Von allen dieſen Laſten aber fordert der Bauer die unent-
geltliche Befreiung, eben darum, weil ſie mit Unrecht ihm aufliegen
und weil die Zumuthung des Loskaufs keine Freiſprechung, ſondern
eine bekräftigte Verdammung iſt,“ widerſprach ſogar den einfachen
Grundbegriffen des Privateigenthums, da es durch die neuern Unter-
ſuchungen unzweifelhaft ward, daß wenigſtens ein Theil dieſer Laſten
wirklich ein rein privatrechtliches Verhältniß enthielt. Die Vertreter
der Befreiung wurden durch jene Maßloſigkeit vielleicht viel mehr als
durch die Gegner eingeſchüchtert; denn die Natur des deutſchen Geiſtes
bringt es mit ſich, daß er ſich weit mehr vor dem Unrecht fürchtet,
welches er durch Uebertretung oder durch hiſtoriſche Unkenntniß begeht,
als vor dem, welches auf einem einſeitigen Syſtem beruht. So ſehen
wir denn hier Mohls Ausſpruch beſtätigt, den er wunderlicher Weiſe
dem oben angeführten faſt unmittelbar voraufgehen läßt; „der große
Antheil, den die Wiſſenſchaft an den ſpäteren Verbeſſerungen hat,
unterliegt keinem Zweifel;“ allein „ſie ſind mehr durch die allge-
meine geiſtige Strömung der Zeit, als durch einzelne Beſtrebungen
hervorgerufen worden“ (Literatur der Staatswiſſenſchaft a. a. O. S. 318.)
In der That haben weder Chr. Schlözer in ſeinem „Anfang der Staats-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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