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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Westfeld: "Ueber die Abstellung der Herrendienste" 1773, die nach
Roscher a. a. O. die Vortheile der Berechtigten erhöhen will, konnte
sogar als Preisschrift gekrönt werden. So standen die Ansichten noch
am Ende des vorigen Jahrhunderts, und es ist merkwürdig, zu sehen,
wie die deutschen Autoren fast in dem Grade zaghafter werden, in
welchem die deutschen Verwaltungen ernsthafter daran denken, der glanz-
vollen Erscheinung Frankreichs und seiner staatsbürgerlichen Freiheit in
der Befreiung des Bauernstandes ein Gegengewicht zu geben. Selbst
die tüchtigsten Männer, die wir sonst hochachten müssen, erheben sich,
wie Berg in seinem Polizeirecht (1799) höchstens dazu, die Leib-
eigenschaft
für "ein erniedrigendes und gemeinschädliches Verhältniß"
zu erklären (I. Buch III. S. 418); er stellt noch fast schüchtern die
Frage: "Sollte die Staats-Polizeigewalt nicht überhaupt berechtigt sein,
die Leibeigenschaft gänzlich aufzuheben?" und kommt zu dem
ächt deutschen Schlusse: Wenn der Regent selbst Leibherr ist, so
kann er ohne Anstand seinen Unterthanen die Freiheit geben; sind
dagegen Bürger des Staats in dem Besitze der Leibherrschaft, so muß
für die damit verbundenen nützlichen Rechte ein billig mäßiger Er-
satz geleistet werden." Auf demselben Standpunkt steht Runde im
deutschen Privatrecht §. 553; speciell erörtert in Eggers Diss. de jure
imperantis libertatem personalem perfectam restituendi rusticis glebae
adscriptis
(1781); selbst Posse kommt nicht weiter (s. weitere, mir
unerreichbar gebliebene Literatur des vorigen Jahrhunderts bei Koch
Agrargesetzgebung, Einleitung. Was half es da, wenn Berg wieder
(in Bd. III.) eine ausführliche Lehre von der landwirthschaftlichen Polizei
und schöne Principien über die landwirthschaftliche Bildung aufstellte?
Hatten doch manche deutsche Verwaltungen gethan, was für jene
Göttinger Gelehrten noch kathedermäßig fraglich erschien (s. unten), und
während sie über das Recht disputirten, drangen die Franzosen über
den Rhein und rissen mit gewaltigen Händen nieder, was jene kaum
theoretisch anzuzweifeln wagten. Wie klein war in jener Zeit eine Ge-
lehrsamkeit, welche die bereits aufgestellte Frage nach der Beseitigung der
Frohnden fallen ließ, wo Frankreich durch seine bäuerliche Freiheit weit
mehr als durch die Taktik Napoleons der erste Staat Europas ward!

In der That ist es wohl nur dieser Zustand der Geister, dieser
Mangel an wahrhaft bürgerlichem Muthe selbst bei den hochgebildetsten
Männern, der uns die Vereinsamung Steins und seiner Turgot-
schen Verwaltung im Beginne unseres Jahrhunderts erklärt. Stein
war vielleicht der einzige Mann in ganz Preußen, der vollkommen klar
die Rettung Deutschlands allein in der Hebung seines Bauernstandes
und in der, nur dadurch möglichen Herstellung des freien und

Weſtfeld: „Ueber die Abſtellung der Herrendienſte“ 1773, die nach
Roſcher a. a. O. die Vortheile der Berechtigten erhöhen will, konnte
ſogar als Preisſchrift gekrönt werden. So ſtanden die Anſichten noch
am Ende des vorigen Jahrhunderts, und es iſt merkwürdig, zu ſehen,
wie die deutſchen Autoren faſt in dem Grade zaghafter werden, in
welchem die deutſchen Verwaltungen ernſthafter daran denken, der glanz-
vollen Erſcheinung Frankreichs und ſeiner ſtaatsbürgerlichen Freiheit in
der Befreiung des Bauernſtandes ein Gegengewicht zu geben. Selbſt
die tüchtigſten Männer, die wir ſonſt hochachten müſſen, erheben ſich,
wie Berg in ſeinem Polizeirecht (1799) höchſtens dazu, die Leib-
eigenſchaft
für „ein erniedrigendes und gemeinſchädliches Verhältniß“
zu erklären (I. Buch III. S. 418); er ſtellt noch faſt ſchüchtern die
Frage: „Sollte die Staats-Polizeigewalt nicht überhaupt berechtigt ſein,
die Leibeigenſchaft gänzlich aufzuheben?“ und kommt zu dem
ächt deutſchen Schluſſe: Wenn der Regent ſelbſt Leibherr iſt, ſo
kann er ohne Anſtand ſeinen Unterthanen die Freiheit geben; ſind
dagegen Bürger des Staats in dem Beſitze der Leibherrſchaft, ſo muß
für die damit verbundenen nützlichen Rechte ein billig mäßiger Er-
ſatz geleiſtet werden.“ Auf demſelben Standpunkt ſteht Runde im
deutſchen Privatrecht §. 553; ſpeciell erörtert in Eggers Diss. de jure
imperantis libertatem personalem perfectam restituendi rusticis glebae
adscriptis
(1781); ſelbſt Poſſe kommt nicht weiter (ſ. weitere, mir
unerreichbar gebliebene Literatur des vorigen Jahrhunderts bei Koch
Agrargeſetzgebung, Einleitung. Was half es da, wenn Berg wieder
(in Bd. III.) eine ausführliche Lehre von der landwirthſchaftlichen Polizei
und ſchöne Principien über die landwirthſchaftliche Bildung aufſtellte?
Hatten doch manche deutſche Verwaltungen gethan, was für jene
Göttinger Gelehrten noch kathedermäßig fraglich erſchien (ſ. unten), und
während ſie über das Recht diſputirten, drangen die Franzoſen über
den Rhein und riſſen mit gewaltigen Händen nieder, was jene kaum
theoretiſch anzuzweifeln wagten. Wie klein war in jener Zeit eine Ge-
lehrſamkeit, welche die bereits aufgeſtellte Frage nach der Beſeitigung der
Frohnden fallen ließ, wo Frankreich durch ſeine bäuerliche Freiheit weit
mehr als durch die Taktik Napoleons der erſte Staat Europas ward!

In der That iſt es wohl nur dieſer Zuſtand der Geiſter, dieſer
Mangel an wahrhaft bürgerlichem Muthe ſelbſt bei den hochgebildetſten
Männern, der uns die Vereinſamung Steins und ſeiner Turgot-
ſchen Verwaltung im Beginne unſeres Jahrhunderts erklärt. Stein
war vielleicht der einzige Mann in ganz Preußen, der vollkommen klar
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und in der, nur dadurch möglichen Herſtellung des freien und

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[182/0200] Weſtfeld: „Ueber die Abſtellung der Herrendienſte“ 1773, die nach Roſcher a. a. O. die Vortheile der Berechtigten erhöhen will, konnte ſogar als Preisſchrift gekrönt werden. So ſtanden die Anſichten noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, und es iſt merkwürdig, zu ſehen, wie die deutſchen Autoren faſt in dem Grade zaghafter werden, in welchem die deutſchen Verwaltungen ernſthafter daran denken, der glanz- vollen Erſcheinung Frankreichs und ſeiner ſtaatsbürgerlichen Freiheit in der Befreiung des Bauernſtandes ein Gegengewicht zu geben. Selbſt die tüchtigſten Männer, die wir ſonſt hochachten müſſen, erheben ſich, wie Berg in ſeinem Polizeirecht (1799) höchſtens dazu, die Leib- eigenſchaft für „ein erniedrigendes und gemeinſchädliches Verhältniß“ zu erklären (I. Buch III. S. 418); er ſtellt noch faſt ſchüchtern die Frage: „Sollte die Staats-Polizeigewalt nicht überhaupt berechtigt ſein, die Leibeigenſchaft gänzlich aufzuheben?“ und kommt zu dem ächt deutſchen Schluſſe: Wenn der Regent ſelbſt Leibherr iſt, ſo kann er ohne Anſtand ſeinen Unterthanen die Freiheit geben; ſind dagegen Bürger des Staats in dem Beſitze der Leibherrſchaft, ſo muß für die damit verbundenen nützlichen Rechte ein billig mäßiger Er- ſatz geleiſtet werden.“ Auf demſelben Standpunkt ſteht Runde im deutſchen Privatrecht §. 553; ſpeciell erörtert in Eggers Diss. de jure imperantis libertatem personalem perfectam restituendi rusticis glebae adscriptis (1781); ſelbſt Poſſe kommt nicht weiter (ſ. weitere, mir unerreichbar gebliebene Literatur des vorigen Jahrhunderts bei Koch Agrargeſetzgebung, Einleitung. Was half es da, wenn Berg wieder (in Bd. III.) eine ausführliche Lehre von der landwirthſchaftlichen Polizei und ſchöne Principien über die landwirthſchaftliche Bildung aufſtellte? Hatten doch manche deutſche Verwaltungen gethan, was für jene Göttinger Gelehrten noch kathedermäßig fraglich erſchien (ſ. unten), und während ſie über das Recht diſputirten, drangen die Franzoſen über den Rhein und riſſen mit gewaltigen Händen nieder, was jene kaum theoretiſch anzuzweifeln wagten. Wie klein war in jener Zeit eine Ge- lehrſamkeit, welche die bereits aufgeſtellte Frage nach der Beſeitigung der Frohnden fallen ließ, wo Frankreich durch ſeine bäuerliche Freiheit weit mehr als durch die Taktik Napoleons der erſte Staat Europas ward! In der That iſt es wohl nur dieſer Zuſtand der Geiſter, dieſer Mangel an wahrhaft bürgerlichem Muthe ſelbſt bei den hochgebildetſten Männern, der uns die Vereinſamung Steins und ſeiner Turgot- ſchen Verwaltung im Beginne unſeres Jahrhunderts erklärt. Stein war vielleicht der einzige Mann in ganz Preußen, der vollkommen klar die Rettung Deutſchlands allein in der Hebung ſeines Bauernſtandes und in der, nur dadurch möglichen Herſtellung des freien und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/200>, abgerufen am 22.11.2024.