Gebiete vielleicht mit einem sehr besonnenen, aber gewiß nicht glänzen- den Theile der Literatur zu thun haben. Der ganzen Entlastungsliteratur fehlt auf jedem Punkte die Initiative, und die Verwaltungen der deut- schen Staaten sind mit all ihrer ängstlichen Beschränkung auf das Un- vermeidliche dennoch den Schriftstellern des deutschen Volkes hier wesent- lich voraus gewesen.
Wir können nun in dieser Literatur die des vorigen Jahrhunderts von der des gegenwärtigen allerdings scheiden; aber wir müssen leider hinzufügen, daß die Arbeiten der siebziger Jahre keinen Schritt hinter den Ansichten zurückstehen, die wir noch unmittelbar vor 1848 in Werken wie Mohls Polizeiwissenschaft und andern wiederfinden. Der pragmatische Gang der Dinge ist nun im Wesentlichen folgender.
Der Beginn des literarischen Kampfes für die Befreiung des Bauern- standes lag in dem von uns bereits hervorgehobenen Kampf über die ursprüngliche bäuerliche Unfreiheit zwischen Estor und Hauschild, wenn man nicht allgemeinen und vagen Ansichten, wie die von Hugo Grotius (de Jure Belli et Pacis II. 5. 27), daß der Herr auch Verpflichtungen gegen den Leibeigenen habe, Bedeutung beilegen will. Gegen das Ende jenes rechtshistorischen Kampfes nämlich beginnen die großen Auffas- sungen der Physiokraten nach Deutschland herüber zu reichen. Turgots Ideen, Mirabeaus Buch über den Menschen, Arthur Youngs land- wirthschaftliche Reise nach Frankreich, die seiner Zeit viel besprochene Broschüre: Des inconvenients des droits feodaux 1776, in Paris durch Henkershand verbrannt, die erste praktische Anwendung der physiokra- tischen Lehren auf die bestehenden Rechtsverhältnisse der Bauern werden in Deutschland bekannt, und jetzt entsteht die erste Bewegung, die sich der Frage nach der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Frohnden zuwendet. Und hier dürfen wir mit Stolz auf den eigentlichen Gründer der deutschen Polizeiwissenschaft, Justi, hinweisen, der mit glänzender und warmer Ueberzeugung, freilich fast ganz allein stehend, die Sache der Befreiung des Bauernstandes versicht, und der fast allein Deutsch- land gegenüber Frankreich vertritt. Er sagt (Polizeiwissenschaft I. Bd. 1. Buch, Hauptstück V. §. 182): "Die Freiheit des Bürgers und aller Mitglieder des Staats ist gleichsam die erste wesentliche Eigenschaft aller bürgerlichen Verfassung. Die Staaten, worinnen ein Stand oder Klasse des Volkes der andern mit Unterthänigkeit oder Leibeigenschaft verwandt ist, haben eine so monströse Verfassung, die nur in den allerbar- barischesten Zeiten habe bestehen können, die aber gesittete und ver- nünftige Zeiten ohne Schaden nicht fortsetzen können." Daher "sollen die Bauern Eigenthümer der Landgüter sein" und dieß soll die Regierung durch hohe Besteurung der Besitzer unfreier Güter erzielen,
Gebiete vielleicht mit einem ſehr beſonnenen, aber gewiß nicht glänzen- den Theile der Literatur zu thun haben. Der ganzen Entlaſtungsliteratur fehlt auf jedem Punkte die Initiative, und die Verwaltungen der deut- ſchen Staaten ſind mit all ihrer ängſtlichen Beſchränkung auf das Un- vermeidliche dennoch den Schriftſtellern des deutſchen Volkes hier weſent- lich voraus geweſen.
Wir können nun in dieſer Literatur die des vorigen Jahrhunderts von der des gegenwärtigen allerdings ſcheiden; aber wir müſſen leider hinzufügen, daß die Arbeiten der ſiebziger Jahre keinen Schritt hinter den Anſichten zurückſtehen, die wir noch unmittelbar vor 1848 in Werken wie Mohls Polizeiwiſſenſchaft und andern wiederfinden. Der pragmatiſche Gang der Dinge iſt nun im Weſentlichen folgender.
Der Beginn des literariſchen Kampfes für die Befreiung des Bauern- ſtandes lag in dem von uns bereits hervorgehobenen Kampf über die urſprüngliche bäuerliche Unfreiheit zwiſchen Eſtor und Hauſchild, wenn man nicht allgemeinen und vagen Anſichten, wie die von Hugo Grotius (de Jure Belli et Pacis II. 5. 27), daß der Herr auch Verpflichtungen gegen den Leibeigenen habe, Bedeutung beilegen will. Gegen das Ende jenes rechtshiſtoriſchen Kampfes nämlich beginnen die großen Auffaſ- ſungen der Phyſiokraten nach Deutſchland herüber zu reichen. Turgots Ideen, Mirabeaus Buch über den Menſchen, Arthur Youngs land- wirthſchaftliche Reiſe nach Frankreich, die ſeiner Zeit viel beſprochene Broſchüre: Des inconvenients des droits feodaux 1776, in Paris durch Henkershand verbrannt, die erſte praktiſche Anwendung der phyſiokra- tiſchen Lehren auf die beſtehenden Rechtsverhältniſſe der Bauern werden in Deutſchland bekannt, und jetzt entſteht die erſte Bewegung, die ſich der Frage nach der Aufhebung der Leibeigenſchaft und der Frohnden zuwendet. Und hier dürfen wir mit Stolz auf den eigentlichen Gründer der deutſchen Polizeiwiſſenſchaft, Juſti, hinweiſen, der mit glänzender und warmer Ueberzeugung, freilich faſt ganz allein ſtehend, die Sache der Befreiung des Bauernſtandes verſicht, und der faſt allein Deutſch- land gegenüber Frankreich vertritt. Er ſagt (Polizeiwiſſenſchaft I. Bd. 1. Buch, Hauptſtück V. §. 182): „Die Freiheit des Bürgers und aller Mitglieder des Staats iſt gleichſam die erſte weſentliche Eigenſchaft aller bürgerlichen Verfaſſung. Die Staaten, worinnen ein Stand oder Klaſſe des Volkes der andern mit Unterthänigkeit oder Leibeigenſchaft verwandt iſt, haben eine ſo monſtröſe Verfaſſung, die nur in den allerbar- bariſcheſten Zeiten habe beſtehen können, die aber geſittete und ver- nünftige Zeiten ohne Schaden nicht fortſetzen können.“ Daher „ſollen die Bauern Eigenthümer der Landgüter ſein“ und dieß ſoll die Regierung durch hohe Beſteurung der Beſitzer unfreier Güter erzielen,
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Gebiete vielleicht mit einem ſehr beſonnenen, aber gewiß nicht glänzen-
den Theile der Literatur zu thun haben. Der ganzen Entlaſtungsliteratur
fehlt auf jedem Punkte die Initiative, und die Verwaltungen der deut-
ſchen Staaten ſind mit all ihrer ängſtlichen Beſchränkung auf das Un-
vermeidliche dennoch den Schriftſtellern des deutſchen Volkes hier weſent-
lich voraus geweſen.
Wir können nun in dieſer Literatur die des vorigen Jahrhunderts
von der des gegenwärtigen allerdings ſcheiden; aber wir müſſen leider
hinzufügen, daß die Arbeiten der ſiebziger Jahre keinen Schritt hinter
den Anſichten zurückſtehen, die wir noch unmittelbar vor 1848 in
Werken wie Mohls Polizeiwiſſenſchaft und andern wiederfinden. Der
pragmatiſche Gang der Dinge iſt nun im Weſentlichen folgender.
Der Beginn des literariſchen Kampfes für die Befreiung des Bauern-
ſtandes lag in dem von uns bereits hervorgehobenen Kampf über die
urſprüngliche bäuerliche Unfreiheit zwiſchen Eſtor und Hauſchild, wenn
man nicht allgemeinen und vagen Anſichten, wie die von Hugo Grotius
(de Jure Belli et Pacis II. 5. 27), daß der Herr auch Verpflichtungen
gegen den Leibeigenen habe, Bedeutung beilegen will. Gegen das Ende
jenes rechtshiſtoriſchen Kampfes nämlich beginnen die großen Auffaſ-
ſungen der Phyſiokraten nach Deutſchland herüber zu reichen. Turgots
Ideen, Mirabeaus Buch über den Menſchen, Arthur Youngs land-
wirthſchaftliche Reiſe nach Frankreich, die ſeiner Zeit viel beſprochene
Broſchüre: Des inconvenients des droits feodaux 1776, in Paris durch
Henkershand verbrannt, die erſte praktiſche Anwendung der phyſiokra-
tiſchen Lehren auf die beſtehenden Rechtsverhältniſſe der Bauern werden
in Deutſchland bekannt, und jetzt entſteht die erſte Bewegung, die ſich
der Frage nach der Aufhebung der Leibeigenſchaft und der Frohnden
zuwendet. Und hier dürfen wir mit Stolz auf den eigentlichen Gründer
der deutſchen Polizeiwiſſenſchaft, Juſti, hinweiſen, der mit glänzender
und warmer Ueberzeugung, freilich faſt ganz allein ſtehend, die Sache
der Befreiung des Bauernſtandes verſicht, und der faſt allein Deutſch-
land gegenüber Frankreich vertritt. Er ſagt (Polizeiwiſſenſchaft I. Bd.
1. Buch, Hauptſtück V. §. 182): „Die Freiheit des Bürgers und aller
Mitglieder des Staats iſt gleichſam die erſte weſentliche Eigenſchaft aller
bürgerlichen Verfaſſung. Die Staaten, worinnen ein Stand oder Klaſſe
des Volkes der andern mit Unterthänigkeit oder Leibeigenſchaft verwandt
iſt, haben eine ſo monſtröſe Verfaſſung, die nur in den allerbar-
bariſcheſten Zeiten habe beſtehen können, die aber geſittete und ver-
nünftige Zeiten ohne Schaden nicht fortſetzen können.“ Daher „ſollen
die Bauern Eigenthümer der Landgüter ſein“ und dieß ſoll die
Regierung durch hohe Beſteurung der Beſitzer unfreier Güter erzielen,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/198>, abgerufen am 27.07.2024.
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