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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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zum Durchbruch zu gelangen. Sie wird erzeugt durch die höhere Natur
des Lebens, vertreten von zum Theil sehr tüchtigen Persönlichkeiten,
getragen von der Wissenschaft der Gelehrten und von dem Interesse und
der Thätigkeit des Beamtenthums. Sie beginnt etwa mit dem 16. Jahr-
hundert. Sie ist auf allen Punkten zugleich thätig. Sie wird, kaum
entstanden, von dem Bewußtsein erfaßt, daß sie die Trägerin der
höchsten allgemeinen, sittlichen und wirthschaftlichen Interessen überhaupt
sei. Sie kann sich daher auch jenem großen Proceß, der jene Unfrei-
heit der Geschlechterordnung gleichsam krystallisirt, nicht entziehen. Mit
ihrem Auftreten beginnt daher eine neue Epoche für dieselbe. Sie ist
es, welche die Entscheidung zu bringen hat, da die unfrei gewordenen
Geschlechter sich selber nicht mehr helfen können.

Nun kann kein Lebendiges ganz sein Wesen verläugnen. Das Wesen
des die Staatsidee vertretenden Königthums aber ist es, in der möglichst
kräftigen und daher auch möglichst freien Entwicklung aller Angehörigen
des Staats seine eigene höchste Kraft und damit seine eigenen höchsten In-
teressen zu suchen. Das Königthum kann sich nicht verhehlen, daß wenn ein
Theil der Gesellschaft von einem andern beherrscht wird, es zuletzt selber
unter die Herrschaft des letzteren fallen muß. Es braucht das nicht
theoretisch zu wissen oder zu beweisen; sieht und hört ja doch der ein-
zelne Mensch, und weiß nicht, wie es geschieht. Es wird auch unbe-
wußt seiner Natur folgen, und hier das Seinige thun. Die Aufgabe
der Wissenschaft ist es nur, Wesen, Grund und Folge der Dinge zum
Bewußtsein zu bringen. Das ist sie jetzt, und das war sie auch da-
mals. Allerdings aber hatte das Königthum, indem es sich fast gleich-
zeitig mit seinem Entstehen jener Aufgabe der Befreiung der niederen
Geschlechterklassen zuwendet, in den gegebenen Verhältnissen einen ganz
bestimmten Anlaß, die Wissenschaft zu Hülfe zu rufen. Dieser aber lag
in dem Rechtsprincip selbst, auf welchem jene Unfreiheit beruhte.

In derselben Zeit nämlich, in der das Königthum und in ihm die
Staatsidee sich entwickeln, gestaltet sich auch das Rechtsverhältniß der
herrschenden Klasse aus einem vorwiegend öffentlichen zu einem privat-
rechtlichen um, wie wir gesehen haben. Wenn daher das junge König-
thum in diese Verhältnisse eingreifen will, so braucht es vor allem
Eins; es braucht einen andern Rechtstitel als den seiner abstracten
Hoheit, um in die zum Privatrecht des Grundherrn gewordene Unfrei-
heit der Bauern und Leibeigenen einzugreifen. Und dieser Rechtstitel ist
eben das Jus und Dominium eminens, das Obereigenthum, mit dessen
abstrakter Aufstellung der Kampf des Königthums gegen jene Unfrei-
heit beginnt. Das ist seine Stellung in der Geschichte der neuen
Staatsidee.


zum Durchbruch zu gelangen. Sie wird erzeugt durch die höhere Natur
des Lebens, vertreten von zum Theil ſehr tüchtigen Perſönlichkeiten,
getragen von der Wiſſenſchaft der Gelehrten und von dem Intereſſe und
der Thätigkeit des Beamtenthums. Sie beginnt etwa mit dem 16. Jahr-
hundert. Sie iſt auf allen Punkten zugleich thätig. Sie wird, kaum
entſtanden, von dem Bewußtſein erfaßt, daß ſie die Trägerin der
höchſten allgemeinen, ſittlichen und wirthſchaftlichen Intereſſen überhaupt
ſei. Sie kann ſich daher auch jenem großen Proceß, der jene Unfrei-
heit der Geſchlechterordnung gleichſam kryſtalliſirt, nicht entziehen. Mit
ihrem Auftreten beginnt daher eine neue Epoche für dieſelbe. Sie iſt
es, welche die Entſcheidung zu bringen hat, da die unfrei gewordenen
Geſchlechter ſich ſelber nicht mehr helfen können.

Nun kann kein Lebendiges ganz ſein Weſen verläugnen. Das Weſen
des die Staatsidee vertretenden Königthums aber iſt es, in der möglichſt
kräftigen und daher auch möglichſt freien Entwicklung aller Angehörigen
des Staats ſeine eigene höchſte Kraft und damit ſeine eigenen höchſten In-
tereſſen zu ſuchen. Das Königthum kann ſich nicht verhehlen, daß wenn ein
Theil der Geſellſchaft von einem andern beherrſcht wird, es zuletzt ſelber
unter die Herrſchaft des letzteren fallen muß. Es braucht das nicht
theoretiſch zu wiſſen oder zu beweiſen; ſieht und hört ja doch der ein-
zelne Menſch, und weiß nicht, wie es geſchieht. Es wird auch unbe-
wußt ſeiner Natur folgen, und hier das Seinige thun. Die Aufgabe
der Wiſſenſchaft iſt es nur, Weſen, Grund und Folge der Dinge zum
Bewußtſein zu bringen. Das iſt ſie jetzt, und das war ſie auch da-
mals. Allerdings aber hatte das Königthum, indem es ſich faſt gleich-
zeitig mit ſeinem Entſtehen jener Aufgabe der Befreiung der niederen
Geſchlechterklaſſen zuwendet, in den gegebenen Verhältniſſen einen ganz
beſtimmten Anlaß, die Wiſſenſchaft zu Hülfe zu rufen. Dieſer aber lag
in dem Rechtsprincip ſelbſt, auf welchem jene Unfreiheit beruhte.

In derſelben Zeit nämlich, in der das Königthum und in ihm die
Staatsidee ſich entwickeln, geſtaltet ſich auch das Rechtsverhältniß der
herrſchenden Klaſſe aus einem vorwiegend öffentlichen zu einem privat-
rechtlichen um, wie wir geſehen haben. Wenn daher das junge König-
thum in dieſe Verhältniſſe eingreifen will, ſo braucht es vor allem
Eins; es braucht einen andern Rechtstitel als den ſeiner abſtracten
Hoheit, um in die zum Privatrecht des Grundherrn gewordene Unfrei-
heit der Bauern und Leibeigenen einzugreifen. Und dieſer Rechtstitel iſt
eben das Jus und Dominium eminens, das Obereigenthum, mit deſſen
abſtrakter Aufſtellung der Kampf des Königthums gegen jene Unfrei-
heit beginnt. Das iſt ſeine Stellung in der Geſchichte der neuen
Staatsidee.


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[165/0183] zum Durchbruch zu gelangen. Sie wird erzeugt durch die höhere Natur des Lebens, vertreten von zum Theil ſehr tüchtigen Perſönlichkeiten, getragen von der Wiſſenſchaft der Gelehrten und von dem Intereſſe und der Thätigkeit des Beamtenthums. Sie beginnt etwa mit dem 16. Jahr- hundert. Sie iſt auf allen Punkten zugleich thätig. Sie wird, kaum entſtanden, von dem Bewußtſein erfaßt, daß ſie die Trägerin der höchſten allgemeinen, ſittlichen und wirthſchaftlichen Intereſſen überhaupt ſei. Sie kann ſich daher auch jenem großen Proceß, der jene Unfrei- heit der Geſchlechterordnung gleichſam kryſtalliſirt, nicht entziehen. Mit ihrem Auftreten beginnt daher eine neue Epoche für dieſelbe. Sie iſt es, welche die Entſcheidung zu bringen hat, da die unfrei gewordenen Geſchlechter ſich ſelber nicht mehr helfen können. Nun kann kein Lebendiges ganz ſein Weſen verläugnen. Das Weſen des die Staatsidee vertretenden Königthums aber iſt es, in der möglichſt kräftigen und daher auch möglichſt freien Entwicklung aller Angehörigen des Staats ſeine eigene höchſte Kraft und damit ſeine eigenen höchſten In- tereſſen zu ſuchen. Das Königthum kann ſich nicht verhehlen, daß wenn ein Theil der Geſellſchaft von einem andern beherrſcht wird, es zuletzt ſelber unter die Herrſchaft des letzteren fallen muß. Es braucht das nicht theoretiſch zu wiſſen oder zu beweiſen; ſieht und hört ja doch der ein- zelne Menſch, und weiß nicht, wie es geſchieht. Es wird auch unbe- wußt ſeiner Natur folgen, und hier das Seinige thun. Die Aufgabe der Wiſſenſchaft iſt es nur, Weſen, Grund und Folge der Dinge zum Bewußtſein zu bringen. Das iſt ſie jetzt, und das war ſie auch da- mals. Allerdings aber hatte das Königthum, indem es ſich faſt gleich- zeitig mit ſeinem Entſtehen jener Aufgabe der Befreiung der niederen Geſchlechterklaſſen zuwendet, in den gegebenen Verhältniſſen einen ganz beſtimmten Anlaß, die Wiſſenſchaft zu Hülfe zu rufen. Dieſer aber lag in dem Rechtsprincip ſelbſt, auf welchem jene Unfreiheit beruhte. In derſelben Zeit nämlich, in der das Königthum und in ihm die Staatsidee ſich entwickeln, geſtaltet ſich auch das Rechtsverhältniß der herrſchenden Klaſſe aus einem vorwiegend öffentlichen zu einem privat- rechtlichen um, wie wir geſehen haben. Wenn daher das junge König- thum in dieſe Verhältniſſe eingreifen will, ſo braucht es vor allem Eins; es braucht einen andern Rechtstitel als den ſeiner abſtracten Hoheit, um in die zum Privatrecht des Grundherrn gewordene Unfrei- heit der Bauern und Leibeigenen einzugreifen. Und dieſer Rechtstitel iſt eben das Jus und Dominium eminens, das Obereigenthum, mit deſſen abſtrakter Aufſtellung der Kampf des Königthums gegen jene Unfrei- heit beginnt. Das iſt ſeine Stellung in der Geſchichte der neuen Staatsidee.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/183>, abgerufen am 24.11.2024.