bauern und Freidörfer als die Reste der ursprünglichen Geschlechter- ordnung da, und halten und schützen zum großen Theil auch noch die übrigen Standesgenossen, die zwar unfrei, aber doch noch nicht unglück- lich sind. Da kam aber der dreißigjährige Krieg. Von ihm datirt sich das Unglück Deutschlands. Das Kaiserthum wird gebrochen, die ört- liche Souveränetät mit all ihrem Unheil entsteht; die karolingische Mon- archie geht zum zweitenmal unter. Aber fast noch schlimmer waren die Folgen für den Bauernstand. Der Bauer Deutschlands ward durch diesen Krieg in seinem Wohlstand vernichtet, und die Achtung vor ihm als Stand, die sich noch erhalten, ging im rohen Söldnerdienste un- rettbar verloren. Die Hufen lagen wüst, die Wohnhäuser waren abge- brannt, das Vieh erschlagen, die Söhne und Knechte zum Heere ge- laufen, Pestilenz und Elend, Armuth und Verzweiflung überall. Das Einzige, was da hätte helfen können, wäre ein landwirthschaftlicher Credit gewesen, um das Kapital für neue Kultur zu schaffen. Aber wer hatte das Geld um es zu leihen, wer hatte Grundbücher und Exe- kution, um Sicherheit zu geben, wer hatte regelrechten Absatz, um Zinsen und Amortisation zu bieten? So war keine Hoffnung für den Bauernstand, sich selbst zu helfen. Und während so mit dem Wohl- stande die Kraft desselben gebrochen wurde, ward es den Herren nunmehr leicht, die alten rechtlichen Gränzen zwischen den verschiedenen Klassen innerhalb des alten Bauernthums allmählig zu verwischen. Der Gedanke, daß jene Unterschiede ursprünglich specifische gewesen, verschwand. Die Unfreiheit ward als Princip angenommen, die Freiheit war die Aus- nahme, und die Bauern hatten keine Kraft mehr, sich dem zu widersetzen. Die herrschende Klasse hatte definitiv gesiegt; die Kluft zwischen Grund- herren und Bauern war eine unüberschreitbare geworden.
Dieß nun ist der Charakter des Entwicklungsganges im Allgemeinen. Er ist dem französischen derselben Epoche fast ganz gleich. Doch gibt es Einen Punkt, auf welchem sich auch hier Deutschland von Frank- reich unterscheidet, und der in seinen Folgen vieles recht unklar gemacht hat. Das ist dasjenige, was wir die Oertlichkeit jener Bewegung zur Unfreiheit nennen möchten. Deutschlands Zustände gehen bekanntlich durch das Verschwinden der kaiserlichen Macht von Jahrhundert zu Jahrhundert einer immer größeren Souveränetät auch der kleinen Reichsstände entgegen. Die Folge davon ist, da fast zweihundert dieser kleinen Reichsstände in der That nur kaiserlos gewordene Grundherren sind, daß auch die Gestalt, welche jene bäuerliche Unfreiheit annimmt, in jedem kleinen Reichstheile als eine ganz besondere und selbständige erscheint, die nach Ortsrecht und Ortsgewohnheit bestimmt ist und da- her auch eine große Menge verschiedener Namen empfängt, von dem
bauern und Freidörfer als die Reſte der urſprünglichen Geſchlechter- ordnung da, und halten und ſchützen zum großen Theil auch noch die übrigen Standesgenoſſen, die zwar unfrei, aber doch noch nicht unglück- lich ſind. Da kam aber der dreißigjährige Krieg. Von ihm datirt ſich das Unglück Deutſchlands. Das Kaiſerthum wird gebrochen, die ört- liche Souveränetät mit all ihrem Unheil entſteht; die karolingiſche Mon- archie geht zum zweitenmal unter. Aber faſt noch ſchlimmer waren die Folgen für den Bauernſtand. Der Bauer Deutſchlands ward durch dieſen Krieg in ſeinem Wohlſtand vernichtet, und die Achtung vor ihm als Stand, die ſich noch erhalten, ging im rohen Söldnerdienſte un- rettbar verloren. Die Hufen lagen wüſt, die Wohnhäuſer waren abge- brannt, das Vieh erſchlagen, die Söhne und Knechte zum Heere ge- laufen, Peſtilenz und Elend, Armuth und Verzweiflung überall. Das Einzige, was da hätte helfen können, wäre ein landwirthſchaftlicher Credit geweſen, um das Kapital für neue Kultur zu ſchaffen. Aber wer hatte das Geld um es zu leihen, wer hatte Grundbücher und Exe- kution, um Sicherheit zu geben, wer hatte regelrechten Abſatz, um Zinſen und Amortiſation zu bieten? So war keine Hoffnung für den Bauernſtand, ſich ſelbſt zu helfen. Und während ſo mit dem Wohl- ſtande die Kraft deſſelben gebrochen wurde, ward es den Herren nunmehr leicht, die alten rechtlichen Gränzen zwiſchen den verſchiedenen Klaſſen innerhalb des alten Bauernthums allmählig zu verwiſchen. Der Gedanke, daß jene Unterſchiede urſprünglich ſpecifiſche geweſen, verſchwand. Die Unfreiheit ward als Princip angenommen, die Freiheit war die Aus- nahme, und die Bauern hatten keine Kraft mehr, ſich dem zu widerſetzen. Die herrſchende Klaſſe hatte definitiv geſiegt; die Kluft zwiſchen Grund- herren und Bauern war eine unüberſchreitbare geworden.
Dieß nun iſt der Charakter des Entwicklungsganges im Allgemeinen. Er iſt dem franzöſiſchen derſelben Epoche faſt ganz gleich. Doch gibt es Einen Punkt, auf welchem ſich auch hier Deutſchland von Frank- reich unterſcheidet, und der in ſeinen Folgen vieles recht unklar gemacht hat. Das iſt dasjenige, was wir die Oertlichkeit jener Bewegung zur Unfreiheit nennen möchten. Deutſchlands Zuſtände gehen bekanntlich durch das Verſchwinden der kaiſerlichen Macht von Jahrhundert zu Jahrhundert einer immer größeren Souveränetät auch der kleinen Reichsſtände entgegen. Die Folge davon iſt, da faſt zweihundert dieſer kleinen Reichsſtände in der That nur kaiſerlos gewordene Grundherren ſind, daß auch die Geſtalt, welche jene bäuerliche Unfreiheit annimmt, in jedem kleinen Reichstheile als eine ganz beſondere und ſelbſtändige erſcheint, die nach Ortsrecht und Ortsgewohnheit beſtimmt iſt und da- her auch eine große Menge verſchiedener Namen empfängt, von dem
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bauern und Freidörfer als die Reſte der urſprünglichen Geſchlechter-
ordnung da, und halten und ſchützen zum großen Theil auch noch die
übrigen Standesgenoſſen, die zwar unfrei, aber doch noch nicht unglück-
lich ſind. Da kam aber der dreißigjährige Krieg. Von ihm datirt ſich
das Unglück Deutſchlands. Das Kaiſerthum wird gebrochen, die ört-
liche Souveränetät mit all ihrem Unheil entſteht; die karolingiſche Mon-
archie geht zum zweitenmal unter. Aber faſt noch ſchlimmer waren die
Folgen für den Bauernſtand. Der Bauer Deutſchlands ward durch
dieſen Krieg in ſeinem Wohlſtand vernichtet, und die Achtung vor ihm
als Stand, die ſich noch erhalten, ging im rohen Söldnerdienſte un-
rettbar verloren. Die Hufen lagen wüſt, die Wohnhäuſer waren abge-
brannt, das Vieh erſchlagen, die Söhne und Knechte zum Heere ge-
laufen, Peſtilenz und Elend, Armuth und Verzweiflung überall. Das
Einzige, was da hätte helfen können, wäre ein landwirthſchaftlicher
Credit geweſen, um das Kapital für neue Kultur zu ſchaffen. Aber
wer hatte das Geld um es zu leihen, wer hatte Grundbücher und Exe-
kution, um Sicherheit zu geben, wer hatte regelrechten Abſatz, um
Zinſen und Amortiſation zu bieten? So war keine Hoffnung für den
Bauernſtand, ſich ſelbſt zu helfen. Und während ſo mit dem Wohl-
ſtande die Kraft deſſelben gebrochen wurde, ward es den Herren nunmehr
leicht, die alten rechtlichen Gränzen zwiſchen den verſchiedenen Klaſſen
innerhalb des alten Bauernthums allmählig zu verwiſchen. Der Gedanke,
daß jene Unterſchiede urſprünglich ſpecifiſche geweſen, verſchwand. Die
Unfreiheit ward als Princip angenommen, die Freiheit war die Aus-
nahme, und die Bauern hatten keine Kraft mehr, ſich dem zu widerſetzen.
Die herrſchende Klaſſe hatte definitiv geſiegt; die Kluft zwiſchen Grund-
herren und Bauern war eine unüberſchreitbare geworden.
Dieß nun iſt der Charakter des Entwicklungsganges im Allgemeinen.
Er iſt dem franzöſiſchen derſelben Epoche faſt ganz gleich. Doch gibt
es Einen Punkt, auf welchem ſich auch hier Deutſchland von Frank-
reich unterſcheidet, und der in ſeinen Folgen vieles recht unklar gemacht
hat. Das iſt dasjenige, was wir die Oertlichkeit jener Bewegung zur
Unfreiheit nennen möchten. Deutſchlands Zuſtände gehen bekanntlich
durch das Verſchwinden der kaiſerlichen Macht von Jahrhundert zu
Jahrhundert einer immer größeren Souveränetät auch der kleinen
Reichsſtände entgegen. Die Folge davon iſt, da faſt zweihundert dieſer
kleinen Reichsſtände in der That nur kaiſerlos gewordene Grundherren
ſind, daß auch die Geſtalt, welche jene bäuerliche Unfreiheit annimmt,
in jedem kleinen Reichstheile als eine ganz beſondere und ſelbſtändige
erſcheint, die nach Ortsrecht und Ortsgewohnheit beſtimmt iſt und da-
her auch eine große Menge verſchiedener Namen empfängt, von dem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/172>, abgerufen am 28.11.2024.
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