betreffenden Passus hier wiedergeben zu sollen, weil -- mit oder ohne Bewußtsein -- die deutschen Grundentlastungen zum Theil die wört- lichen Wiederholungen desselben sind; so gewaltig hat die Natur der Sache gewirkt. Das erste Decret des 4. August sagt im Art. 1: "L'assemblee nationale detruit entierement le regime feodal, et de- crete que, dans les droits et devoirs tout feodaux que censuels, ceux qui tiennent a la main morte reelle ou personelle, et a la servitude personelle sont abolis sans indemnite, et tous autres de- clares rachetables." Das war der entscheidende, fast allein welthisto- risch wirksame Grundsatz der Revolution: es war der definitive Bruch der staatsbürgerlichen Gesellschaft mit der Stände- und Geschlechterord- nung. Der leitende Gedanke aber, und das unterscheidende Moment derselben von der reinen Revolution ist die Aufnahme des Princips der Entschädigung für alles, was nicht dem öffentlichen Recht an- gehört. So wird hier dieser Sieg der staatsbürgerlichen Gesellschaft zuerst zu einer Anwendung des Grundbegriffes der Entwährung. Ihr erstes und allgemeines Princip war daher allerdings die Aufhebung aller grund- und gutsherrlichen Rechte, Befugnisse und Lasten. Allein sie theilte diese Lasten in die zwei Theile, die durch das Wesen der- selben gefordert werden. Sie schied nämlich diejenigen Lasten, welche aus dem Lehnsrechte entstanden, von denen, deren nachweisbare Quelle ein privatrechtliches Vertragsverhältniß war. Sie fühlte vollkommen klar, daß die ersteren eigentlich allein eine einfache Aufhebung zuließen, da sie in der That den Widerspruch der Grundherrlichkeit enthielten, wornach öffentliche Rechte und Funktionen des Staats ein Privateigen- thum waren. Die Aufhebung derselben war ihrem Wesen nach nur ein Zurücknehmen dieser Rechte von Seiten des Staats, eine neue Or- ganisirung der Verwaltung desselben in Wirthschaft, Rechtspflege und Innerem. Alle diejenigen Lasten dagegen, deren Grund eine privat- rechtliche Verpflichtung war, wurden nicht ohne weiteres aufgehoben, sondern sollten vielmehr abgelöst werden; das ist, es sollte für sie eine Entschädigung, und zwar mit Eins zu Dreißig gegeben, und diese Entschädigung von Provinz zu Provinz eigends geregelt werden.
Zwei Gründe haben es nun bewirkt, daß dieses Gesetz nur halb, oder vielmehr seinem Geiste nach gar nicht zur Anwendung kam. Der erste lag in dem Geiste der socialen Bewegung selbst, die ihrerseits von absoluter Negation gegen jedes Recht, das die Grundlage der Ungleich- heit werden konnte, trunken, der herrschenden Klasse den Verlust an Vorrechten nicht mit dem Gewinn an Capital ersetzen wollte. Es ist diese Seite der Bewegung hinreichend gründlich dargestellt. Der zweite Grund dagegen war materieller Natur und verdient seine Beachtung,
betreffenden Paſſus hier wiedergeben zu ſollen, weil — mit oder ohne Bewußtſein — die deutſchen Grundentlaſtungen zum Theil die wört- lichen Wiederholungen deſſelben ſind; ſo gewaltig hat die Natur der Sache gewirkt. Das erſte Decret des 4. Auguſt ſagt im Art. 1: „L’assemblée nationale détruit entièrement le régime féodal, et de- créte que, dans les droits et devoirs tout féodaux que censuels, ceux qui tiennent à la main morte réelle ou personelle, et à la servitude personelle sont abolis sans indemnité, et tous autres de- clarés rachétables.“ Das war der entſcheidende, faſt allein welthiſto- riſch wirkſame Grundſatz der Revolution: es war der definitive Bruch der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft mit der Stände- und Geſchlechterord- nung. Der leitende Gedanke aber, und das unterſcheidende Moment derſelben von der reinen Revolution iſt die Aufnahme des Princips der Entſchädigung für alles, was nicht dem öffentlichen Recht an- gehört. So wird hier dieſer Sieg der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft zuerſt zu einer Anwendung des Grundbegriffes der Entwährung. Ihr erſtes und allgemeines Princip war daher allerdings die Aufhebung aller grund- und gutsherrlichen Rechte, Befugniſſe und Laſten. Allein ſie theilte dieſe Laſten in die zwei Theile, die durch das Weſen der- ſelben gefordert werden. Sie ſchied nämlich diejenigen Laſten, welche aus dem Lehnsrechte entſtanden, von denen, deren nachweisbare Quelle ein privatrechtliches Vertragsverhältniß war. Sie fühlte vollkommen klar, daß die erſteren eigentlich allein eine einfache Aufhebung zuließen, da ſie in der That den Widerſpruch der Grundherrlichkeit enthielten, wornach öffentliche Rechte und Funktionen des Staats ein Privateigen- thum waren. Die Aufhebung derſelben war ihrem Weſen nach nur ein Zurücknehmen dieſer Rechte von Seiten des Staats, eine neue Or- ganiſirung der Verwaltung deſſelben in Wirthſchaft, Rechtspflege und Innerem. Alle diejenigen Laſten dagegen, deren Grund eine privat- rechtliche Verpflichtung war, wurden nicht ohne weiteres aufgehoben, ſondern ſollten vielmehr abgelöst werden; das iſt, es ſollte für ſie eine Entſchädigung, und zwar mit Eins zu Dreißig gegeben, und dieſe Entſchädigung von Provinz zu Provinz eigends geregelt werden.
Zwei Gründe haben es nun bewirkt, daß dieſes Geſetz nur halb, oder vielmehr ſeinem Geiſte nach gar nicht zur Anwendung kam. Der erſte lag in dem Geiſte der ſocialen Bewegung ſelbſt, die ihrerſeits von abſoluter Negation gegen jedes Recht, das die Grundlage der Ungleich- heit werden konnte, trunken, der herrſchenden Klaſſe den Verluſt an Vorrechten nicht mit dem Gewinn an Capital erſetzen wollte. Es iſt dieſe Seite der Bewegung hinreichend gründlich dargeſtellt. Der zweite Grund dagegen war materieller Natur und verdient ſeine Beachtung,
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betreffenden Paſſus hier wiedergeben zu ſollen, weil — mit oder ohne
Bewußtſein — die deutſchen Grundentlaſtungen zum Theil die wört-
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Sache gewirkt. Das erſte Decret des 4. Auguſt ſagt im Art. 1:
„L’assemblée nationale détruit entièrement le régime féodal, et de-
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ceux qui tiennent à la main morte réelle ou personelle, et à la
servitude personelle sont abolis sans indemnité, et tous autres de-
clarés rachétables.“ Das war der entſcheidende, faſt allein welthiſto-
riſch wirkſame Grundſatz der Revolution: es war der definitive Bruch
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft mit der Stände- und Geſchlechterord-
nung. Der leitende Gedanke aber, und das unterſcheidende Moment
derſelben von der reinen Revolution iſt die Aufnahme des Princips
der Entſchädigung für alles, was nicht dem öffentlichen Recht an-
gehört. So wird hier dieſer Sieg der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft
zuerſt zu einer Anwendung des Grundbegriffes der Entwährung.
Ihr erſtes und allgemeines Princip war daher allerdings die Aufhebung
aller grund- und gutsherrlichen Rechte, Befugniſſe und Laſten. Allein
ſie theilte dieſe Laſten in die zwei Theile, die durch das Weſen der-
ſelben gefordert werden. Sie ſchied nämlich diejenigen Laſten, welche
aus dem Lehnsrechte entſtanden, von denen, deren nachweisbare Quelle
ein privatrechtliches Vertragsverhältniß war. Sie fühlte vollkommen
klar, daß die erſteren eigentlich allein eine einfache Aufhebung zuließen,
da ſie in der That den Widerſpruch der Grundherrlichkeit enthielten,
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ein Zurücknehmen dieſer Rechte von Seiten des Staats, eine neue Or-
ganiſirung der Verwaltung deſſelben in Wirthſchaft, Rechtspflege und
Innerem. Alle diejenigen Laſten dagegen, deren Grund eine privat-
rechtliche Verpflichtung war, wurden nicht ohne weiteres aufgehoben,
ſondern ſollten vielmehr abgelöst werden; das iſt, es ſollte für ſie
eine Entſchädigung, und zwar mit Eins zu Dreißig gegeben, und
dieſe Entſchädigung von Provinz zu Provinz eigends geregelt werden.
Zwei Gründe haben es nun bewirkt, daß dieſes Geſetz nur halb,
oder vielmehr ſeinem Geiſte nach gar nicht zur Anwendung kam. Der
erſte lag in dem Geiſte der ſocialen Bewegung ſelbſt, die ihrerſeits von
abſoluter Negation gegen jedes Recht, das die Grundlage der Ungleich-
heit werden konnte, trunken, der herrſchenden Klaſſe den Verluſt an
Vorrechten nicht mit dem Gewinn an Capital erſetzen wollte. Es iſt
dieſe Seite der Bewegung hinreichend gründlich dargeſtellt. Der zweite
Grund dagegen war materieller Natur und verdient ſeine Beachtung,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/166>, abgerufen am 27.11.2024.
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