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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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gipfelt: pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre
Roi.
Allein es ist merkwürdig -- im Grunde freilich ganz natürlich
-- wie alle diese Männer das Bewußtsein durchdringt, daß alle ihre
Wahrheiten wie ihre Vorschläge nutzlos sind, eine Ueberzeugung, die
selbst Turgot nicht bewältigen kann. Sie sind im höchsten Grade der
Beachtung werth, weil sie zeigen, wie da, wo es sich um eine Umge-
staltung der Gesellschaftsordnung handelt, auch die großartigste Systemi-
sirung von Maßregeln gegenüber der kommenden Auflösung hoffnungs-
los bleibt, und dieß Gefühl der Machtlosigkeit selbst in ihren schönsten
Momenten an der Stirn tragen. Daher darf es uns nicht wundern,
daß neben jenen mehr oder weniger praktischen Gedanken das Bewußt-
sein von einer unvermeidlichen Gefahr, von einer unmeßbaren Umge-
staltung der ganzen Gestalt des öffentlichen Rechtszustandes durchdrang.
In der That finden wir statt der ersten Versuche in Deutschland,
theils durch die Wissenschaft, theils durch die Gesetzgebung, eine frei-
willige Ablösung der unerschwinglichen Lasten des Bauernstandes und
eine Befreiung des letzteren anzubahnen, in Frankreich vielmehr in
den beiden Jahrzehnten vor der Revolution trübe, mahnende Vor-
ahnungen der kommenden Umwälzung bei den bedeutendsten Männern,
und es ist kein Zweifel, daß es gerade die physiokratische Schule war,
die diesen Gefühlen ihre concrete, volkswirthschaftliche Basis gab. So
sagt schon Quesnay selbst in seinen Maximes generales du Gouverne-
ment economique d'un Royaume agricole: "Qu'on ne diminue pas
l'aisance des dernieres classes des citoyens
(er meint die untersten
Klassen der Landleute), car elles ne pourraient pas assez contribuer
a la consommation des denrees qui ne peuvent etre consommees,

und bedeutsamer unter andern Mercier de la Riviere (Ordre naturel
et essentiel etc. T. I. p. 199. 280. 281. Ed. Dore): "Moderez votre
enthousiasme, aveugles admirateurs des faux produits de l'industrie.
Avant de crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont
pauvres, du moins malaises, les memes ouvriers qui ont l'art de
changer vingt sous en une valeur de mille ecus. Au profit de
qui passe donc cette multiplication enorme de valeurs? Quoi, ceux
par les mains desquels elle s'opere, ne connaissent pas l'aisance?
Ah, defiez-vous de ce contraste!
So bereitet sich allmählig das zweite
Stadium der obenbezeichneten Bewegung vor, das Stadium der rein
negativen, an einer Besserung der Dinge verzweifelnden Revolution,
Wir haben, seit unser Blick von den rein äußerlichen Thatsachen auf
die innere Bewegung der socialen Elemente gerichtet worden ist, uns
gewöhnt, jene geistigen Erscheinungen zu beachten und ihre hohe Wich-
tigkeit zu verstehen. Kein Werk über jene merkwürdige Epoche glaubt

gipfelt: pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre
Roi.
Allein es iſt merkwürdig — im Grunde freilich ganz natürlich
— wie alle dieſe Männer das Bewußtſein durchdringt, daß alle ihre
Wahrheiten wie ihre Vorſchläge nutzlos ſind, eine Ueberzeugung, die
ſelbſt Turgot nicht bewältigen kann. Sie ſind im höchſten Grade der
Beachtung werth, weil ſie zeigen, wie da, wo es ſich um eine Umge-
ſtaltung der Geſellſchaftsordnung handelt, auch die großartigſte Syſtemi-
ſirung von Maßregeln gegenüber der kommenden Auflöſung hoffnungs-
los bleibt, und dieß Gefühl der Machtloſigkeit ſelbſt in ihren ſchönſten
Momenten an der Stirn tragen. Daher darf es uns nicht wundern,
daß neben jenen mehr oder weniger praktiſchen Gedanken das Bewußt-
ſein von einer unvermeidlichen Gefahr, von einer unmeßbaren Umge-
ſtaltung der ganzen Geſtalt des öffentlichen Rechtszuſtandes durchdrang.
In der That finden wir ſtatt der erſten Verſuche in Deutſchland,
theils durch die Wiſſenſchaft, theils durch die Geſetzgebung, eine frei-
willige Ablöſung der unerſchwinglichen Laſten des Bauernſtandes und
eine Befreiung des letzteren anzubahnen, in Frankreich vielmehr in
den beiden Jahrzehnten vor der Revolution trübe, mahnende Vor-
ahnungen der kommenden Umwälzung bei den bedeutendſten Männern,
und es iſt kein Zweifel, daß es gerade die phyſiokratiſche Schule war,
die dieſen Gefühlen ihre concrete, volkswirthſchaftliche Baſis gab. So
ſagt ſchon Quesnay ſelbſt in ſeinen Maximes générales du Gouverne-
ment économique d’un Royaume agricole: „Qu’on ne diminue pas
l’aisance des dernières classes des citoyens
(er meint die unterſten
Klaſſen der Landleute), car elles ne pourraient pas assez contribuer
à la consommation des denrées qui ne peuvent être consommées,

und bedeutſamer unter andern Mercier de la Rivière (Ordre naturel
et essentiel etc. T. I. p. 199. 280. 281. Ed. Doré): „Modérez votre
enthousiasme, aveugles admirateurs des faux produits de l’industrie.
Avant de crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont
pauvres, du moins malaisés, les mêmes ouvriers qui ont l’art de
changer vingt sous en une valeur de mille écus. Au profit de
qui passe donc cette multiplication énorme de valeurs? Quoi, ceux
par les mains desquels elle s’opère, ne connaissent pas l’aisance?
Ah, defiez-vous de ce contraste!
So bereitet ſich allmählig das zweite
Stadium der obenbezeichneten Bewegung vor, das Stadium der rein
negativen, an einer Beſſerung der Dinge verzweifelnden Revolution,
Wir haben, ſeit unſer Blick von den rein äußerlichen Thatſachen auf
die innere Bewegung der ſocialen Elemente gerichtet worden iſt, uns
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tigkeit zu verſtehen. Kein Werk über jene merkwürdige Epoche glaubt

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[146/0164] gipfelt: pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre Roi. Allein es iſt merkwürdig — im Grunde freilich ganz natürlich — wie alle dieſe Männer das Bewußtſein durchdringt, daß alle ihre Wahrheiten wie ihre Vorſchläge nutzlos ſind, eine Ueberzeugung, die ſelbſt Turgot nicht bewältigen kann. Sie ſind im höchſten Grade der Beachtung werth, weil ſie zeigen, wie da, wo es ſich um eine Umge- ſtaltung der Geſellſchaftsordnung handelt, auch die großartigſte Syſtemi- ſirung von Maßregeln gegenüber der kommenden Auflöſung hoffnungs- los bleibt, und dieß Gefühl der Machtloſigkeit ſelbſt in ihren ſchönſten Momenten an der Stirn tragen. Daher darf es uns nicht wundern, daß neben jenen mehr oder weniger praktiſchen Gedanken das Bewußt- ſein von einer unvermeidlichen Gefahr, von einer unmeßbaren Umge- ſtaltung der ganzen Geſtalt des öffentlichen Rechtszuſtandes durchdrang. In der That finden wir ſtatt der erſten Verſuche in Deutſchland, theils durch die Wiſſenſchaft, theils durch die Geſetzgebung, eine frei- willige Ablöſung der unerſchwinglichen Laſten des Bauernſtandes und eine Befreiung des letzteren anzubahnen, in Frankreich vielmehr in den beiden Jahrzehnten vor der Revolution trübe, mahnende Vor- ahnungen der kommenden Umwälzung bei den bedeutendſten Männern, und es iſt kein Zweifel, daß es gerade die phyſiokratiſche Schule war, die dieſen Gefühlen ihre concrete, volkswirthſchaftliche Baſis gab. So ſagt ſchon Quesnay ſelbſt in ſeinen Maximes générales du Gouverne- ment économique d’un Royaume agricole: „Qu’on ne diminue pas l’aisance des dernières classes des citoyens (er meint die unterſten Klaſſen der Landleute), car elles ne pourraient pas assez contribuer à la consommation des denrées qui ne peuvent être consommées, und bedeutſamer unter andern Mercier de la Rivière (Ordre naturel et essentiel etc. T. I. p. 199. 280. 281. Ed. Doré): „Modérez votre enthousiasme, aveugles admirateurs des faux produits de l’industrie. Avant de crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont pauvres, du moins malaisés, les mêmes ouvriers qui ont l’art de changer vingt sous en une valeur de mille écus. Au profit de qui passe donc cette multiplication énorme de valeurs? Quoi, ceux par les mains desquels elle s’opère, ne connaissent pas l’aisance? Ah, defiez-vous de ce contraste! So bereitet ſich allmählig das zweite Stadium der obenbezeichneten Bewegung vor, das Stadium der rein negativen, an einer Beſſerung der Dinge verzweifelnden Revolution, Wir haben, ſeit unſer Blick von den rein äußerlichen Thatſachen auf die innere Bewegung der ſocialen Elemente gerichtet worden iſt, uns gewöhnt, jene geiſtigen Erſcheinungen zu beachten und ihre hohe Wich- tigkeit zu verſtehen. Kein Werk über jene merkwürdige Epoche glaubt

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/164>, abgerufen am 27.11.2024.