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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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gewerbliche Freibriefe aus, tritt auf allen Punkten mit seiner Gerichts-
barkeit neben die der seigneurs, und wird aus einem rechtlichen Princip
zu einem großen, mächtigen, verwaltenden Organismus. Wir haben
a. a. O. diesen Proceß den Entwicklungsgang, den Kampf und Sieg
des organischen Königthums genannt. Wir dürfen für das Einzelne
auf unsere eingehende Arbeit verweisen. Im Beginn des vierzehnten
Jahrhunderts ist dieser Proceß fast vollendet. Das Königthum hat die
Verwaltung des Reiches fast gewonnen, und das alleu ist fast schon
wie die tenure in capite in England, dem fief in Beziehung auf
öffentliche Rechte gleichgestellt, und nur noch ein privatrechtliches Ver-
hältniß der Grundherren geworden.

Allein die letztern haben die Gefahr, die von dieser Seite kam,
wohl gefühlt. Sie warten nur auf einen gelegenen Augenblick, um
die alte Stellung wieder zu gewinnen, und zugleich wo möglich alle
Rechte über die Hintersassen ohne Unterschied das alleu und fief gleich
zu machen. Diese Gelegenheit kam mit Ludwig X., genannt Hutin,
der dem großartigen Auftreten Philipps des Schönen folgte. In seiner
einjährigen, hülflosen Regierung (1315) tritt der gesammte Adel Frank-
reichs gegen das junge Königthum auf, und erzwingt von demselben
eine Menge von Zugeständnissen, welche wir im Großen und Ganzen
als die Herstellung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit bezeichnen können.
Diese Errungenschaft blieb dem Adel, trotz der energischen Thätigkeit
Philipps des Langen, der zwar das so beschränkte Königthum neu or-
ganisiren, aber ihm seine alte Stellung nicht wiedergeben konnte. Von
da bildet sich der Charakter der innern Zustände Frankreichs immer
bestimmter als der einfache Gegensatz zwischen Königthum und Grund-
herrschaft aus, während die Lage der niedern Klasse fast ganz aus dem
Gesichtskreise des erstern verschwindet. Seit Ludwig XI. ist nun der
Sieg und die Herrschaft des centralen Königthums über die Grund-
herren entschieden, aber die niedere Klasse ist dafür den letztern fast
ganz überantwortet; an sie denkt die Gesetzgebung fast gar nicht mehr.
Nur auf Einem Punkte hat sie Hochbedeutendes gewirkt, und hier be-
gegnen wir einer, dem deutschen Leben verwandten, wenn auch dasselbe
weit überragenden Erscheinung. Dieß ist die Aufzeichnung der cou-
tumes,
die vor allen Dingen zur Aufgabe hatten, so weit möglich die
allmählig herausgebildete Gränze der Rechte der seigneurs gegenüber
den verschiedenen Klassen der Hintersassen festzustellen, und somit ein
festes Recht an die Stelle der Willkür zu setzen. Allein eine Hülfe
brauchte das nicht, weil die Gerichtsbarkeit über die Anwen-
dung der
coutumes in den Händen desselben seigneurs blieb, der
ein beständiges Interesse daran hatte, sie in jedem einzelnen Falle zu

gewerbliche Freibriefe aus, tritt auf allen Punkten mit ſeiner Gerichts-
barkeit neben die der seigneurs, und wird aus einem rechtlichen Princip
zu einem großen, mächtigen, verwaltenden Organismus. Wir haben
a. a. O. dieſen Proceß den Entwicklungsgang, den Kampf und Sieg
des organiſchen Königthums genannt. Wir dürfen für das Einzelne
auf unſere eingehende Arbeit verweiſen. Im Beginn des vierzehnten
Jahrhunderts iſt dieſer Proceß faſt vollendet. Das Königthum hat die
Verwaltung des Reiches faſt gewonnen, und das alleu iſt faſt ſchon
wie die tenure in capite in England, dem fief in Beziehung auf
öffentliche Rechte gleichgeſtellt, und nur noch ein privatrechtliches Ver-
hältniß der Grundherren geworden.

Allein die letztern haben die Gefahr, die von dieſer Seite kam,
wohl gefühlt. Sie warten nur auf einen gelegenen Augenblick, um
die alte Stellung wieder zu gewinnen, und zugleich wo möglich alle
Rechte über die Hinterſaſſen ohne Unterſchied das alleu und fief gleich
zu machen. Dieſe Gelegenheit kam mit Ludwig X., genannt Hutin,
der dem großartigen Auftreten Philipps des Schönen folgte. In ſeiner
einjährigen, hülfloſen Regierung (1315) tritt der geſammte Adel Frank-
reichs gegen das junge Königthum auf, und erzwingt von demſelben
eine Menge von Zugeſtändniſſen, welche wir im Großen und Ganzen
als die Herſtellung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit bezeichnen können.
Dieſe Errungenſchaft blieb dem Adel, trotz der energiſchen Thätigkeit
Philipps des Langen, der zwar das ſo beſchränkte Königthum neu or-
ganiſiren, aber ihm ſeine alte Stellung nicht wiedergeben konnte. Von
da bildet ſich der Charakter der innern Zuſtände Frankreichs immer
beſtimmter als der einfache Gegenſatz zwiſchen Königthum und Grund-
herrſchaft aus, während die Lage der niedern Klaſſe faſt ganz aus dem
Geſichtskreiſe des erſtern verſchwindet. Seit Ludwig XI. iſt nun der
Sieg und die Herrſchaft des centralen Königthums über die Grund-
herren entſchieden, aber die niedere Klaſſe iſt dafür den letztern faſt
ganz überantwortet; an ſie denkt die Geſetzgebung faſt gar nicht mehr.
Nur auf Einem Punkte hat ſie Hochbedeutendes gewirkt, und hier be-
gegnen wir einer, dem deutſchen Leben verwandten, wenn auch daſſelbe
weit überragenden Erſcheinung. Dieß iſt die Aufzeichnung der cou-
tumes,
die vor allen Dingen zur Aufgabe hatten, ſo weit möglich die
allmählig herausgebildete Gränze der Rechte der seigneurs gegenüber
den verſchiedenen Klaſſen der Hinterſaſſen feſtzuſtellen, und ſomit ein
feſtes Recht an die Stelle der Willkür zu ſetzen. Allein eine Hülfe
brauchte das nicht, weil die Gerichtsbarkeit über die Anwen-
dung der
coutumes in den Händen deſſelben seigneurs blieb, der
ein beſtändiges Intereſſe daran hatte, ſie in jedem einzelnen Falle zu

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[144/0162] gewerbliche Freibriefe aus, tritt auf allen Punkten mit ſeiner Gerichts- barkeit neben die der seigneurs, und wird aus einem rechtlichen Princip zu einem großen, mächtigen, verwaltenden Organismus. Wir haben a. a. O. dieſen Proceß den Entwicklungsgang, den Kampf und Sieg des organiſchen Königthums genannt. Wir dürfen für das Einzelne auf unſere eingehende Arbeit verweiſen. Im Beginn des vierzehnten Jahrhunderts iſt dieſer Proceß faſt vollendet. Das Königthum hat die Verwaltung des Reiches faſt gewonnen, und das alleu iſt faſt ſchon wie die tenure in capite in England, dem fief in Beziehung auf öffentliche Rechte gleichgeſtellt, und nur noch ein privatrechtliches Ver- hältniß der Grundherren geworden. Allein die letztern haben die Gefahr, die von dieſer Seite kam, wohl gefühlt. Sie warten nur auf einen gelegenen Augenblick, um die alte Stellung wieder zu gewinnen, und zugleich wo möglich alle Rechte über die Hinterſaſſen ohne Unterſchied das alleu und fief gleich zu machen. Dieſe Gelegenheit kam mit Ludwig X., genannt Hutin, der dem großartigen Auftreten Philipps des Schönen folgte. In ſeiner einjährigen, hülfloſen Regierung (1315) tritt der geſammte Adel Frank- reichs gegen das junge Königthum auf, und erzwingt von demſelben eine Menge von Zugeſtändniſſen, welche wir im Großen und Ganzen als die Herſtellung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit bezeichnen können. Dieſe Errungenſchaft blieb dem Adel, trotz der energiſchen Thätigkeit Philipps des Langen, der zwar das ſo beſchränkte Königthum neu or- ganiſiren, aber ihm ſeine alte Stellung nicht wiedergeben konnte. Von da bildet ſich der Charakter der innern Zuſtände Frankreichs immer beſtimmter als der einfache Gegenſatz zwiſchen Königthum und Grund- herrſchaft aus, während die Lage der niedern Klaſſe faſt ganz aus dem Geſichtskreiſe des erſtern verſchwindet. Seit Ludwig XI. iſt nun der Sieg und die Herrſchaft des centralen Königthums über die Grund- herren entſchieden, aber die niedere Klaſſe iſt dafür den letztern faſt ganz überantwortet; an ſie denkt die Geſetzgebung faſt gar nicht mehr. Nur auf Einem Punkte hat ſie Hochbedeutendes gewirkt, und hier be- gegnen wir einer, dem deutſchen Leben verwandten, wenn auch daſſelbe weit überragenden Erſcheinung. Dieß iſt die Aufzeichnung der cou- tumes, die vor allen Dingen zur Aufgabe hatten, ſo weit möglich die allmählig herausgebildete Gränze der Rechte der seigneurs gegenüber den verſchiedenen Klaſſen der Hinterſaſſen feſtzuſtellen, und ſomit ein feſtes Recht an die Stelle der Willkür zu ſetzen. Allein eine Hülfe brauchte das nicht, weil die Gerichtsbarkeit über die Anwen- dung der coutumes in den Händen deſſelben seigneurs blieb, der ein beſtändiges Intereſſe daran hatte, ſie in jedem einzelnen Falle zu

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/162>, abgerufen am 24.11.2024.