derselbe Proceß in seinen Elementen sich vollzieht, der auf dem Con- tinente zu der gegenwärtigen Befreiung des Grundbesitzes geführt hat. Dann, daß der Unterschied dieses Processes von dem continentalen darin besteht, daß die öffentlich rechtlichen Funktionen der Verwaltung niemals zu einem Privatrecht der Grundherren geworden sind, und daß daher die Unfreiheit dort niemals eine so allgemeine und harte werden konnte, als auf dem Continent. Die englische Unfreiheit war daher wesentlich eine wirthschaftliche, und nur in so fern eine gesellschaftliche, und staatliche, als die wirthschaftliche Unfreiheit die letztere erzeugt. Und das nun sind die Gründe, aus denen Englands Selfgovernment her- vorgegangen ist. Wir aber haben geglaubt, etwas ausführlicher gerade auf diesem Gebiete sein zu dürfen, weil das, was wir die englische Agrarverfassung nennen, so oft in unklarer Weise dargestellt wird, indem man die copyhold noch oft, wie es selbst Gneist thut, als eine customary tenure bezeichnet, was ganz geeignet, die Vorstellungen zu verwirren. Freilich haben auch die Engländer selbst das Wesen des copyhold nicht ganz verstanden, da allerdings die Lasten der copy- hold formell noch immer auf der alten Court roll beruhen, und durch custom begründet sind, aber keinen unfreien, sondern nur einen mit Reallasten beschwerten freien Besitz begründen. Die übrigen deutschen Arbeiten, wie die von Maurer und Zöpfl, haben den Entwicklungsgang überhaupt, Sugenheim die Agrarverfassung nicht berücksichtigt. Es dürfte deßhalb die obige Darstellung für die Aufklärung über die inneren Zustände Englands ihren Werth haben.
Was nun Schottland und Irland betrifft, so fordern sie eigent- lich eine selbständige historische Bearbeitung, die uns hier zu weit führen würde. Doch werden die folgenden Bemerkungen wohl das Wesentliche im Anschluß an die Darstellung Englands charakterisiren. In Schott- land zunächst hat das englische feodal system niemals Platz gegriffen; der König war nie der höchste Eigenthümer des Landes. Daher galt für Schottland das continentale Princip des Lehnswesens, nach welchem der Grundherr zugleich das Privatrecht an den Funktionen der Ver- waltung hatte -- das ist, die Grundherrlichkeit mit der vollen privaten und strafrechtlichen Gerichtsbarkeit. Ja es waren sogar die Zehnten mit der Reformation nicht etwa aufgehoben, sondern wie auf dem Con- tinent an die Grundherrn übergegangen (seit 1560). Darin lag der Hauptgrund des unversöhnlichen Hasses der schottischen Grundherrn gegen die englische Herrschaft, und das Streben, die schottische Verwal- tung von der englischen so fern als möglich zu erhalten; darin auch der Grund der Treue an das Haus Stuart, da jene feudalen Vorrechte voraus- sichtlich nur durch ein, von den großen Grundherren gänzlich abhängiges
derſelbe Proceß in ſeinen Elementen ſich vollzieht, der auf dem Con- tinente zu der gegenwärtigen Befreiung des Grundbeſitzes geführt hat. Dann, daß der Unterſchied dieſes Proceſſes von dem continentalen darin beſteht, daß die öffentlich rechtlichen Funktionen der Verwaltung niemals zu einem Privatrecht der Grundherren geworden ſind, und daß daher die Unfreiheit dort niemals eine ſo allgemeine und harte werden konnte, als auf dem Continent. Die engliſche Unfreiheit war daher weſentlich eine wirthſchaftliche, und nur in ſo fern eine geſellſchaftliche, und ſtaatliche, als die wirthſchaftliche Unfreiheit die letztere erzeugt. Und das nun ſind die Gründe, aus denen Englands Selfgovernment her- vorgegangen iſt. Wir aber haben geglaubt, etwas ausführlicher gerade auf dieſem Gebiete ſein zu dürfen, weil das, was wir die engliſche Agrarverfaſſung nennen, ſo oft in unklarer Weiſe dargeſtellt wird, indem man die copyhold noch oft, wie es ſelbſt Gneiſt thut, als eine customary tenure bezeichnet, was ganz geeignet, die Vorſtellungen zu verwirren. Freilich haben auch die Engländer ſelbſt das Weſen des copyhold nicht ganz verſtanden, da allerdings die Laſten der copy- hold formell noch immer auf der alten Court roll beruhen, und durch custom begründet ſind, aber keinen unfreien, ſondern nur einen mit Reallaſten beſchwerten freien Beſitz begründen. Die übrigen deutſchen Arbeiten, wie die von Maurer und Zöpfl, haben den Entwicklungsgang überhaupt, Sugenheim die Agrarverfaſſung nicht berückſichtigt. Es dürfte deßhalb die obige Darſtellung für die Aufklärung über die inneren Zuſtände Englands ihren Werth haben.
Was nun Schottland und Irland betrifft, ſo fordern ſie eigent- lich eine ſelbſtändige hiſtoriſche Bearbeitung, die uns hier zu weit führen würde. Doch werden die folgenden Bemerkungen wohl das Weſentliche im Anſchluß an die Darſtellung Englands charakteriſiren. In Schott- land zunächſt hat das engliſche feodal system niemals Platz gegriffen; der König war nie der höchſte Eigenthümer des Landes. Daher galt für Schottland das continentale Princip des Lehnsweſens, nach welchem der Grundherr zugleich das Privatrecht an den Funktionen der Ver- waltung hatte — das iſt, die Grundherrlichkeit mit der vollen privaten und ſtrafrechtlichen Gerichtsbarkeit. Ja es waren ſogar die Zehnten mit der Reformation nicht etwa aufgehoben, ſondern wie auf dem Con- tinent an die Grundherrn übergegangen (ſeit 1560). Darin lag der Hauptgrund des unverſöhnlichen Haſſes der ſchottiſchen Grundherrn gegen die engliſche Herrſchaft, und das Streben, die ſchottiſche Verwal- tung von der engliſchen ſo fern als möglich zu erhalten; darin auch der Grund der Treue an das Haus Stuart, da jene feudalen Vorrechte voraus- ſichtlich nur durch ein, von den großen Grundherren gänzlich abhängiges
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Dann, daß der Unterſchied dieſes Proceſſes von dem continentalen
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niemals zu einem Privatrecht der Grundherren geworden ſind, und daß
daher die Unfreiheit dort niemals eine ſo allgemeine und harte werden
konnte, als auf dem Continent. Die engliſche Unfreiheit war daher
weſentlich eine wirthſchaftliche, und nur in ſo fern eine geſellſchaftliche,
und ſtaatliche, als die wirthſchaftliche Unfreiheit die letztere erzeugt. Und
das nun ſind die Gründe, aus denen Englands Selfgovernment her-
vorgegangen iſt. Wir aber haben geglaubt, etwas ausführlicher gerade
auf dieſem Gebiete ſein zu dürfen, weil das, was wir die engliſche
Agrarverfaſſung nennen, ſo oft in unklarer Weiſe dargeſtellt wird,
indem man die copyhold noch oft, wie es ſelbſt Gneiſt thut, als
eine customary tenure bezeichnet, was ganz geeignet, die Vorſtellungen
zu verwirren. Freilich haben auch die Engländer ſelbſt das Weſen des
copyhold nicht ganz verſtanden, da allerdings die Laſten der copy-
hold formell noch immer auf der alten Court roll beruhen, und durch
custom begründet ſind, aber keinen unfreien, ſondern nur einen mit
Reallaſten beſchwerten freien Beſitz begründen. Die übrigen deutſchen
Arbeiten, wie die von Maurer und Zöpfl, haben den Entwicklungsgang
überhaupt, Sugenheim die Agrarverfaſſung nicht berückſichtigt. Es
dürfte deßhalb die obige Darſtellung für die Aufklärung über die inneren
Zuſtände Englands ihren Werth haben.
Was nun Schottland und Irland betrifft, ſo fordern ſie eigent-
lich eine ſelbſtändige hiſtoriſche Bearbeitung, die uns hier zu weit führen
würde. Doch werden die folgenden Bemerkungen wohl das Weſentliche
im Anſchluß an die Darſtellung Englands charakteriſiren. In Schott-
land zunächſt hat das engliſche feodal system niemals Platz gegriffen;
der König war nie der höchſte Eigenthümer des Landes. Daher galt für
Schottland das continentale Princip des Lehnsweſens, nach welchem
der Grundherr zugleich das Privatrecht an den Funktionen der Ver-
waltung hatte — das iſt, die Grundherrlichkeit mit der vollen privaten
und ſtrafrechtlichen Gerichtsbarkeit. Ja es waren ſogar die Zehnten
mit der Reformation nicht etwa aufgehoben, ſondern wie auf dem Con-
tinent an die Grundherrn übergegangen (ſeit 1560). Darin lag der
Hauptgrund des unverſöhnlichen Haſſes der ſchottiſchen Grundherrn
gegen die engliſche Herrſchaft, und das Streben, die ſchottiſche Verwal-
tung von der engliſchen ſo fern als möglich zu erhalten; darin auch der
Grund der Treue an das Haus Stuart, da jene feudalen Vorrechte voraus-
ſichtlich nur durch ein, von den großen Grundherren gänzlich abhängiges
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/157>, abgerufen am 23.11.2024.
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