In manchen Fällen scheuten sich beide Theile davor, diese Leistungen vor Gericht zu bringen, und der Herr ließ dann den alten villein sitzen, ohne daß es zu irgend einer festern Rechtsbildung zwischen beiden kam, was man die tenants at suffrance nannte. Offenbar bildete nun die Gesammtheit dieser Fälle den Uebergang von dem copyhold zu dem freien Pachtvertrag, und da bei ihnen der Hinter- sasse stets von dem Willen des Grundherrn abhängt, so umfaßte man sie gleichfalls mit dem Gesammtausdruck "tenants by will," so daß der letztere jetzt im Grunde drei Klassen bedeutet, den copyhold, dem Rest der alten villeins, die nicht zu einer Fixirung ihrer servitia und daher auch nicht zum Eigenthum gelangt, und deßhalb jeden Augen- blick, oder doch beim Todesfall entfernbar waren, und endlich den wirklichen Pächter, den farmer, der auf Grundlage eines Vertrages auf dem Gute saß. Der will war im ersten Fall schon gemeinrechtlich in feste Last umgewandelt, im zweiten war er eigentlich reine Willkür, im dritten war ein Pachtvertrag, lease. Die Existenz der letzten beiden Formen war es nun, welche dem Lord noch seine Herrschaft über seine Hintersassen sicherte; zwar war die Abhängigkeit des feodal system und die persönliche Unfreiheit des villein in dieser zweiten Epoche ver- schwunden, allein die wirthschaftliche Abhängigkeit blieb. Und diese wirthschaftliche Abhängigkeit erzeugte ein Verhältniß, das faktisch dem der lehnsrechtlichen tenures und tenants ganz gleich war; es war der des durch den Besitz beherrschten Nichtbesitzes, auf den man daher den lehnsrechtlichen Begriff des "tenant" (by will) ohne weiteres neben dem des "estate" anwendete. So ist die Verschmelzung dieser Begriffe und die Unklarheit in den Vorstellungen entstanden, die uns neben der völligen Klarheit über das Lehnswesen so wie über das eigentliche rö- mische Recht des Miethvertrages schon bei den ältern wie Littleton, und nicht minder bei Blackstone überrascht; ja selbst die neuesten Schriftsteller sind durchaus nicht klar geworden, wovon Sugenheim Beispiele genug bietet.
Um sich nun hier eine definitive Grundlage zu schaffen, muß man festhalten, daß der eben bezeichnete Zustand der tenureoder der estate by will eben einen Uebergang von der Lehnsepoche zur staatsbür- gerlichen bildet, und daß dieser Uebergang seinerseits in dem allmäh- ligen Verschwinden der Reste der alten tenure by will besteht, indem ein förmlicher Pachtvertrag, oder eine copyhold, an die Stelle der rein auf der Willkür des Herrn beruhenden Stellung des tenant of will tritt. Denn namentlich dem Bauern war jeder landwirthschaftliche Aufschwung unmöglich, wenn kein festes Verhältniß zwischen ihm und dem Grundherrn eintrat; am Ende hatte aber auch der letztere indirekt
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 9
In manchen Fällen ſcheuten ſich beide Theile davor, dieſe Leiſtungen vor Gericht zu bringen, und der Herr ließ dann den alten villein ſitzen, ohne daß es zu irgend einer feſtern Rechtsbildung zwiſchen beiden kam, was man die tenants at suffrance nannte. Offenbar bildete nun die Geſammtheit dieſer Fälle den Uebergang von dem copyhold zu dem freien Pachtvertrag, und da bei ihnen der Hinter- ſaſſe ſtets von dem Willen des Grundherrn abhängt, ſo umfaßte man ſie gleichfalls mit dem Geſammtausdruck „tenants by will,“ ſo daß der letztere jetzt im Grunde drei Klaſſen bedeutet, den copyhold, dem Reſt der alten villeins, die nicht zu einer Fixirung ihrer servitia und daher auch nicht zum Eigenthum gelangt, und deßhalb jeden Augen- blick, oder doch beim Todesfall entfernbar waren, und endlich den wirklichen Pächter, den farmer, der auf Grundlage eines Vertrages auf dem Gute ſaß. Der will war im erſten Fall ſchon gemeinrechtlich in feſte Laſt umgewandelt, im zweiten war er eigentlich reine Willkür, im dritten war ein Pachtvertrag, lease. Die Exiſtenz der letzten beiden Formen war es nun, welche dem Lord noch ſeine Herrſchaft über ſeine Hinterſaſſen ſicherte; zwar war die Abhängigkeit des feodal system und die perſönliche Unfreiheit des villein in dieſer zweiten Epoche ver- ſchwunden, allein die wirthſchaftliche Abhängigkeit blieb. Und dieſe wirthſchaftliche Abhängigkeit erzeugte ein Verhältniß, das faktiſch dem der lehnsrechtlichen tenures und tenants ganz gleich war; es war der des durch den Beſitz beherrſchten Nichtbeſitzes, auf den man daher den lehnsrechtlichen Begriff des „tenant“ (by will) ohne weiteres neben dem des „estate“ anwendete. So iſt die Verſchmelzung dieſer Begriffe und die Unklarheit in den Vorſtellungen entſtanden, die uns neben der völligen Klarheit über das Lehnsweſen ſo wie über das eigentliche rö- miſche Recht des Miethvertrages ſchon bei den ältern wie Littleton, und nicht minder bei Blackſtone überraſcht; ja ſelbſt die neueſten Schriftſteller ſind durchaus nicht klar geworden, wovon Sugenheim Beiſpiele genug bietet.
Um ſich nun hier eine definitive Grundlage zu ſchaffen, muß man feſthalten, daß der eben bezeichnete Zuſtand der tenureoder der estate by will eben einen Uebergang von der Lehnsepoche zur ſtaatsbür- gerlichen bildet, und daß dieſer Uebergang ſeinerſeits in dem allmäh- ligen Verſchwinden der Reſte der alten tenure by will beſteht, indem ein förmlicher Pachtvertrag, oder eine copyhold, an die Stelle der rein auf der Willkür des Herrn beruhenden Stellung des tenant of will tritt. Denn namentlich dem Bauern war jeder landwirthſchaftliche Aufſchwung unmöglich, wenn kein feſtes Verhältniß zwiſchen ihm und dem Grundherrn eintrat; am Ende hatte aber auch der letztere indirekt
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 9
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In manchen Fällen ſcheuten ſich beide Theile davor, dieſe Leiſtungen
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beiden kam, was man die tenants at suffrance nannte. Offenbar
bildete nun die Geſammtheit dieſer Fälle den Uebergang von dem
copyhold zu dem freien Pachtvertrag, und da bei ihnen der Hinter-
ſaſſe ſtets von dem Willen des Grundherrn abhängt, ſo umfaßte man
ſie gleichfalls mit dem Geſammtausdruck „tenants by will,“ ſo daß
der letztere jetzt im Grunde drei Klaſſen bedeutet, den copyhold, dem
Reſt der alten villeins, die nicht zu einer Fixirung ihrer servitia und
daher auch nicht zum Eigenthum gelangt, und deßhalb jeden Augen-
blick, oder doch beim Todesfall entfernbar waren, und endlich den
wirklichen Pächter, den farmer, der auf Grundlage eines Vertrages
auf dem Gute ſaß. Der will war im erſten Fall ſchon gemeinrechtlich
in feſte Laſt umgewandelt, im zweiten war er eigentlich reine Willkür,
im dritten war ein Pachtvertrag, lease. Die Exiſtenz der letzten
beiden Formen war es nun, welche dem Lord noch ſeine Herrſchaft über
ſeine Hinterſaſſen ſicherte; zwar war die Abhängigkeit des feodal system
und die perſönliche Unfreiheit des villein in dieſer zweiten Epoche ver-
ſchwunden, allein die wirthſchaftliche Abhängigkeit blieb. Und
dieſe wirthſchaftliche Abhängigkeit erzeugte ein Verhältniß, das faktiſch
dem der lehnsrechtlichen tenures und tenants ganz gleich war; es war
der des durch den Beſitz beherrſchten Nichtbeſitzes, auf den man daher
den lehnsrechtlichen Begriff des „tenant“ (by will) ohne weiteres neben
dem des „estate“ anwendete. So iſt die Verſchmelzung dieſer Begriffe
und die Unklarheit in den Vorſtellungen entſtanden, die uns neben der
völligen Klarheit über das Lehnsweſen ſo wie über das eigentliche rö-
miſche Recht des Miethvertrages ſchon bei den ältern wie Littleton, und
nicht minder bei Blackſtone überraſcht; ja ſelbſt die neueſten Schriftſteller
ſind durchaus nicht klar geworden, wovon Sugenheim Beiſpiele genug
bietet.
Um ſich nun hier eine definitive Grundlage zu ſchaffen, muß man
feſthalten, daß der eben bezeichnete Zuſtand der tenure oder der estate
by will eben einen Uebergang von der Lehnsepoche zur ſtaatsbür-
gerlichen bildet, und daß dieſer Uebergang ſeinerſeits in dem allmäh-
ligen Verſchwinden der Reſte der alten tenure by will beſteht, indem
ein förmlicher Pachtvertrag, oder eine copyhold, an die Stelle der
rein auf der Willkür des Herrn beruhenden Stellung des tenant of
will tritt. Denn namentlich dem Bauern war jeder landwirthſchaftliche
Aufſchwung unmöglich, wenn kein feſtes Verhältniß zwiſchen ihm und
dem Grundherrn eintrat; am Ende hatte aber auch der letztere indirekt
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 9
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/147>, abgerufen am 16.02.2025.
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