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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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die obige, eigentliche Sicherheits- und Rechtspolizei mit der Polizei
gegen den Geist der Presse ohne weiteres zusammengeworfen, und
mithin das Recht der Polizei auf Mittheilung der Pflichtexemplare, der
Kaution, der Beschlagnahme, unter demselben Gesichtspunkt auf-
gefaßt, wie die Censur, alles mit dem gemeinsamen Namen der
Polizei belegend. Der Grund dieser Auffassung war ein doppelter.
Einerseits, wie die Geschichte der Verwaltungslehre zeigt, begriff man
alles, was der Staat außerhalb der Staatswirthschaft in der Rechts-
pflege zu thun hatte, als Polizei; andrerseits gab es aber keinen festen
Begriff von Preßfreiheit, durch welchen man die berechtigte von der
unfreien Preßpolizei hätte unterscheiden können. Dazu kam, daß die
eigentliche Jurisprudenz sich wie schon gesagt, weder mit der Polizei
überhaupt, noch mit dem Preßrecht, beschäftigte, die doch allein im
Stande gewesen wäre, hier Ordnung und Klarheit in die Begriffe zu
bringen. Das hat zur Folge gehabt, daß in manchen Vorstellungen
die Freiheit der Presse als vollständige Beseitigung jeder polizeilichen
Maßregel aufgefaßt wurde (John, Gutachten, Verhandlungen des
sechsten deutschen Juristentages S. 318 ff.), was natürlich nur durch
Mangel an Verständniß der Polizei und ihres organischen Rechts erklärt
werden kann. Andrerseits wird dadurch die Stellung des geltenden
Preßrechts unter dem Gesammtbegriff der Polizei in der Literatur ent-
schieden. Während das vorige Jahrhundert es noch versteht, daß die
Presse überhaupt ein Culturelement ist und daher unter das Bildungs-
wesen gereiht und als organischer Theil desselben begriffen werden
muß, wie bei Berg (Polizeirecht Bd. II. 3. Buch) das ganze Preßrecht
als Theil der "Unterrichtspolizei" aufgeführt wird, hat das neunzehnte
das ganze Preßwesen principiell -- mit wenig Ausnahmen (s. unten)
als Theil des Polizeirechts, beziehungsweise der Polizeihoheit hingestellt;
so namentlich Klüber im Oeffentlichen Recht des Deutschen Bundes
§. 503; Maurenbrecher Staatsrecht §. 56 und §. 196; Pölitz,
Staatswissenschaft II. Bd. über Sicherheits- und Ordnungspolizei
S. 488; selbst Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II. Bd.
S. 165 trotz ihrer im Uebrigen divergirenden Auffassung. Dadurch
verlor man das richtige Urtheil so weit, daß Mohl, der das Preßrecht
in seinem Württembergischen Staatsrecht I. Bd. §. 72. 73. als
Allgemeines Staatsbürgerrecht behandelt, dasselbe in seiner Polizei-
wissenschaft wieder unbeschränkt unter die Präventivjustiz stellt (III. Bd.
§. 13). Man sah nicht, daß diese "Polizei" eben einen wesentlich doppel-
ten Inhalt hat, und daß während die erste -- die eigentliche Preßpolizei
-- ein vollkommen berechtigter ist, der zweite von Wissenschaft und
Praxis als Beschränkung der Preßfreiheit eben so energisch verurtheilt

die obige, eigentliche Sicherheits- und Rechtspolizei mit der Polizei
gegen den Geiſt der Preſſe ohne weiteres zuſammengeworfen, und
mithin das Recht der Polizei auf Mittheilung der Pflichtexemplare, der
Kaution, der Beſchlagnahme, unter demſelben Geſichtspunkt auf-
gefaßt, wie die Cenſur, alles mit dem gemeinſamen Namen der
Polizei belegend. Der Grund dieſer Auffaſſung war ein doppelter.
Einerſeits, wie die Geſchichte der Verwaltungslehre zeigt, begriff man
alles, was der Staat außerhalb der Staatswirthſchaft in der Rechts-
pflege zu thun hatte, als Polizei; andrerſeits gab es aber keinen feſten
Begriff von Preßfreiheit, durch welchen man die berechtigte von der
unfreien Preßpolizei hätte unterſcheiden können. Dazu kam, daß die
eigentliche Jurisprudenz ſich wie ſchon geſagt, weder mit der Polizei
überhaupt, noch mit dem Preßrecht, beſchäftigte, die doch allein im
Stande geweſen wäre, hier Ordnung und Klarheit in die Begriffe zu
bringen. Das hat zur Folge gehabt, daß in manchen Vorſtellungen
die Freiheit der Preſſe als vollſtändige Beſeitigung jeder polizeilichen
Maßregel aufgefaßt wurde (John, Gutachten, Verhandlungen des
ſechsten deutſchen Juriſtentages S. 318 ff.), was natürlich nur durch
Mangel an Verſtändniß der Polizei und ihres organiſchen Rechts erklärt
werden kann. Andrerſeits wird dadurch die Stellung des geltenden
Preßrechts unter dem Geſammtbegriff der Polizei in der Literatur ent-
ſchieden. Während das vorige Jahrhundert es noch verſteht, daß die
Preſſe überhaupt ein Culturelement iſt und daher unter das Bildungs-
weſen gereiht und als organiſcher Theil deſſelben begriffen werden
muß, wie bei Berg (Polizeirecht Bd. II. 3. Buch) das ganze Preßrecht
als Theil der „Unterrichtspolizei“ aufgeführt wird, hat das neunzehnte
das ganze Preßweſen principiell — mit wenig Ausnahmen (ſ. unten)
als Theil des Polizeirechts, beziehungsweiſe der Polizeihoheit hingeſtellt;
ſo namentlich Klüber im Oeffentlichen Recht des Deutſchen Bundes
§. 503; Maurenbrecher Staatsrecht §. 56 und §. 196; Pölitz,
Staatswiſſenſchaft II. Bd. über Sicherheits- und Ordnungspolizei
S. 488; ſelbſt Zachariä, Deutſches Staats- und Bundesrecht II. Bd.
S. 165 trotz ihrer im Uebrigen divergirenden Auffaſſung. Dadurch
verlor man das richtige Urtheil ſo weit, daß Mohl, der das Preßrecht
in ſeinem Württembergiſchen Staatsrecht I. Bd. §. 72. 73. als
Allgemeines Staatsbürgerrecht behandelt, daſſelbe in ſeiner Polizei-
wiſſenſchaft wieder unbeſchränkt unter die Präventivjuſtiz ſtellt (III. Bd.
§. 13). Man ſah nicht, daß dieſe „Polizei“ eben einen weſentlich doppel-
ten Inhalt hat, und daß während die erſte — die eigentliche Preßpolizei
— ein vollkommen berechtigter iſt, der zweite von Wiſſenſchaft und
Praxis als Beſchränkung der Preßfreiheit eben ſo energiſch verurtheilt

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[72/0088] die obige, eigentliche Sicherheits- und Rechtspolizei mit der Polizei gegen den Geiſt der Preſſe ohne weiteres zuſammengeworfen, und mithin das Recht der Polizei auf Mittheilung der Pflichtexemplare, der Kaution, der Beſchlagnahme, unter demſelben Geſichtspunkt auf- gefaßt, wie die Cenſur, alles mit dem gemeinſamen Namen der Polizei belegend. Der Grund dieſer Auffaſſung war ein doppelter. Einerſeits, wie die Geſchichte der Verwaltungslehre zeigt, begriff man alles, was der Staat außerhalb der Staatswirthſchaft in der Rechts- pflege zu thun hatte, als Polizei; andrerſeits gab es aber keinen feſten Begriff von Preßfreiheit, durch welchen man die berechtigte von der unfreien Preßpolizei hätte unterſcheiden können. Dazu kam, daß die eigentliche Jurisprudenz ſich wie ſchon geſagt, weder mit der Polizei überhaupt, noch mit dem Preßrecht, beſchäftigte, die doch allein im Stande geweſen wäre, hier Ordnung und Klarheit in die Begriffe zu bringen. Das hat zur Folge gehabt, daß in manchen Vorſtellungen die Freiheit der Preſſe als vollſtändige Beſeitigung jeder polizeilichen Maßregel aufgefaßt wurde (John, Gutachten, Verhandlungen des ſechsten deutſchen Juriſtentages S. 318 ff.), was natürlich nur durch Mangel an Verſtändniß der Polizei und ihres organiſchen Rechts erklärt werden kann. Andrerſeits wird dadurch die Stellung des geltenden Preßrechts unter dem Geſammtbegriff der Polizei in der Literatur ent- ſchieden. Während das vorige Jahrhundert es noch verſteht, daß die Preſſe überhaupt ein Culturelement iſt und daher unter das Bildungs- weſen gereiht und als organiſcher Theil deſſelben begriffen werden muß, wie bei Berg (Polizeirecht Bd. II. 3. Buch) das ganze Preßrecht als Theil der „Unterrichtspolizei“ aufgeführt wird, hat das neunzehnte das ganze Preßweſen principiell — mit wenig Ausnahmen (ſ. unten) als Theil des Polizeirechts, beziehungsweiſe der Polizeihoheit hingeſtellt; ſo namentlich Klüber im Oeffentlichen Recht des Deutſchen Bundes §. 503; Maurenbrecher Staatsrecht §. 56 und §. 196; Pölitz, Staatswiſſenſchaft II. Bd. über Sicherheits- und Ordnungspolizei S. 488; ſelbſt Zachariä, Deutſches Staats- und Bundesrecht II. Bd. S. 165 trotz ihrer im Uebrigen divergirenden Auffaſſung. Dadurch verlor man das richtige Urtheil ſo weit, daß Mohl, der das Preßrecht in ſeinem Württembergiſchen Staatsrecht I. Bd. §. 72. 73. als Allgemeines Staatsbürgerrecht behandelt, daſſelbe in ſeiner Polizei- wiſſenſchaft wieder unbeſchränkt unter die Präventivjuſtiz ſtellt (III. Bd. §. 13). Man ſah nicht, daß dieſe „Polizei“ eben einen weſentlich doppel- ten Inhalt hat, und daß während die erſte — die eigentliche Preßpolizei — ein vollkommen berechtigter iſt, der zweite von Wiſſenſchaft und Praxis als Beſchränkung der Preßfreiheit eben ſo energiſch verurtheilt

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/88>, abgerufen am 24.11.2024.