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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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das wirkliche Leben erst da praktisch, wo es sich darum handelt, dieß
Recht der geistigen That concret zu bestimmen und ihre wirklichen, für
den Urheber der That äußerlich geltenden Folgen festzusetzen.

Der geschichtliche Gang der Dinge hat es nun mit sich gebracht,
daß man überhaupt diese ganze Frage nur von der Seite der rechts-
verletzenden geistigen Thätigkeiten aufgefaßt hat. Man hat die Frage
bisher psychologisch und juristisch noch gar nicht gestellt, ob es denn
auch wirklich eine geistige That gebe und mithin auch die, ob sie als
solche ein Recht haben könne. Ohne hier weiter auf eine psychologische
Untersuchung einzugehen, werden wir uns damit genügen lassen, auf
dasjenige Gebiet hinzuweisen, wo dieselbe, wenn auch nicht gerade
philosophisch, so doch praktisch und seit Jahrtausenden anerkannt ist.
Das ist das bürgerliche Recht. Jene geistige That ist nämlich wie
jede That zuerst eine wirthschaftliche, und erst in zweiter Reihe eine
öffentliche. Die wirthschaftliche geistige, gegenüber der andern sich als
Selbstbestimmung äußernde That ist nämlich nichts anderes, als die
Zustimmung zu einem Vertrage, und das Recht der wirthschaftlichen
geistigen That ist das Vertragsrecht. Die wirthschaftliche Arbeit da-
gegen, die sich für den Andern äußert und auf seine wirthschaftliche
Lebenssphäre Einfluß zu gewinnen strebt, ist die Verhandlung in allen
Formen. Auch hiefür gilt das obige Princip. Die That -- der Ver-
trag -- erzeugt ein Recht; sie bindet; die Verhandlung -- die Arbeit --
bindet nicht; sie ist frei. Das nun, was hier ganz unzweifelhaft gilt,
gilt naturgemäß auch für die geistige That, welche die geistige Lebens-
sphäre des Andern verletzt, statt mit ihr durch die Selbstbestimmung
desselben im Vertrage zum gegenseitig geltenden Recht zu gelangen.
Auch diese Verletzung hat nothwendig ihre rechtlichen Folgen. Und das
Preßrecht besteht daher aus der Gesammtheit der rechtlichen
Folgen der Verletzung des geistigen Lebens einer andern
Persönlichkeit durch die in der Presse erscheinende geistige
That
, während die geistige Arbeit weder rechtliche Folgen hat noch
haben soll. -- Es ist dabei nicht überflüssig, speziell anzuführen, daß
in diesem Sinn das Preßrecht nicht eben das einzige Gebiet des Rechts
der geistigen That bildet, so wenig wie der schriftliche Abschluß eines
Vertrages allein das Vertragsrecht erzeugt. Es ist nur ein Theil des
letzteren, und enthält seinem Wesen nach nur diejenigen Modificationen
jenes allgemeinen Rechts, welche nicht mehr durch den Inhalt dieser
That, sondern bloß durch die Form ihrer Erscheinung, die Verviel-
fältigung im Drucke
, begründet sind. Freilich ist dieser Satz für
die Geschichte, wenn auch nicht für den Begriff des Preßrechts, in hohem
Grade entscheidend geworden.

das wirkliche Leben erſt da praktiſch, wo es ſich darum handelt, dieß
Recht der geiſtigen That concret zu beſtimmen und ihre wirklichen, für
den Urheber der That äußerlich geltenden Folgen feſtzuſetzen.

Der geſchichtliche Gang der Dinge hat es nun mit ſich gebracht,
daß man überhaupt dieſe ganze Frage nur von der Seite der rechts-
verletzenden geiſtigen Thätigkeiten aufgefaßt hat. Man hat die Frage
bisher pſychologiſch und juriſtiſch noch gar nicht geſtellt, ob es denn
auch wirklich eine geiſtige That gebe und mithin auch die, ob ſie als
ſolche ein Recht haben könne. Ohne hier weiter auf eine pſychologiſche
Unterſuchung einzugehen, werden wir uns damit genügen laſſen, auf
dasjenige Gebiet hinzuweiſen, wo dieſelbe, wenn auch nicht gerade
philoſophiſch, ſo doch praktiſch und ſeit Jahrtauſenden anerkannt iſt.
Das iſt das bürgerliche Recht. Jene geiſtige That iſt nämlich wie
jede That zuerſt eine wirthſchaftliche, und erſt in zweiter Reihe eine
öffentliche. Die wirthſchaftliche geiſtige, gegenüber der andern ſich als
Selbſtbeſtimmung äußernde That iſt nämlich nichts anderes, als die
Zuſtimmung zu einem Vertrage, und das Recht der wirthſchaftlichen
geiſtigen That iſt das Vertragsrecht. Die wirthſchaftliche Arbeit da-
gegen, die ſich für den Andern äußert und auf ſeine wirthſchaftliche
Lebensſphäre Einfluß zu gewinnen ſtrebt, iſt die Verhandlung in allen
Formen. Auch hiefür gilt das obige Princip. Die That — der Ver-
trag — erzeugt ein Recht; ſie bindet; die Verhandlung — die Arbeit —
bindet nicht; ſie iſt frei. Das nun, was hier ganz unzweifelhaft gilt,
gilt naturgemäß auch für die geiſtige That, welche die geiſtige Lebens-
ſphäre des Andern verletzt, ſtatt mit ihr durch die Selbſtbeſtimmung
deſſelben im Vertrage zum gegenſeitig geltenden Recht zu gelangen.
Auch dieſe Verletzung hat nothwendig ihre rechtlichen Folgen. Und das
Preßrecht beſteht daher aus der Geſammtheit der rechtlichen
Folgen der Verletzung des geiſtigen Lebens einer andern
Perſönlichkeit durch die in der Preſſe erſcheinende geiſtige
That
, während die geiſtige Arbeit weder rechtliche Folgen hat noch
haben ſoll. — Es iſt dabei nicht überflüſſig, ſpeziell anzuführen, daß
in dieſem Sinn das Preßrecht nicht eben das einzige Gebiet des Rechts
der geiſtigen That bildet, ſo wenig wie der ſchriftliche Abſchluß eines
Vertrages allein das Vertragsrecht erzeugt. Es iſt nur ein Theil des
letzteren, und enthält ſeinem Weſen nach nur diejenigen Modificationen
jenes allgemeinen Rechts, welche nicht mehr durch den Inhalt dieſer
That, ſondern bloß durch die Form ihrer Erſcheinung, die Verviel-
fältigung im Drucke
, begründet ſind. Freilich iſt dieſer Satz für
die Geſchichte, wenn auch nicht für den Begriff des Preßrechts, in hohem
Grade entſcheidend geworden.

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[61/0077] das wirkliche Leben erſt da praktiſch, wo es ſich darum handelt, dieß Recht der geiſtigen That concret zu beſtimmen und ihre wirklichen, für den Urheber der That äußerlich geltenden Folgen feſtzuſetzen. Der geſchichtliche Gang der Dinge hat es nun mit ſich gebracht, daß man überhaupt dieſe ganze Frage nur von der Seite der rechts- verletzenden geiſtigen Thätigkeiten aufgefaßt hat. Man hat die Frage bisher pſychologiſch und juriſtiſch noch gar nicht geſtellt, ob es denn auch wirklich eine geiſtige That gebe und mithin auch die, ob ſie als ſolche ein Recht haben könne. Ohne hier weiter auf eine pſychologiſche Unterſuchung einzugehen, werden wir uns damit genügen laſſen, auf dasjenige Gebiet hinzuweiſen, wo dieſelbe, wenn auch nicht gerade philoſophiſch, ſo doch praktiſch und ſeit Jahrtauſenden anerkannt iſt. Das iſt das bürgerliche Recht. Jene geiſtige That iſt nämlich wie jede That zuerſt eine wirthſchaftliche, und erſt in zweiter Reihe eine öffentliche. Die wirthſchaftliche geiſtige, gegenüber der andern ſich als Selbſtbeſtimmung äußernde That iſt nämlich nichts anderes, als die Zuſtimmung zu einem Vertrage, und das Recht der wirthſchaftlichen geiſtigen That iſt das Vertragsrecht. Die wirthſchaftliche Arbeit da- gegen, die ſich für den Andern äußert und auf ſeine wirthſchaftliche Lebensſphäre Einfluß zu gewinnen ſtrebt, iſt die Verhandlung in allen Formen. Auch hiefür gilt das obige Princip. Die That — der Ver- trag — erzeugt ein Recht; ſie bindet; die Verhandlung — die Arbeit — bindet nicht; ſie iſt frei. Das nun, was hier ganz unzweifelhaft gilt, gilt naturgemäß auch für die geiſtige That, welche die geiſtige Lebens- ſphäre des Andern verletzt, ſtatt mit ihr durch die Selbſtbeſtimmung deſſelben im Vertrage zum gegenſeitig geltenden Recht zu gelangen. Auch dieſe Verletzung hat nothwendig ihre rechtlichen Folgen. Und das Preßrecht beſteht daher aus der Geſammtheit der rechtlichen Folgen der Verletzung des geiſtigen Lebens einer andern Perſönlichkeit durch die in der Preſſe erſcheinende geiſtige That, während die geiſtige Arbeit weder rechtliche Folgen hat noch haben ſoll. — Es iſt dabei nicht überflüſſig, ſpeziell anzuführen, daß in dieſem Sinn das Preßrecht nicht eben das einzige Gebiet des Rechts der geiſtigen That bildet, ſo wenig wie der ſchriftliche Abſchluß eines Vertrages allein das Vertragsrecht erzeugt. Es iſt nur ein Theil des letzteren, und enthält ſeinem Weſen nach nur diejenigen Modificationen jenes allgemeinen Rechts, welche nicht mehr durch den Inhalt dieſer That, ſondern bloß durch die Form ihrer Erſcheinung, die Verviel- fältigung im Drucke, begründet ſind. Freilich iſt dieſer Satz für die Geſchichte, wenn auch nicht für den Begriff des Preßrechts, in hohem Grade entſcheidend geworden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/77>, abgerufen am 25.11.2024.