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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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schied zwischen den verschiedenen Ordnungen erscheint dann als tiefer,
erbitterter Gegensatz der Personen, welche beiden angehören; der har-
monische Proceß der Klassenbewegung, welcher den Einzelnen aus der
niederen in die höhere erhebt, wird verdrängt durch den Haß, den beide
gegen einander tragen; an die Mißgestalt der Wahrheit, an das verdorbene
Gefühl des organischen Unterschiedes knüpfen sich allmählig alle schlechten
Eigenschaften der Menschen; das Verderbte gewinnt Werth, und selbst
der Unbefangene hört allmählig auf das Wort dessen, der ihn im
Namen der Idee der Gleichheit auffordert, die Säulen der Gesellschaft
zu brechen. Das ist die Macht des Wortes, wenn es sich dem gesell-
schaftlichen Leben zuwendet; und darin liegt seine furchtbare Bedeutung,
daß der Mensch nichts leichter versteht und wenig lieber hört, als das,
was geeignet ist, eine Ordnung zu untergraben, in welcher er selbst
eine niedere Stellung einnimmt. So lange nun das Wort das eines
Einzelnen ist, ist es nur gefährlich, wenn auch ohne dasselbe bereits
die Gegensätze sich hart berühren, und ein Kampf droht. Aber die
Presse hat die Macht, dasselbe zu einem Worte Aller an Alle zu machen.
Sie hat daher die Gewalt, nicht bloß solche Gegensätze zum Ausbruch
zu bringen, sondern sie auch zu erzeugen, und diese Gewalt liegt gerade
auf dem Punkte am nächsten, wo sie von der Idee der Gleichheit und
der socialen Bestimmung redet, und die Forderungen vertritt, die aus
beiden folgen. Das ist das, was wir die sociale Gefahr nennen, die
in der Presse liegt. Ihr Kern ist der Mißbrauch oder das Mißverständ-
niß der Sonderinteressen der niedern gesellschaftlichen Ord-
nungen
.

Beide Elemente nun, die sociale Aufgabe und die sociale Gefahr,
liegen zugleich und unabweisbar in der Funktion der Presse. Es ist
ein Unding, eine Presse zu wollen, ohne diese beiden ihrem Wesen
immanenten Elemente. Es ist nicht Sache der Verwaltungslehre, zu
entwickeln, wo die Harmonie für beide gegeben ist; wohl aber darf sie
dieselbe voraussetzen. Sie besteht in der beide umfassenden Wahrheit,
daß jeder gesellschaftliche Fortschritt der niedern Ordnung in erster Reihe
auf der Arbeit, der geistigen wie der materiellen, derselben beruht,
und daß das gesellschaftliche Unrecht der höheren Klasse erst da beginnt,
wo ein formelles Recht die Erhebung der niedern Klasse zur höheren
rechtlich ausschließt, während das gesellschaftliche Unrecht der niederen
Klasse da anfängt, wo sie eine höhere Stellung ohne Arbeit und
ohne die durch Arbeit erworbenen geistigen und wirthschaftlichen Be-
dingungen
fordert. Das steht fest; und hier ist es, wo die sociale
Verantwortlichkeit der Presse beginnt. Sie kann und wird nie ihre
sociale Funktion verläugnen oder verkennen; aber sie hat die ethische

ſchied zwiſchen den verſchiedenen Ordnungen erſcheint dann als tiefer,
erbitterter Gegenſatz der Perſonen, welche beiden angehören; der har-
moniſche Proceß der Klaſſenbewegung, welcher den Einzelnen aus der
niederen in die höhere erhebt, wird verdrängt durch den Haß, den beide
gegen einander tragen; an die Mißgeſtalt der Wahrheit, an das verdorbene
Gefühl des organiſchen Unterſchiedes knüpfen ſich allmählig alle ſchlechten
Eigenſchaften der Menſchen; das Verderbte gewinnt Werth, und ſelbſt
der Unbefangene hört allmählig auf das Wort deſſen, der ihn im
Namen der Idee der Gleichheit auffordert, die Säulen der Geſellſchaft
zu brechen. Das iſt die Macht des Wortes, wenn es ſich dem geſell-
ſchaftlichen Leben zuwendet; und darin liegt ſeine furchtbare Bedeutung,
daß der Menſch nichts leichter verſteht und wenig lieber hört, als das,
was geeignet iſt, eine Ordnung zu untergraben, in welcher er ſelbſt
eine niedere Stellung einnimmt. So lange nun das Wort das eines
Einzelnen iſt, iſt es nur gefährlich, wenn auch ohne daſſelbe bereits
die Gegenſätze ſich hart berühren, und ein Kampf droht. Aber die
Preſſe hat die Macht, daſſelbe zu einem Worte Aller an Alle zu machen.
Sie hat daher die Gewalt, nicht bloß ſolche Gegenſätze zum Ausbruch
zu bringen, ſondern ſie auch zu erzeugen, und dieſe Gewalt liegt gerade
auf dem Punkte am nächſten, wo ſie von der Idee der Gleichheit und
der ſocialen Beſtimmung redet, und die Forderungen vertritt, die aus
beiden folgen. Das iſt das, was wir die ſociale Gefahr nennen, die
in der Preſſe liegt. Ihr Kern iſt der Mißbrauch oder das Mißverſtänd-
niß der Sonderintereſſen der niedern geſellſchaftlichen Ord-
nungen
.

Beide Elemente nun, die ſociale Aufgabe und die ſociale Gefahr,
liegen zugleich und unabweisbar in der Funktion der Preſſe. Es iſt
ein Unding, eine Preſſe zu wollen, ohne dieſe beiden ihrem Weſen
immanenten Elemente. Es iſt nicht Sache der Verwaltungslehre, zu
entwickeln, wo die Harmonie für beide gegeben iſt; wohl aber darf ſie
dieſelbe vorausſetzen. Sie beſteht in der beide umfaſſenden Wahrheit,
daß jeder geſellſchaftliche Fortſchritt der niedern Ordnung in erſter Reihe
auf der Arbeit, der geiſtigen wie der materiellen, derſelben beruht,
und daß das geſellſchaftliche Unrecht der höheren Klaſſe erſt da beginnt,
wo ein formelles Recht die Erhebung der niedern Klaſſe zur höheren
rechtlich ausſchließt, während das geſellſchaftliche Unrecht der niederen
Klaſſe da anfängt, wo ſie eine höhere Stellung ohne Arbeit und
ohne die durch Arbeit erworbenen geiſtigen und wirthſchaftlichen Be-
dingungen
fordert. Das ſteht feſt; und hier iſt es, wo die ſociale
Verantwortlichkeit der Preſſe beginnt. Sie kann und wird nie ihre
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[52/0068] ſchied zwiſchen den verſchiedenen Ordnungen erſcheint dann als tiefer, erbitterter Gegenſatz der Perſonen, welche beiden angehören; der har- moniſche Proceß der Klaſſenbewegung, welcher den Einzelnen aus der niederen in die höhere erhebt, wird verdrängt durch den Haß, den beide gegen einander tragen; an die Mißgeſtalt der Wahrheit, an das verdorbene Gefühl des organiſchen Unterſchiedes knüpfen ſich allmählig alle ſchlechten Eigenſchaften der Menſchen; das Verderbte gewinnt Werth, und ſelbſt der Unbefangene hört allmählig auf das Wort deſſen, der ihn im Namen der Idee der Gleichheit auffordert, die Säulen der Geſellſchaft zu brechen. Das iſt die Macht des Wortes, wenn es ſich dem geſell- ſchaftlichen Leben zuwendet; und darin liegt ſeine furchtbare Bedeutung, daß der Menſch nichts leichter verſteht und wenig lieber hört, als das, was geeignet iſt, eine Ordnung zu untergraben, in welcher er ſelbſt eine niedere Stellung einnimmt. So lange nun das Wort das eines Einzelnen iſt, iſt es nur gefährlich, wenn auch ohne daſſelbe bereits die Gegenſätze ſich hart berühren, und ein Kampf droht. Aber die Preſſe hat die Macht, daſſelbe zu einem Worte Aller an Alle zu machen. Sie hat daher die Gewalt, nicht bloß ſolche Gegenſätze zum Ausbruch zu bringen, ſondern ſie auch zu erzeugen, und dieſe Gewalt liegt gerade auf dem Punkte am nächſten, wo ſie von der Idee der Gleichheit und der ſocialen Beſtimmung redet, und die Forderungen vertritt, die aus beiden folgen. Das iſt das, was wir die ſociale Gefahr nennen, die in der Preſſe liegt. Ihr Kern iſt der Mißbrauch oder das Mißverſtänd- niß der Sonderintereſſen der niedern geſellſchaftlichen Ord- nungen. Beide Elemente nun, die ſociale Aufgabe und die ſociale Gefahr, liegen zugleich und unabweisbar in der Funktion der Preſſe. Es iſt ein Unding, eine Preſſe zu wollen, ohne dieſe beiden ihrem Weſen immanenten Elemente. Es iſt nicht Sache der Verwaltungslehre, zu entwickeln, wo die Harmonie für beide gegeben iſt; wohl aber darf ſie dieſelbe vorausſetzen. Sie beſteht in der beide umfaſſenden Wahrheit, daß jeder geſellſchaftliche Fortſchritt der niedern Ordnung in erſter Reihe auf der Arbeit, der geiſtigen wie der materiellen, derſelben beruht, und daß das geſellſchaftliche Unrecht der höheren Klaſſe erſt da beginnt, wo ein formelles Recht die Erhebung der niedern Klaſſe zur höheren rechtlich ausſchließt, während das geſellſchaftliche Unrecht der niederen Klaſſe da anfängt, wo ſie eine höhere Stellung ohne Arbeit und ohne die durch Arbeit erworbenen geiſtigen und wirthſchaftlichen Be- dingungen fordert. Das ſteht feſt; und hier iſt es, wo die ſociale Verantwortlichkeit der Preſſe beginnt. Sie kann und wird nie ihre ſociale Funktion verläugnen oder verkennen; aber ſie hat die ethiſche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/68>, abgerufen am 24.11.2024.