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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Und dieser Mißbrauch der Presse enthält nach der Natur des letztern
nicht bloß eine einzelne gefährliche That, sondern er ist vielmehr eine
in das gesammte Bildungswesen der Völker tief eingreifende, in ihren
Folgen gar nicht zu berechnende gefährliche und fortwirkende Arbeit
eines Uebels, die sich an jeden Leser wendet und jeden zu sich hinab-
zuziehen sucht.

Beides nun, das Verständniß der hohen Bestimmung der Presse
und das der Gefahr ihres Mißbrauches sind mit der Presse zugleich
entstanden. Beides sucht daher, in der Gemeinschaft der Menschen
lebendig, auch nach einem Ausdruck, und zwar nach einem Ausdruck im
öffentlichen Recht. Aber dieses Streben, das Wesen der Presse nicht
bloß als einen Naturproceß des geistigen Lebens, sondern auch als
einen organischen Theil des öffentlichen Rechts zu erfassen, gewinnt
nun erst seine Gestalt durch das zweite Element der Presse, das sociale.

Für die richtige Beurtheilung der großen socialen Funktion der
Presse muß man nun nicht etwa bei den Gegensätzen der staatsbürger-
lichen Gesellschaft stehen bleiben. Dieselbe ist vielmehr für alle gesell-
schaftlichen Zustände gültig, und hat in allen Epochen der socialen
Entwicklungen und Kämpfe denselben Inhalt, denselben Einfluß und
dieselben Gefahren.

Indem nämlich die Presse in jeder Form für die Bildung Aller
ohne Unterschied der Stellung arbeitet, vertritt sie, gleichviel ob mit
oder ohne Bewußtsein, ob in diesem oder jenem Gebiete, die hohe Idee
der für Alle gleichen persönlichen Bestimmung, und verleiht zugleich
durch ihren Inhalt, die Kenntnisse und Anschauungen welche sie ver-
breitet, allen Persönlichkeiten ohne Unterschied die Mittel, diese Be-
stimmung durch Denken und Lernen auch wirklich zu erreichen. Sie
erzeugt daher durch ihre allgemeine, öffentliche und nie ermüdende
Arbeit die gleiche Befähigung aller Klassen, eine Gleichheit, welche im
übrigen System des öffentlichen Bildungswesens nicht erreicht werden
kann. Sie begründet aber ferner eben vermöge dieser gleichen geistigen
Fähigkeit den Drang nach Gleichheit auch im wirthschaftlichen und ge-
sellschaftlichen Leben; positiv, indem sie ihren Inhalt, die geistigen Güter
jedem Einzelnen in der Gemeinschaft mittheilt, negativ dagegen gegen-
über den historisch entstandenen und nur äußerlich berechtigten Unter-
schieden der Klassen, Ständen und Einzelnen, indem sie für jeden
Unterschied in der öffentlichen Berechtigung auch einen Unterschied der
persönlichen Befähigung fordert. Sie wird dadurch, bloß durch die
Thatsache ihres Daseins, der lebendige Faktor der werdenden Gleich-
heit des öffentlichen Rechts
, und erzeugt andererseits eine Ge-
meinschaft der Ansichten und des Wollens in öffentlichen Dingen, welche

Und dieſer Mißbrauch der Preſſe enthält nach der Natur des letztern
nicht bloß eine einzelne gefährliche That, ſondern er iſt vielmehr eine
in das geſammte Bildungsweſen der Völker tief eingreifende, in ihren
Folgen gar nicht zu berechnende gefährliche und fortwirkende Arbeit
eines Uebels, die ſich an jeden Leſer wendet und jeden zu ſich hinab-
zuziehen ſucht.

Beides nun, das Verſtändniß der hohen Beſtimmung der Preſſe
und das der Gefahr ihres Mißbrauches ſind mit der Preſſe zugleich
entſtanden. Beides ſucht daher, in der Gemeinſchaft der Menſchen
lebendig, auch nach einem Ausdruck, und zwar nach einem Ausdruck im
öffentlichen Recht. Aber dieſes Streben, das Weſen der Preſſe nicht
bloß als einen Naturproceß des geiſtigen Lebens, ſondern auch als
einen organiſchen Theil des öffentlichen Rechts zu erfaſſen, gewinnt
nun erſt ſeine Geſtalt durch das zweite Element der Preſſe, das ſociale.

Für die richtige Beurtheilung der großen ſocialen Funktion der
Preſſe muß man nun nicht etwa bei den Gegenſätzen der ſtaatsbürger-
lichen Geſellſchaft ſtehen bleiben. Dieſelbe iſt vielmehr für alle geſell-
ſchaftlichen Zuſtände gültig, und hat in allen Epochen der ſocialen
Entwicklungen und Kämpfe denſelben Inhalt, denſelben Einfluß und
dieſelben Gefahren.

Indem nämlich die Preſſe in jeder Form für die Bildung Aller
ohne Unterſchied der Stellung arbeitet, vertritt ſie, gleichviel ob mit
oder ohne Bewußtſein, ob in dieſem oder jenem Gebiete, die hohe Idee
der für Alle gleichen perſönlichen Beſtimmung, und verleiht zugleich
durch ihren Inhalt, die Kenntniſſe und Anſchauungen welche ſie ver-
breitet, allen Perſönlichkeiten ohne Unterſchied die Mittel, dieſe Be-
ſtimmung durch Denken und Lernen auch wirklich zu erreichen. Sie
erzeugt daher durch ihre allgemeine, öffentliche und nie ermüdende
Arbeit die gleiche Befähigung aller Klaſſen, eine Gleichheit, welche im
übrigen Syſtem des öffentlichen Bildungsweſens nicht erreicht werden
kann. Sie begründet aber ferner eben vermöge dieſer gleichen geiſtigen
Fähigkeit den Drang nach Gleichheit auch im wirthſchaftlichen und ge-
ſellſchaftlichen Leben; poſitiv, indem ſie ihren Inhalt, die geiſtigen Güter
jedem Einzelnen in der Gemeinſchaft mittheilt, negativ dagegen gegen-
über den hiſtoriſch entſtandenen und nur äußerlich berechtigten Unter-
ſchieden der Klaſſen, Ständen und Einzelnen, indem ſie für jeden
Unterſchied in der öffentlichen Berechtigung auch einen Unterſchied der
perſönlichen Befähigung fordert. Sie wird dadurch, bloß durch die
Thatſache ihres Daſeins, der lebendige Faktor der werdenden Gleich-
heit des öffentlichen Rechts
, und erzeugt andererſeits eine Ge-
meinſchaft der Anſichten und des Wollens in öffentlichen Dingen, welche

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[50/0066] Und dieſer Mißbrauch der Preſſe enthält nach der Natur des letztern nicht bloß eine einzelne gefährliche That, ſondern er iſt vielmehr eine in das geſammte Bildungsweſen der Völker tief eingreifende, in ihren Folgen gar nicht zu berechnende gefährliche und fortwirkende Arbeit eines Uebels, die ſich an jeden Leſer wendet und jeden zu ſich hinab- zuziehen ſucht. Beides nun, das Verſtändniß der hohen Beſtimmung der Preſſe und das der Gefahr ihres Mißbrauches ſind mit der Preſſe zugleich entſtanden. Beides ſucht daher, in der Gemeinſchaft der Menſchen lebendig, auch nach einem Ausdruck, und zwar nach einem Ausdruck im öffentlichen Recht. Aber dieſes Streben, das Weſen der Preſſe nicht bloß als einen Naturproceß des geiſtigen Lebens, ſondern auch als einen organiſchen Theil des öffentlichen Rechts zu erfaſſen, gewinnt nun erſt ſeine Geſtalt durch das zweite Element der Preſſe, das ſociale. Für die richtige Beurtheilung der großen ſocialen Funktion der Preſſe muß man nun nicht etwa bei den Gegenſätzen der ſtaatsbürger- lichen Geſellſchaft ſtehen bleiben. Dieſelbe iſt vielmehr für alle geſell- ſchaftlichen Zuſtände gültig, und hat in allen Epochen der ſocialen Entwicklungen und Kämpfe denſelben Inhalt, denſelben Einfluß und dieſelben Gefahren. Indem nämlich die Preſſe in jeder Form für die Bildung Aller ohne Unterſchied der Stellung arbeitet, vertritt ſie, gleichviel ob mit oder ohne Bewußtſein, ob in dieſem oder jenem Gebiete, die hohe Idee der für Alle gleichen perſönlichen Beſtimmung, und verleiht zugleich durch ihren Inhalt, die Kenntniſſe und Anſchauungen welche ſie ver- breitet, allen Perſönlichkeiten ohne Unterſchied die Mittel, dieſe Be- ſtimmung durch Denken und Lernen auch wirklich zu erreichen. Sie erzeugt daher durch ihre allgemeine, öffentliche und nie ermüdende Arbeit die gleiche Befähigung aller Klaſſen, eine Gleichheit, welche im übrigen Syſtem des öffentlichen Bildungsweſens nicht erreicht werden kann. Sie begründet aber ferner eben vermöge dieſer gleichen geiſtigen Fähigkeit den Drang nach Gleichheit auch im wirthſchaftlichen und ge- ſellſchaftlichen Leben; poſitiv, indem ſie ihren Inhalt, die geiſtigen Güter jedem Einzelnen in der Gemeinſchaft mittheilt, negativ dagegen gegen- über den hiſtoriſch entſtandenen und nur äußerlich berechtigten Unter- ſchieden der Klaſſen, Ständen und Einzelnen, indem ſie für jeden Unterſchied in der öffentlichen Berechtigung auch einen Unterſchied der perſönlichen Befähigung fordert. Sie wird dadurch, bloß durch die Thatſache ihres Daſeins, der lebendige Faktor der werdenden Gleich- heit des öffentlichen Rechts, und erzeugt andererſeits eine Ge- meinſchaft der Anſichten und des Wollens in öffentlichen Dingen, welche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/66>, abgerufen am 24.11.2024.