Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Thatsache unterliegt. Dieser Kampf selbst aber hat zwei Gestalten und
so hat er auch zwei große Folgen und Ergebnisse. Zuerst ist er natur-
gemäß rein negativ. Er enthält anfänglich nur noch das Bewußtsein,
daß die zum öffentlichen Recht gewordene Unterscheidung der Klassen
und die mit ihr gegebene Beschränkung der allgemeinen Bildung auf
gewisse Klassen nicht sein soll; allein da ihm nicht das zweite zur Seite
steht, die wirklich vorhandene und fortschreitende allgemeine Bildung
der niedern Klasse, so bleibt es bei der einfachen Zerstörung der socialen
Ordnung, die auf der gegebenen Vertheilung der geistigen Güter und
der speziellen Entwicklung der Berufe beruht, stehen. Sie ist eine ein-
fache Zerstörung, keine Fortentwicklung; die Gesittung hat die negative
Bedingung ihrer Entwicklung gefunden, aber sie vermag sie nicht positiv
auszufüllen. Sie erzeugt daher einen andern Zustand, aber keinen
Fortschritt. Erst da, wo der Kampf gegen die gesellschaftlichen Unter-
schiede von diesem wirklichen Fortschritt der niederen Klasse begleitet und
bedingt wird, sehen wir aus der Zerstörung des Alten eine neue Ge-
schichte beginnen. Erst hier ist der Proceß des Werdens ein lebendiger,
und nicht mehr erschöpft in dem Aufeinanderfolgen des andern an der
Stelle des bisherigen. Und hier hat daher auch jenes Interesse der
herrschenden Klasse ein bestimmtes Objekt, das es verfolgen, mit dem
es kämpfen kann. Dieß Objekt ist dann eben das Mittel, durch welches
jene allgemeine Bildung sich erzeugt und verbreitet. Dieß Mittel wird
daher jetzt zum Gegenstande des öffentlichen Rechts; an ihm formulirt
sich der Proceß der Bildung, und an ihm auch das öffentliche Recht;
alle andern Faktoren werden nebensächlich, und hier erst beginnt die
Geschichte des Rechts des allgemeinen Bildungswesens.

Die Verwaltungslehre muß daher, will sie nicht durch ihre Aus-
dehnung sich überhaupt mit der Weltgeschichte identificiren, sich bestim-
men, erst bei demjenigen Momente zu beginnen, wo dieses große Mittel
mit seiner Wirkung ins Leben tritt. Dieß Mittel selbst aber ist kein
anderes als die Buchdruckerei. Es ist überflüssig, im Einzelnen
nachzuweisen, daß sie es ist und warum sie es ist, und warum sie allein
in der ganzen Weltgeschichte jedes Versuches spottet, die Entwicklung
der allgemeinen Bildung neben und über der Fachbildung aufzuhalten.
Die Geschichte der Welt hat Zustände genug, in denen starr gewordene
Gesellschaftsordnungen durch gewaltsame Bewegungen umgestoßen worden
sind, ohne daß dieser Umsturz etwas Wesentliches gefördert hätte. Wir sehen
im Orient, in Aegypten, vielleicht auch im untergegangenen Amerika
eine Gestaltung der Dinge, in denen die Berufsbildung das ganze Volk
durchdringt und den höchsten Grad der Kultur für jeden Theil erreicht.
Wir sehen das Interesse der herrschenden Klasse jede freie Bewegung

Thatſache unterliegt. Dieſer Kampf ſelbſt aber hat zwei Geſtalten und
ſo hat er auch zwei große Folgen und Ergebniſſe. Zuerſt iſt er natur-
gemäß rein negativ. Er enthält anfänglich nur noch das Bewußtſein,
daß die zum öffentlichen Recht gewordene Unterſcheidung der Klaſſen
und die mit ihr gegebene Beſchränkung der allgemeinen Bildung auf
gewiſſe Klaſſen nicht ſein ſoll; allein da ihm nicht das zweite zur Seite
ſteht, die wirklich vorhandene und fortſchreitende allgemeine Bildung
der niedern Klaſſe, ſo bleibt es bei der einfachen Zerſtörung der ſocialen
Ordnung, die auf der gegebenen Vertheilung der geiſtigen Güter und
der ſpeziellen Entwicklung der Berufe beruht, ſtehen. Sie iſt eine ein-
fache Zerſtörung, keine Fortentwicklung; die Geſittung hat die negative
Bedingung ihrer Entwicklung gefunden, aber ſie vermag ſie nicht poſitiv
auszufüllen. Sie erzeugt daher einen andern Zuſtand, aber keinen
Fortſchritt. Erſt da, wo der Kampf gegen die geſellſchaftlichen Unter-
ſchiede von dieſem wirklichen Fortſchritt der niederen Klaſſe begleitet und
bedingt wird, ſehen wir aus der Zerſtörung des Alten eine neue Ge-
ſchichte beginnen. Erſt hier iſt der Proceß des Werdens ein lebendiger,
und nicht mehr erſchöpft in dem Aufeinanderfolgen des andern an der
Stelle des bisherigen. Und hier hat daher auch jenes Intereſſe der
herrſchenden Klaſſe ein beſtimmtes Objekt, das es verfolgen, mit dem
es kämpfen kann. Dieß Objekt iſt dann eben das Mittel, durch welches
jene allgemeine Bildung ſich erzeugt und verbreitet. Dieß Mittel wird
daher jetzt zum Gegenſtande des öffentlichen Rechts; an ihm formulirt
ſich der Proceß der Bildung, und an ihm auch das öffentliche Recht;
alle andern Faktoren werden nebenſächlich, und hier erſt beginnt die
Geſchichte des Rechts des allgemeinen Bildungsweſens.

Die Verwaltungslehre muß daher, will ſie nicht durch ihre Aus-
dehnung ſich überhaupt mit der Weltgeſchichte identificiren, ſich beſtim-
men, erſt bei demjenigen Momente zu beginnen, wo dieſes große Mittel
mit ſeiner Wirkung ins Leben tritt. Dieß Mittel ſelbſt aber iſt kein
anderes als die Buchdruckerei. Es iſt überflüſſig, im Einzelnen
nachzuweiſen, daß ſie es iſt und warum ſie es iſt, und warum ſie allein
in der ganzen Weltgeſchichte jedes Verſuches ſpottet, die Entwicklung
der allgemeinen Bildung neben und über der Fachbildung aufzuhalten.
Die Geſchichte der Welt hat Zuſtände genug, in denen ſtarr gewordene
Geſellſchaftsordnungen durch gewaltſame Bewegungen umgeſtoßen worden
ſind, ohne daß dieſer Umſturz etwas Weſentliches gefördert hätte. Wir ſehen
im Orient, in Aegypten, vielleicht auch im untergegangenen Amerika
eine Geſtaltung der Dinge, in denen die Berufsbildung das ganze Volk
durchdringt und den höchſten Grad der Kultur für jeden Theil erreicht.
Wir ſehen das Intereſſe der herrſchenden Klaſſe jede freie Bewegung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0023" n="7"/>
That&#x017F;ache unterliegt. Die&#x017F;er Kampf &#x017F;elb&#x017F;t aber hat zwei Ge&#x017F;talten und<lb/>
&#x017F;o hat er auch zwei große Folgen und Ergebni&#x017F;&#x017F;e. Zuer&#x017F;t i&#x017F;t er natur-<lb/>
gemäß rein negativ. Er enthält anfänglich nur noch das Bewußt&#x017F;ein,<lb/>
daß die zum öffentlichen Recht gewordene Unter&#x017F;cheidung der Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und die mit ihr gegebene Be&#x017F;chränkung der allgemeinen Bildung auf<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Kla&#x017F;&#x017F;en nicht &#x017F;ein &#x017F;oll; allein da ihm nicht das zweite zur Seite<lb/>
&#x017F;teht, die wirklich vorhandene und fort&#x017F;chreitende allgemeine Bildung<lb/>
der niedern Kla&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o bleibt es bei der einfachen Zer&#x017F;törung der &#x017F;ocialen<lb/>
Ordnung, die auf der gegebenen Vertheilung der gei&#x017F;tigen Güter und<lb/>
der &#x017F;peziellen Entwicklung der Berufe beruht, &#x017F;tehen. Sie i&#x017F;t eine ein-<lb/>
fache Zer&#x017F;törung, keine Fortentwicklung; die Ge&#x017F;ittung hat die negative<lb/>
Bedingung ihrer Entwicklung gefunden, aber &#x017F;ie vermag &#x017F;ie nicht po&#x017F;itiv<lb/>
auszufüllen. Sie erzeugt daher einen andern Zu&#x017F;tand, aber keinen<lb/>
Fort&#x017F;chritt. Er&#x017F;t da, wo der Kampf gegen die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Unter-<lb/>
&#x017F;chiede von die&#x017F;em wirklichen Fort&#x017F;chritt der niederen Kla&#x017F;&#x017F;e begleitet und<lb/>
bedingt wird, &#x017F;ehen wir aus der Zer&#x017F;törung des Alten eine neue Ge-<lb/>
&#x017F;chichte beginnen. Er&#x017F;t hier i&#x017F;t der Proceß des Werdens ein lebendiger,<lb/>
und nicht mehr er&#x017F;chöpft in dem Aufeinanderfolgen des andern an der<lb/>
Stelle des bisherigen. Und hier hat daher auch jenes Intere&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
herr&#x017F;chenden Kla&#x017F;&#x017F;e ein be&#x017F;timmtes Objekt, das es verfolgen, mit dem<lb/>
es kämpfen kann. Dieß Objekt i&#x017F;t dann eben das Mittel, durch welches<lb/>
jene allgemeine Bildung &#x017F;ich erzeugt und verbreitet. Dieß Mittel wird<lb/>
daher jetzt zum Gegen&#x017F;tande des öffentlichen Rechts; an ihm formulirt<lb/>
&#x017F;ich der Proceß der Bildung, und an ihm auch das öffentliche Recht;<lb/>
alle andern Faktoren werden neben&#x017F;ächlich, und hier er&#x017F;t beginnt die<lb/>
Ge&#x017F;chichte des Rechts des allgemeinen Bildungswe&#x017F;ens.</p><lb/>
            <p>Die Verwaltungslehre muß daher, will &#x017F;ie nicht durch ihre Aus-<lb/>
dehnung &#x017F;ich überhaupt mit der Weltge&#x017F;chichte identificiren, &#x017F;ich be&#x017F;tim-<lb/>
men, er&#x017F;t bei demjenigen Momente zu beginnen, wo die&#x017F;es große Mittel<lb/>
mit &#x017F;einer Wirkung ins Leben tritt. Dieß Mittel &#x017F;elb&#x017F;t aber i&#x017F;t kein<lb/>
anderes als die <hi rendition="#g">Buchdruckerei</hi>. Es i&#x017F;t überflü&#x017F;&#x017F;ig, im Einzelnen<lb/>
nachzuwei&#x017F;en, daß &#x017F;ie es i&#x017F;t und warum &#x017F;ie es i&#x017F;t, und warum &#x017F;ie allein<lb/>
in der ganzen Weltge&#x017F;chichte jedes Ver&#x017F;uches &#x017F;pottet, die Entwicklung<lb/>
der allgemeinen Bildung neben und über der Fachbildung aufzuhalten.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der Welt hat Zu&#x017F;tände genug, in denen &#x017F;tarr gewordene<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsordnungen durch gewalt&#x017F;ame Bewegungen umge&#x017F;toßen worden<lb/>
&#x017F;ind, ohne daß die&#x017F;er Um&#x017F;turz etwas We&#x017F;entliches gefördert hätte. Wir &#x017F;ehen<lb/>
im Orient, in Aegypten, vielleicht auch im untergegangenen Amerika<lb/>
eine Ge&#x017F;taltung der Dinge, in denen die Berufsbildung das ganze Volk<lb/>
durchdringt und den höch&#x017F;ten Grad der Kultur für jeden Theil erreicht.<lb/>
Wir &#x017F;ehen das Intere&#x017F;&#x017F;e der herr&#x017F;chenden Kla&#x017F;&#x017F;e jede freie Bewegung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0023] Thatſache unterliegt. Dieſer Kampf ſelbſt aber hat zwei Geſtalten und ſo hat er auch zwei große Folgen und Ergebniſſe. Zuerſt iſt er natur- gemäß rein negativ. Er enthält anfänglich nur noch das Bewußtſein, daß die zum öffentlichen Recht gewordene Unterſcheidung der Klaſſen und die mit ihr gegebene Beſchränkung der allgemeinen Bildung auf gewiſſe Klaſſen nicht ſein ſoll; allein da ihm nicht das zweite zur Seite ſteht, die wirklich vorhandene und fortſchreitende allgemeine Bildung der niedern Klaſſe, ſo bleibt es bei der einfachen Zerſtörung der ſocialen Ordnung, die auf der gegebenen Vertheilung der geiſtigen Güter und der ſpeziellen Entwicklung der Berufe beruht, ſtehen. Sie iſt eine ein- fache Zerſtörung, keine Fortentwicklung; die Geſittung hat die negative Bedingung ihrer Entwicklung gefunden, aber ſie vermag ſie nicht poſitiv auszufüllen. Sie erzeugt daher einen andern Zuſtand, aber keinen Fortſchritt. Erſt da, wo der Kampf gegen die geſellſchaftlichen Unter- ſchiede von dieſem wirklichen Fortſchritt der niederen Klaſſe begleitet und bedingt wird, ſehen wir aus der Zerſtörung des Alten eine neue Ge- ſchichte beginnen. Erſt hier iſt der Proceß des Werdens ein lebendiger, und nicht mehr erſchöpft in dem Aufeinanderfolgen des andern an der Stelle des bisherigen. Und hier hat daher auch jenes Intereſſe der herrſchenden Klaſſe ein beſtimmtes Objekt, das es verfolgen, mit dem es kämpfen kann. Dieß Objekt iſt dann eben das Mittel, durch welches jene allgemeine Bildung ſich erzeugt und verbreitet. Dieß Mittel wird daher jetzt zum Gegenſtande des öffentlichen Rechts; an ihm formulirt ſich der Proceß der Bildung, und an ihm auch das öffentliche Recht; alle andern Faktoren werden nebenſächlich, und hier erſt beginnt die Geſchichte des Rechts des allgemeinen Bildungsweſens. Die Verwaltungslehre muß daher, will ſie nicht durch ihre Aus- dehnung ſich überhaupt mit der Weltgeſchichte identificiren, ſich beſtim- men, erſt bei demjenigen Momente zu beginnen, wo dieſes große Mittel mit ſeiner Wirkung ins Leben tritt. Dieß Mittel ſelbſt aber iſt kein anderes als die Buchdruckerei. Es iſt überflüſſig, im Einzelnen nachzuweiſen, daß ſie es iſt und warum ſie es iſt, und warum ſie allein in der ganzen Weltgeſchichte jedes Verſuches ſpottet, die Entwicklung der allgemeinen Bildung neben und über der Fachbildung aufzuhalten. Die Geſchichte der Welt hat Zuſtände genug, in denen ſtarr gewordene Geſellſchaftsordnungen durch gewaltſame Bewegungen umgeſtoßen worden ſind, ohne daß dieſer Umſturz etwas Weſentliches gefördert hätte. Wir ſehen im Orient, in Aegypten, vielleicht auch im untergegangenen Amerika eine Geſtaltung der Dinge, in denen die Berufsbildung das ganze Volk durchdringt und den höchſten Grad der Kultur für jeden Theil erreicht. Wir ſehen das Intereſſe der herrſchenden Klaſſe jede freie Bewegung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/23
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/23>, abgerufen am 11.12.2024.