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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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die Censur aufgehoben und die Strafbarkeit zur Entscheidung den Ge-
richten zugewiesen; aber nach §. 4 kann die "Unterdrückung" einer Zei-
tung auch durch das Gericht verfügt werden. Es ergibt sich daraus,
daß der Bundesbeschluß von 1854 noch in einem großen Theile Deutsch-
lands Rechtens ist. Die Grundlagen desselben sind einfach. Er enthält
einerseits die Preßpolizei, und es ist nicht zu verkennen, daß er sie
als solche richtig organisirt hat. Allein neben der Preßpolizei stellt er
sich klar und ausgesprochen auf den Standpunkt des französischen Re-
pressivsystems. Er scheidet die Uebertretung preßpolizeilicher Vor-
schriften von den "durch den Inhalt verwirkten Strafen." Er hält den
Grundsatz der "Verwarnungen" fest. Er verbietet eine "vorzugsweise"
Verweisung der durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen vor
das Geschworenengericht. Er will das ganze Preßgewerbe in all seinen
Zweigen von Concessionen abhängig machen, die auch "auf admini-
strativem Wege" erfolgen können; und endlich bestimmt er, fast wört-
lich wie das sächsische Gesetz, nach dem Muster der Loi des tendances,
daß ein strafbarer Angriff auch da stattfindet, wo "die Form der
Darstellung
den Gegenstand des Angriffes dem Hasse oder der Miß-
achtung auszusetzen geeignet ist." Es leuchtet ein, daß diese unbestimmte
Fassung an sich aus einem richterlichen Verfahren nothwendig ein poli-
zeiliches macht und daß bei dem Recht der Polizei, nach ihrem Er-
messen das ganze schriftstellerische Unternehmen oder das ganze Druckerei-
gewerbe zu unterdrücken, eine solche Möglichkeit der Strafe im Grunde
eine selbst für das Repressivsystem überflüssige Härte war.

Faßt man nun auf dieser Grundlage das Preßrecht Deutschlands
zusammen, so ergibt sich, daß das deutsche Recht beide Systeme neben
einander in Geltung hat. Das Recht der freien Presse gilt in
Oesterreich, Preußen und Bayern; das Repressivsystem in den
übrigen Staaten auf Basis des Bundesbeschlusses von 1854. Das
Rechtsprincip der erstern Staaten ist: Freiheit des Gewerbes der
Druckerei und des Verlags, nur mit dem Unterschied, daß dieß Ge-
werbe in Bayern ganz frei ist, in Oesterreich der Concession bedarf
und in Preußen sogar nach dem hier unglücklicher Weise beibehaltenen
Grundsatz der ständischen Epoche eine eigene Prüfung für Drucker und
Buchhändler fordert; die Preßverordnung vom 1. Juni 1863, welche
die Concession auf polizeilichem Wege widerruflich erklärte, ward durch
den energischen Widerstand des Abgeordnetenhauses (Sitzung vom 19. No-
vember 1863) glücklich beseitigt; sie hätte, ganz abgesehen von ihrem
Widerstreit mit der Verfassung, das Repressivsystem auf einem bedenk-
lichen Umwege wieder eingeführt, da jene Aufhebung der Gewerbs-
berechtigung doch nur einen praktischen Sinn gehabt hätte als polizeiliche

die Cenſur aufgehoben und die Strafbarkeit zur Entſcheidung den Ge-
richten zugewieſen; aber nach §. 4 kann die „Unterdrückung“ einer Zei-
tung auch durch das Gericht verfügt werden. Es ergibt ſich daraus,
daß der Bundesbeſchluß von 1854 noch in einem großen Theile Deutſch-
lands Rechtens iſt. Die Grundlagen deſſelben ſind einfach. Er enthält
einerſeits die Preßpolizei, und es iſt nicht zu verkennen, daß er ſie
als ſolche richtig organiſirt hat. Allein neben der Preßpolizei ſtellt er
ſich klar und ausgeſprochen auf den Standpunkt des franzöſiſchen Re-
preſſivſyſtems. Er ſcheidet die Uebertretung preßpolizeilicher Vor-
ſchriften von den „durch den Inhalt verwirkten Strafen.“ Er hält den
Grundſatz der „Verwarnungen“ feſt. Er verbietet eine „vorzugsweiſe“
Verweiſung der durch die Preſſe begangenen ſtrafbaren Handlungen vor
das Geſchworenengericht. Er will das ganze Preßgewerbe in all ſeinen
Zweigen von Conceſſionen abhängig machen, die auch „auf admini-
ſtrativem Wege“ erfolgen können; und endlich beſtimmt er, faſt wört-
lich wie das ſächſiſche Geſetz, nach dem Muſter der Loi des tendances,
daß ein ſtrafbarer Angriff auch da ſtattfindet, wo „die Form der
Darſtellung
den Gegenſtand des Angriffes dem Haſſe oder der Miß-
achtung auszuſetzen geeignet iſt.“ Es leuchtet ein, daß dieſe unbeſtimmte
Faſſung an ſich aus einem richterlichen Verfahren nothwendig ein poli-
zeiliches macht und daß bei dem Recht der Polizei, nach ihrem Er-
meſſen das ganze ſchriftſtelleriſche Unternehmen oder das ganze Druckerei-
gewerbe zu unterdrücken, eine ſolche Möglichkeit der Strafe im Grunde
eine ſelbſt für das Repreſſivſyſtem überflüſſige Härte war.

Faßt man nun auf dieſer Grundlage das Preßrecht Deutſchlands
zuſammen, ſo ergibt ſich, daß das deutſche Recht beide Syſteme neben
einander in Geltung hat. Das Recht der freien Preſſe gilt in
Oeſterreich, Preußen und Bayern; das Repreſſivſyſtem in den
übrigen Staaten auf Baſis des Bundesbeſchluſſes von 1854. Das
Rechtsprincip der erſtern Staaten iſt: Freiheit des Gewerbes der
Druckerei und des Verlags, nur mit dem Unterſchied, daß dieß Ge-
werbe in Bayern ganz frei iſt, in Oeſterreich der Conceſſion bedarf
und in Preußen ſogar nach dem hier unglücklicher Weiſe beibehaltenen
Grundſatz der ſtändiſchen Epoche eine eigene Prüfung für Drucker und
Buchhändler fordert; die Preßverordnung vom 1. Juni 1863, welche
die Conceſſion auf polizeilichem Wege widerruflich erklärte, ward durch
den energiſchen Widerſtand des Abgeordnetenhauſes (Sitzung vom 19. No-
vember 1863) glücklich beſeitigt; ſie hätte, ganz abgeſehen von ihrem
Widerſtreit mit der Verfaſſung, das Repreſſivſyſtem auf einem bedenk-
lichen Umwege wieder eingeführt, da jene Aufhebung der Gewerbs-
berechtigung doch nur einen praktiſchen Sinn gehabt hätte als polizeiliche

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[143/0159] die Cenſur aufgehoben und die Strafbarkeit zur Entſcheidung den Ge- richten zugewieſen; aber nach §. 4 kann die „Unterdrückung“ einer Zei- tung auch durch das Gericht verfügt werden. Es ergibt ſich daraus, daß der Bundesbeſchluß von 1854 noch in einem großen Theile Deutſch- lands Rechtens iſt. Die Grundlagen deſſelben ſind einfach. Er enthält einerſeits die Preßpolizei, und es iſt nicht zu verkennen, daß er ſie als ſolche richtig organiſirt hat. Allein neben der Preßpolizei ſtellt er ſich klar und ausgeſprochen auf den Standpunkt des franzöſiſchen Re- preſſivſyſtems. Er ſcheidet die Uebertretung preßpolizeilicher Vor- ſchriften von den „durch den Inhalt verwirkten Strafen.“ Er hält den Grundſatz der „Verwarnungen“ feſt. Er verbietet eine „vorzugsweiſe“ Verweiſung der durch die Preſſe begangenen ſtrafbaren Handlungen vor das Geſchworenengericht. Er will das ganze Preßgewerbe in all ſeinen Zweigen von Conceſſionen abhängig machen, die auch „auf admini- ſtrativem Wege“ erfolgen können; und endlich beſtimmt er, faſt wört- lich wie das ſächſiſche Geſetz, nach dem Muſter der Loi des tendances, daß ein ſtrafbarer Angriff auch da ſtattfindet, wo „die Form der Darſtellung den Gegenſtand des Angriffes dem Haſſe oder der Miß- achtung auszuſetzen geeignet iſt.“ Es leuchtet ein, daß dieſe unbeſtimmte Faſſung an ſich aus einem richterlichen Verfahren nothwendig ein poli- zeiliches macht und daß bei dem Recht der Polizei, nach ihrem Er- meſſen das ganze ſchriftſtelleriſche Unternehmen oder das ganze Druckerei- gewerbe zu unterdrücken, eine ſolche Möglichkeit der Strafe im Grunde eine ſelbſt für das Repreſſivſyſtem überflüſſige Härte war. Faßt man nun auf dieſer Grundlage das Preßrecht Deutſchlands zuſammen, ſo ergibt ſich, daß das deutſche Recht beide Syſteme neben einander in Geltung hat. Das Recht der freien Preſſe gilt in Oeſterreich, Preußen und Bayern; das Repreſſivſyſtem in den übrigen Staaten auf Baſis des Bundesbeſchluſſes von 1854. Das Rechtsprincip der erſtern Staaten iſt: Freiheit des Gewerbes der Druckerei und des Verlags, nur mit dem Unterſchied, daß dieß Ge- werbe in Bayern ganz frei iſt, in Oeſterreich der Conceſſion bedarf und in Preußen ſogar nach dem hier unglücklicher Weiſe beibehaltenen Grundſatz der ſtändiſchen Epoche eine eigene Prüfung für Drucker und Buchhändler fordert; die Preßverordnung vom 1. Juni 1863, welche die Conceſſion auf polizeilichem Wege widerruflich erklärte, ward durch den energiſchen Widerſtand des Abgeordnetenhauſes (Sitzung vom 19. No- vember 1863) glücklich beſeitigt; ſie hätte, ganz abgeſehen von ihrem Widerſtreit mit der Verfaſſung, das Repreſſivſyſtem auf einem bedenk- lichen Umwege wieder eingeführt, da jene Aufhebung der Gewerbs- berechtigung doch nur einen praktiſchen Sinn gehabt hätte als polizeiliche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/159>, abgerufen am 24.11.2024.