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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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das Gesetz von 1819 bestehen; die nothwendigen Modifikationen wurden
durch das Decret vom 11. August 1848 gegeben; die neue Constitution
verwies alle durch die Presse begangene Verbrechen wieder an die Jurys
(Art. 12), bis das Hauptgesetz vom 27. Juli 1849 erschien, das diese
Sätze zusammenfaßte, übrigens aber für die Mittheilungen, die es dem
Journale verbot (Anklage-Akte) sehr strenge war. Der Umschwung,
den auch die Preßgesetzgebung erlitt, beginnt mit dem Gesetz vom
16. Juli 1850, welches die Caution erhöht und den Stempel wieder ein-
führt, und den Satz zuerst aufstellt, daß "jeder Artikel von seinem
Verfasser gezeichnet sein muß
" (Art. 3). Damit war der Re-
pression das gewaltige Mittel der individuellen Gefährdung gegeben;
es war nur noch ein Schritt zur vollen Herstellung des Repressivsystems,
der endlich durch das Decret organique vom 17. Februar 1852 geschah.
Die Grundsätze desselben bedürfen keines Commentars. Jede Zeitschrift
beruht auf der autorisation prealable, selbst die, welche sich mit der
economie sociale (?) beschäftigen; fremde Journale bedürfen gleichfalls
der Genehmigung; die Verpflichtungen zur Aufnahme von Mittheilungen,
sowie die Verbote von andern vermehren sich; die Preßvergehen werden
den tribunaux correctionnels überwiesen; jeder Zeugenbeweis ist aus-
geschlossen. Die Bezeichnung eines esprit du Journal oder einer ten-
dance
ist zwar sorgfältig vermieden, aber statt dessen kann nicht bloß
das Gericht die Unterdrückung eines Journals als selbständige Unter-
nehmung aussprechen, sondern der Art. 32 sagt offen: "Nach einer
Verurtheilung selbst für bloße Contravention kann die Regierung binnen
zwei Monaten die Suspension oder die Unterdrückung eines
Journals aussprechen; ja ein Journal kann auch ohne alle Verurthei-
lung vom Ministerium nach zweimaliger Verwarnung auf zwei
Monate suspendirt und ohne allen Rechtsgrund par mesure de saurete
generale
vom Präsidenten definitiv unterdrückt werden." Es ist dazu
nichts hinzuzufügen als die Naivetät, mit der Batbie (Droit public
I.
45) diese "repression administrative" bezeichnet: "C'est le droit
qu'a le Ministre ou le Prefet d'avertir un journal pour des motifs
non determines par la loi, et dont le Ministre ou le Prefet a la
souveraine appreciation."
Bei dieser absoluten Abhängigkeit war
es freilich unnöthig die tendance als selbständiges Objekt der Polizei-
maßregel zu bezeichnen; in der That aber hat dies Decret die Anwen-
dung der Loi des tendances von 1822, die doch noch durch die Ge-
richte vollstreckt ward, nunmehr einfach der unverantwortlichen Polizei
übergeben. Das alles zusammen mit der Abhängigkeit des Druckerei-
gewerbes und der individuellen Signatur bildet die höchste Ausbildung
des Repressivsystems, die in der Geschichte vorkommt. Die Gesetze selbst

das Geſetz von 1819 beſtehen; die nothwendigen Modifikationen wurden
durch das Decret vom 11. Auguſt 1848 gegeben; die neue Conſtitution
verwies alle durch die Preſſe begangene Verbrechen wieder an die Jurys
(Art. 12), bis das Hauptgeſetz vom 27. Juli 1849 erſchien, das dieſe
Sätze zuſammenfaßte, übrigens aber für die Mittheilungen, die es dem
Journale verbot (Anklage-Akte) ſehr ſtrenge war. Der Umſchwung,
den auch die Preßgeſetzgebung erlitt, beginnt mit dem Geſetz vom
16. Juli 1850, welches die Caution erhöht und den Stempel wieder ein-
führt, und den Satz zuerſt aufſtellt, daß „jeder Artikel von ſeinem
Verfaſſer gezeichnet ſein muß
“ (Art. 3). Damit war der Re-
preſſion das gewaltige Mittel der individuellen Gefährdung gegeben;
es war nur noch ein Schritt zur vollen Herſtellung des Repreſſivſyſtems,
der endlich durch das Décret organique vom 17. Februar 1852 geſchah.
Die Grundſätze deſſelben bedürfen keines Commentars. Jede Zeitſchrift
beruht auf der autorisation préalable, ſelbſt die, welche ſich mit der
économie sociale (?) beſchäftigen; fremde Journale bedürfen gleichfalls
der Genehmigung; die Verpflichtungen zur Aufnahme von Mittheilungen,
ſowie die Verbote von andern vermehren ſich; die Preßvergehen werden
den tribunaux correctionnels überwieſen; jeder Zeugenbeweis iſt aus-
geſchloſſen. Die Bezeichnung eines esprit du Journal oder einer ten-
dance
iſt zwar ſorgfältig vermieden, aber ſtatt deſſen kann nicht bloß
das Gericht die Unterdrückung eines Journals als ſelbſtändige Unter-
nehmung ausſprechen, ſondern der Art. 32 ſagt offen: „Nach einer
Verurtheilung ſelbſt für bloße Contravention kann die Regierung binnen
zwei Monaten die Suspenſion oder die Unterdrückung eines
Journals ausſprechen; ja ein Journal kann auch ohne alle Verurthei-
lung vom Miniſterium nach zweimaliger Verwarnung auf zwei
Monate ſuspendirt und ohne allen Rechtsgrund par mesure de sûreté
générale
vom Präſidenten definitiv unterdrückt werden.“ Es iſt dazu
nichts hinzuzufügen als die Naivetät, mit der Batbie (Droit public
I.
45) dieſe „repression administrative“ bezeichnet: „C’est le droit
qu’a le Ministre ou le Préfet d’avertir un journal pour des motifs
non déterminés par la loi, et dont le Ministre ou le Préfet a la
souveraine appréciation.“
Bei dieſer abſoluten Abhängigkeit war
es freilich unnöthig die tendance als ſelbſtändiges Objekt der Polizei-
maßregel zu bezeichnen; in der That aber hat dies Decret die Anwen-
dung der Loi des tendances von 1822, die doch noch durch die Ge-
richte vollſtreckt ward, nunmehr einfach der unverantwortlichen Polizei
übergeben. Das alles zuſammen mit der Abhängigkeit des Druckerei-
gewerbes und der individuellen Signatur bildet die höchſte Ausbildung
des Repreſſivſyſtems, die in der Geſchichte vorkommt. Die Geſetze ſelbſt

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[138/0154] das Geſetz von 1819 beſtehen; die nothwendigen Modifikationen wurden durch das Decret vom 11. Auguſt 1848 gegeben; die neue Conſtitution verwies alle durch die Preſſe begangene Verbrechen wieder an die Jurys (Art. 12), bis das Hauptgeſetz vom 27. Juli 1849 erſchien, das dieſe Sätze zuſammenfaßte, übrigens aber für die Mittheilungen, die es dem Journale verbot (Anklage-Akte) ſehr ſtrenge war. Der Umſchwung, den auch die Preßgeſetzgebung erlitt, beginnt mit dem Geſetz vom 16. Juli 1850, welches die Caution erhöht und den Stempel wieder ein- führt, und den Satz zuerſt aufſtellt, daß „jeder Artikel von ſeinem Verfaſſer gezeichnet ſein muß“ (Art. 3). Damit war der Re- preſſion das gewaltige Mittel der individuellen Gefährdung gegeben; es war nur noch ein Schritt zur vollen Herſtellung des Repreſſivſyſtems, der endlich durch das Décret organique vom 17. Februar 1852 geſchah. Die Grundſätze deſſelben bedürfen keines Commentars. Jede Zeitſchrift beruht auf der autorisation préalable, ſelbſt die, welche ſich mit der économie sociale (?) beſchäftigen; fremde Journale bedürfen gleichfalls der Genehmigung; die Verpflichtungen zur Aufnahme von Mittheilungen, ſowie die Verbote von andern vermehren ſich; die Preßvergehen werden den tribunaux correctionnels überwieſen; jeder Zeugenbeweis iſt aus- geſchloſſen. Die Bezeichnung eines esprit du Journal oder einer ten- dance iſt zwar ſorgfältig vermieden, aber ſtatt deſſen kann nicht bloß das Gericht die Unterdrückung eines Journals als ſelbſtändige Unter- nehmung ausſprechen, ſondern der Art. 32 ſagt offen: „Nach einer Verurtheilung ſelbſt für bloße Contravention kann die Regierung binnen zwei Monaten die Suspenſion oder die Unterdrückung eines Journals ausſprechen; ja ein Journal kann auch ohne alle Verurthei- lung vom Miniſterium nach zweimaliger Verwarnung auf zwei Monate ſuspendirt und ohne allen Rechtsgrund par mesure de sûreté générale vom Präſidenten definitiv unterdrückt werden.“ Es iſt dazu nichts hinzuzufügen als die Naivetät, mit der Batbie (Droit public I. 45) dieſe „repression administrative“ bezeichnet: „C’est le droit qu’a le Ministre ou le Préfet d’avertir un journal pour des motifs non déterminés par la loi, et dont le Ministre ou le Préfet a la souveraine appréciation.“ Bei dieſer abſoluten Abhängigkeit war es freilich unnöthig die tendance als ſelbſtändiges Objekt der Polizei- maßregel zu bezeichnen; in der That aber hat dies Decret die Anwen- dung der Loi des tendances von 1822, die doch noch durch die Ge- richte vollſtreckt ward, nunmehr einfach der unverantwortlichen Polizei übergeben. Das alles zuſammen mit der Abhängigkeit des Druckerei- gewerbes und der individuellen Signatur bildet die höchſte Ausbildung des Repreſſivſyſtems, die in der Geſchichte vorkommt. Die Geſetze ſelbſt

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/154>, abgerufen am 22.11.2024.