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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Weise gestiegen. Die höhere politische Bildung hatte diesen Bedarf
zu einem festen gemacht; die halbe oder ganze Beseitigung der Volks-
vertretung hatte die Tagesblätter unwiderstehlich an die Stelle der
ersteren geschoben. Es gehörte daher jetzt einerseits viel Kapital
dazu, ein Tagesblatt von Bedeutung zu gründen, und es ward anderer-
seits eine öffentliche Funktion, sich an demselben zu betheiligen. Das
erste machte jedes Tagesblatt zu einem großartigen wirthschaftlichen
Unternehmen und knüpfte allmählig eine Reihe von literarischen Existenzen
an dasselbe; das zweite gab den letzteren eine öffentliche Ehre, die zum
nicht geringen Theil auf der Gefahr beruhte, welche den Journalisten
bedrohte. So ward aus der Gesammtheit der letzteren ein Stand,
der seine Stellung, seine Standesehre, seine Adepten, seine Häupter,
sein Recht hatte. Unter einer freien Volksvertretung wäre das in
dieser Weise nicht möglich geworden, wie es in England nicht der Fall
ist; so aber kam es fast von selbst und wird sich stets wiederholen,
wo eine berechtigte Volksvertretung mangelt. Aber damit war auch der
Punkt gegeben, wo die Regierung durch die Gesetzgebung ihren Einfluß
auf die Presse gewinnen konnte. Das Princip bildete sich dafür leicht
und sicher aus. Man mußte durch die wirthschaftliche Gefähr-
dung des Unternehmens eines Tagblattes
statt der früheren
Censur den einzelnen Redakteur und Schriftsteller zu seinem eigenen
Censor machen
. Dieß ist das eigentliche Wesen des Repressivsystems.
Sein großes Princip ist, den Geist der Tagespresse abhängig zu machen,
indem es die Interessen abhängig macht. Sein großes Mittel ist nicht
die Bedrohung der Person mit Straf- und Polizeirecht, sondern die
Bedrohung der Unternehmung, die im Tagesblatt liegt. Es ist eine
neue, eigenthümliche, und doch im Grunde uralte, weil rein menschliche
Form des Kampfes mit dem Geiste des öffentlichen Lebens. Der letztere
ist da, als selbständige, unverkennbare, das Einzelne beherrschende
Thatsache; aber er ist zugleich da mit seiner verwundbaren Seite, dem
Interesse derer, die ihn aussprechen und vertreten; und das, worauf
es jetzt ankommt, ist, das neue gesetzliche Recht der Presse so zu formu-
liren, daß es, in klarer Form, eben dieß Interesse in die Hand der
Regierung gibt. Und aus diesem Streben ist nun die Gesammtheit
von preßrechtlichen Bestimmungen hervorgegangen, welche eben das
System des Repressivrechts bilden.

Dieß System wird nun, im Anschluß an das Obige, leicht in
seinem juristischen und polizeilichen Kern zu bestimmen sein. An den-
selben, wenn er einmal feststeht, schließen sich dann leicht die einzelnen
ausführenden Bestimmungen an.

Die Grundlage dieses Systems ist wie gesagt der Gedanke, daß

Weiſe geſtiegen. Die höhere politiſche Bildung hatte dieſen Bedarf
zu einem feſten gemacht; die halbe oder ganze Beſeitigung der Volks-
vertretung hatte die Tagesblätter unwiderſtehlich an die Stelle der
erſteren geſchoben. Es gehörte daher jetzt einerſeits viel Kapital
dazu, ein Tagesblatt von Bedeutung zu gründen, und es ward anderer-
ſeits eine öffentliche Funktion, ſich an demſelben zu betheiligen. Das
erſte machte jedes Tagesblatt zu einem großartigen wirthſchaftlichen
Unternehmen und knüpfte allmählig eine Reihe von literariſchen Exiſtenzen
an daſſelbe; das zweite gab den letzteren eine öffentliche Ehre, die zum
nicht geringen Theil auf der Gefahr beruhte, welche den Journaliſten
bedrohte. So ward aus der Geſammtheit der letzteren ein Stand,
der ſeine Stellung, ſeine Standesehre, ſeine Adepten, ſeine Häupter,
ſein Recht hatte. Unter einer freien Volksvertretung wäre das in
dieſer Weiſe nicht möglich geworden, wie es in England nicht der Fall
iſt; ſo aber kam es faſt von ſelbſt und wird ſich ſtets wiederholen,
wo eine berechtigte Volksvertretung mangelt. Aber damit war auch der
Punkt gegeben, wo die Regierung durch die Geſetzgebung ihren Einfluß
auf die Preſſe gewinnen konnte. Das Princip bildete ſich dafür leicht
und ſicher aus. Man mußte durch die wirthſchaftliche Gefähr-
dung des Unternehmens eines Tagblattes
ſtatt der früheren
Cenſur den einzelnen Redakteur und Schriftſteller zu ſeinem eigenen
Cenſor machen
. Dieß iſt das eigentliche Weſen des Repreſſivſyſtems.
Sein großes Princip iſt, den Geiſt der Tagespreſſe abhängig zu machen,
indem es die Intereſſen abhängig macht. Sein großes Mittel iſt nicht
die Bedrohung der Perſon mit Straf- und Polizeirecht, ſondern die
Bedrohung der Unternehmung, die im Tagesblatt liegt. Es iſt eine
neue, eigenthümliche, und doch im Grunde uralte, weil rein menſchliche
Form des Kampfes mit dem Geiſte des öffentlichen Lebens. Der letztere
iſt da, als ſelbſtändige, unverkennbare, das Einzelne beherrſchende
Thatſache; aber er iſt zugleich da mit ſeiner verwundbaren Seite, dem
Intereſſe derer, die ihn ausſprechen und vertreten; und das, worauf
es jetzt ankommt, iſt, das neue geſetzliche Recht der Preſſe ſo zu formu-
liren, daß es, in klarer Form, eben dieß Intereſſe in die Hand der
Regierung gibt. Und aus dieſem Streben iſt nun die Geſammtheit
von preßrechtlichen Beſtimmungen hervorgegangen, welche eben das
Syſtem des Repreſſivrechts bilden.

Dieß Syſtem wird nun, im Anſchluß an das Obige, leicht in
ſeinem juriſtiſchen und polizeilichen Kern zu beſtimmen ſein. An den-
ſelben, wenn er einmal feſtſteht, ſchließen ſich dann leicht die einzelnen
ausführenden Beſtimmungen an.

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[112/0128] Weiſe geſtiegen. Die höhere politiſche Bildung hatte dieſen Bedarf zu einem feſten gemacht; die halbe oder ganze Beſeitigung der Volks- vertretung hatte die Tagesblätter unwiderſtehlich an die Stelle der erſteren geſchoben. Es gehörte daher jetzt einerſeits viel Kapital dazu, ein Tagesblatt von Bedeutung zu gründen, und es ward anderer- ſeits eine öffentliche Funktion, ſich an demſelben zu betheiligen. Das erſte machte jedes Tagesblatt zu einem großartigen wirthſchaftlichen Unternehmen und knüpfte allmählig eine Reihe von literariſchen Exiſtenzen an daſſelbe; das zweite gab den letzteren eine öffentliche Ehre, die zum nicht geringen Theil auf der Gefahr beruhte, welche den Journaliſten bedrohte. So ward aus der Geſammtheit der letzteren ein Stand, der ſeine Stellung, ſeine Standesehre, ſeine Adepten, ſeine Häupter, ſein Recht hatte. Unter einer freien Volksvertretung wäre das in dieſer Weiſe nicht möglich geworden, wie es in England nicht der Fall iſt; ſo aber kam es faſt von ſelbſt und wird ſich ſtets wiederholen, wo eine berechtigte Volksvertretung mangelt. Aber damit war auch der Punkt gegeben, wo die Regierung durch die Geſetzgebung ihren Einfluß auf die Preſſe gewinnen konnte. Das Princip bildete ſich dafür leicht und ſicher aus. Man mußte durch die wirthſchaftliche Gefähr- dung des Unternehmens eines Tagblattes ſtatt der früheren Cenſur den einzelnen Redakteur und Schriftſteller zu ſeinem eigenen Cenſor machen. Dieß iſt das eigentliche Weſen des Repreſſivſyſtems. Sein großes Princip iſt, den Geiſt der Tagespreſſe abhängig zu machen, indem es die Intereſſen abhängig macht. Sein großes Mittel iſt nicht die Bedrohung der Perſon mit Straf- und Polizeirecht, ſondern die Bedrohung der Unternehmung, die im Tagesblatt liegt. Es iſt eine neue, eigenthümliche, und doch im Grunde uralte, weil rein menſchliche Form des Kampfes mit dem Geiſte des öffentlichen Lebens. Der letztere iſt da, als ſelbſtändige, unverkennbare, das Einzelne beherrſchende Thatſache; aber er iſt zugleich da mit ſeiner verwundbaren Seite, dem Intereſſe derer, die ihn ausſprechen und vertreten; und das, worauf es jetzt ankommt, iſt, das neue geſetzliche Recht der Preſſe ſo zu formu- liren, daß es, in klarer Form, eben dieß Intereſſe in die Hand der Regierung gibt. Und aus dieſem Streben iſt nun die Geſammtheit von preßrechtlichen Beſtimmungen hervorgegangen, welche eben das Syſtem des Repreſſivrechts bilden. Dieß Syſtem wird nun, im Anſchluß an das Obige, leicht in ſeinem juriſtiſchen und polizeilichen Kern zu beſtimmen ſein. An den- ſelben, wenn er einmal feſtſteht, ſchließen ſich dann leicht die einzelnen ausführenden Beſtimmungen an. Die Grundlage dieſes Syſtems iſt wie geſagt der Gedanke, daß

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/128>, abgerufen am 24.11.2024.