Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Gedankens iſt es, was unwiderſtehlich, unermüdet, täglich aufs
Neue gefordert, täglich erläuternd, allgegenwärtig daſteht. Die Arbeit
der Polizei wird damit fortgeriſſen in dieſes tägliche Geiſtesleben; es
gilt einen Verſuch, das Prohibitivſyſtem an das Einzelne zu legen.
Das iſt die eigentliche Cenſur. Und hier iſt es, wo ſich die mächtige
Arbeit der Polizei zerſplittert, zerfährt, in Zufall, Willkür, Unver-
ſtand ihrer einzelnen Organe auflöst, um ſo mehr, als ihnen auch das
Buch, das Schauſpiel, die Zeitſchrift, das Bild überantwortet iſt. Und
was ſoll eigentlich dieſe Präventivpolizei mit ihrer Cenſur? Soll ſie
im Grunde den einzelnen Ausdruck verfolgen? Nein, ſie ſoll doch
zuletzt in dem einzelnen Ausdrucke den Geiſt des Druckwerkes treffen.
Sie hat die unlösbare Aufgabe, nicht mehr über den Geiſt als ſolchen,
ſondern über den Punkt in Wort und Satz zu entſcheiden, wo die
Gränze des Geiſtes iſt; und ſie hat die Löſung dieſer Aufgabe mit
ungeeigneten Mitteln zu erzielen. Sie beruht auf dem tiefen Irrthum,
daß die Preſſe erſt die Partei bilde, ſtatt daß ſie aus ihr hervorgeht.
Sie iſt der unlösbare Widerſpruch, durch das Streichen jeder einzelnen
Stelle im Einzelnen zu negiren, was ſie im Ganzen zugibt, das Recht
auf Theilnahme des Volkes an öffentlichen Angelegenheiten. Zwar
gibt ſie allmählig das Buch auf; Werke über zwanzig Bogen werden
cenſurfrei; aber in dem Zeitungsweſen arbeitet ſie mit um ſo größerer
Hartnäckigkeit. So erhebt ſich endlich der allgemeine Unwille; neben
ihm das Bewußtſein der juriſtiſchen Unmöglichkeit, durch das Verbot
oder das Streichen einzelner Sätze jede Haftung für Druck und Verlag
auf den Cenſor zu wälzen; der Unmuth ſteigt; er bricht aus in Spott und
Hohn über ein Princip, das, einſt in furchtbar ernſter Geſtalt daſtehend,
jetzt in dem einzelnen Cenſor kleinlich, in den einzelnen Akten deſſelben
kläglich, im Ganzen nutzlos iſt; und der erſte Stoß, der das bisherige
Syſtem trifft, vernichtet die Cenſur und den Cenſor; aber freilich nicht
die Frage, ob denn nun mit dieſer Form der Preßpolizei das alte
Princip der Preßpolizei ſelbſt definitiv beſeitigt iſt.


Es iſt für das geſammte öffentliche Leben Deutſchlands wohl ſehr
bezeichnend, daß das deutſche Volk allein unter den Kulturvölkern die
Cenſur ertrug, während Frankreich lieber eine Revolution machte, als
ihre Einführung duldete. Aber jene Möglichkeit, die Cenſur in Deutſch-
land zu erhalten, war im Grunde nichts anderes als die Unmöglichkeit,
zu einer einheitlichen Volksvertretung zu kommen. Die Cenſur ſelbſt
zog ihre Kreiſe enger und enger, ſie ſollte zuletzt nur noch dasjenige
in der Preſſe verhindern, um deſſentwillen man keine Volksvertretung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/124
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/124>, abgerufen am 23.02.2025.