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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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daher vergeblich darnach zu suchen; auch die englische Gesetzgebung
macht es schlechthin unmöglich, auf dem Wege der öffentlichen Anklage
und des Geschwornengerichts ein Libell gegen den Staat ausreichend zu
definiren, oder mit andern Worten zwischen dem unschuldigen Gebrauche
und dem Mißbrauche der Presse in Rücksicht auf die öffentlichen Ange-
legenheiten eine unverkennbare Demarcationslinie zu ziehen. Daher
bleibt nichts übrig, als anzuerkennen, daß "die Garantie der individuellen
Freiheit und der öffentlichen Ruhe, insoweit beide mit der Presse in
Verbindung stehen, zuletzt allemal auf der Censur beruht." (Rühle
v. Lilienstern
S. 216--218.) Das ist die einzige ernsthafte Ver-
theidigung, welche die Censur je gefunden; aber auch sie hatte gerade
in dem Munde von Gentz eine weit größere Tragweite. Sie bedeutete,
wie die von demselben Manne ausgesprochene Idee der Preßfreiheit die
Idee der constitutionellen, so ihrerseits die Idee der vertretungslosen
Monarchie. Natürlich war und blieb dabei der entscheidende Unter-
schied zwischen dem eigentlichen und dem unfreien Preßpolizeirecht ganz
unerörtert; es handelte sich in Wahrheit nur formell um die Sicherheit
der öffentlichen Ruhe; jedermann wußte, daß die Frage selbst auf einem
ganz andern Gebiete, auf dem der staatsbürgerlichen Rechte und Frei-
heiten überhaupt beruhte. So stand die Sache bis 1830. Die Folgen
dieses Jahres ließen sich natürlich auch in der Presse fühlen; und da-
mals war es, wo der eigentliche Charakter des deutschen Bundes am
schärfsten hervortrat. Die einzelnen Staaten hatten scheinbar den guten
Willen, den Forderungen des Volks nachzugeben; aber der Bund war
der Vorwand oder das Organ, welcher die Preßbeschränkung festhielt.
Die Preßfrage blieb daher auch jetzt bei dem frühern allgemeinen
Standpunkt. Die Literatur der dreißiger Jahre kommt nicht weit über
die abstrakte Stellung des Gentzischen Programms hinaus; am bezeich-
nendsten sind in dieser Beziehung die Schriften von Welker (die voll-
kommene und ganze Preßfreiheit 1830) und das Staatslexikon. Dann
gewinnt die juristische Auffassung wieder Raum: Löffler, über Gesetz-
gebung der Presse 1837; Heinsius, die bedingte Preßfreiheit 1841;
so auch Mohl, Polizeiwissenschaft Bd. III. S. 126 ff. Aber auch in
dieser Zeit ist man sich nicht klar, daß das Recht der Beschränkung der
Presse in ihren Einzeläußerungen etwas wesentlich verschiedenes ist von
dem des Geistes, und die Nothwendigkeit des erstern, die man nicht
läugnen kann, läßt die damit noch unklar verschmolzene zweite nicht
zu ihrer richtigen Bedeutung gelangen. Auf diese Weise schließt diese
Epoche mit dem vorwaltend negativen Begriff der Preßfreiheit; sie ist
noch immer im wesentlichen nichts als die Aufhebung der Censur.

Als nun mit dem Jahre 1848 die Censur fällt, und das Repressiv-

daher vergeblich darnach zu ſuchen; auch die engliſche Geſetzgebung
macht es ſchlechthin unmöglich, auf dem Wege der öffentlichen Anklage
und des Geſchwornengerichts ein Libell gegen den Staat ausreichend zu
definiren, oder mit andern Worten zwiſchen dem unſchuldigen Gebrauche
und dem Mißbrauche der Preſſe in Rückſicht auf die öffentlichen Ange-
legenheiten eine unverkennbare Demarcationslinie zu ziehen. Daher
bleibt nichts übrig, als anzuerkennen, daß „die Garantie der individuellen
Freiheit und der öffentlichen Ruhe, inſoweit beide mit der Preſſe in
Verbindung ſtehen, zuletzt allemal auf der Cenſur beruht.“ (Rühle
v. Lilienſtern
S. 216—218.) Das iſt die einzige ernſthafte Ver-
theidigung, welche die Cenſur je gefunden; aber auch ſie hatte gerade
in dem Munde von Gentz eine weit größere Tragweite. Sie bedeutete,
wie die von demſelben Manne ausgeſprochene Idee der Preßfreiheit die
Idee der conſtitutionellen, ſo ihrerſeits die Idee der vertretungsloſen
Monarchie. Natürlich war und blieb dabei der entſcheidende Unter-
ſchied zwiſchen dem eigentlichen und dem unfreien Preßpolizeirecht ganz
unerörtert; es handelte ſich in Wahrheit nur formell um die Sicherheit
der öffentlichen Ruhe; jedermann wußte, daß die Frage ſelbſt auf einem
ganz andern Gebiete, auf dem der ſtaatsbürgerlichen Rechte und Frei-
heiten überhaupt beruhte. So ſtand die Sache bis 1830. Die Folgen
dieſes Jahres ließen ſich natürlich auch in der Preſſe fühlen; und da-
mals war es, wo der eigentliche Charakter des deutſchen Bundes am
ſchärfſten hervortrat. Die einzelnen Staaten hatten ſcheinbar den guten
Willen, den Forderungen des Volks nachzugeben; aber der Bund war
der Vorwand oder das Organ, welcher die Preßbeſchränkung feſthielt.
Die Preßfrage blieb daher auch jetzt bei dem frühern allgemeinen
Standpunkt. Die Literatur der dreißiger Jahre kommt nicht weit über
die abſtrakte Stellung des Gentziſchen Programms hinaus; am bezeich-
nendſten ſind in dieſer Beziehung die Schriften von Welker (die voll-
kommene und ganze Preßfreiheit 1830) und das Staatslexikon. Dann
gewinnt die juriſtiſche Auffaſſung wieder Raum: Löffler, über Geſetz-
gebung der Preſſe 1837; Heinſius, die bedingte Preßfreiheit 1841;
ſo auch Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. III. S. 126 ff. Aber auch in
dieſer Zeit iſt man ſich nicht klar, daß das Recht der Beſchränkung der
Preſſe in ihren Einzeläußerungen etwas weſentlich verſchiedenes iſt von
dem des Geiſtes, und die Nothwendigkeit des erſtern, die man nicht
läugnen kann, läßt die damit noch unklar verſchmolzene zweite nicht
zu ihrer richtigen Bedeutung gelangen. Auf dieſe Weiſe ſchließt dieſe
Epoche mit dem vorwaltend negativen Begriff der Preßfreiheit; ſie iſt
noch immer im weſentlichen nichts als die Aufhebung der Cenſur.

Als nun mit dem Jahre 1848 die Cenſur fällt, und das Repreſſiv-

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[85/0101] daher vergeblich darnach zu ſuchen; auch die engliſche Geſetzgebung macht es ſchlechthin unmöglich, auf dem Wege der öffentlichen Anklage und des Geſchwornengerichts ein Libell gegen den Staat ausreichend zu definiren, oder mit andern Worten zwiſchen dem unſchuldigen Gebrauche und dem Mißbrauche der Preſſe in Rückſicht auf die öffentlichen Ange- legenheiten eine unverkennbare Demarcationslinie zu ziehen. Daher bleibt nichts übrig, als anzuerkennen, daß „die Garantie der individuellen Freiheit und der öffentlichen Ruhe, inſoweit beide mit der Preſſe in Verbindung ſtehen, zuletzt allemal auf der Cenſur beruht.“ (Rühle v. Lilienſtern S. 216—218.) Das iſt die einzige ernſthafte Ver- theidigung, welche die Cenſur je gefunden; aber auch ſie hatte gerade in dem Munde von Gentz eine weit größere Tragweite. Sie bedeutete, wie die von demſelben Manne ausgeſprochene Idee der Preßfreiheit die Idee der conſtitutionellen, ſo ihrerſeits die Idee der vertretungsloſen Monarchie. Natürlich war und blieb dabei der entſcheidende Unter- ſchied zwiſchen dem eigentlichen und dem unfreien Preßpolizeirecht ganz unerörtert; es handelte ſich in Wahrheit nur formell um die Sicherheit der öffentlichen Ruhe; jedermann wußte, daß die Frage ſelbſt auf einem ganz andern Gebiete, auf dem der ſtaatsbürgerlichen Rechte und Frei- heiten überhaupt beruhte. So ſtand die Sache bis 1830. Die Folgen dieſes Jahres ließen ſich natürlich auch in der Preſſe fühlen; und da- mals war es, wo der eigentliche Charakter des deutſchen Bundes am ſchärfſten hervortrat. Die einzelnen Staaten hatten ſcheinbar den guten Willen, den Forderungen des Volks nachzugeben; aber der Bund war der Vorwand oder das Organ, welcher die Preßbeſchränkung feſthielt. Die Preßfrage blieb daher auch jetzt bei dem frühern allgemeinen Standpunkt. Die Literatur der dreißiger Jahre kommt nicht weit über die abſtrakte Stellung des Gentziſchen Programms hinaus; am bezeich- nendſten ſind in dieſer Beziehung die Schriften von Welker (die voll- kommene und ganze Preßfreiheit 1830) und das Staatslexikon. Dann gewinnt die juriſtiſche Auffaſſung wieder Raum: Löffler, über Geſetz- gebung der Preſſe 1837; Heinſius, die bedingte Preßfreiheit 1841; ſo auch Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. III. S. 126 ff. Aber auch in dieſer Zeit iſt man ſich nicht klar, daß das Recht der Beſchränkung der Preſſe in ihren Einzeläußerungen etwas weſentlich verſchiedenes iſt von dem des Geiſtes, und die Nothwendigkeit des erſtern, die man nicht läugnen kann, läßt die damit noch unklar verſchmolzene zweite nicht zu ihrer richtigen Bedeutung gelangen. Auf dieſe Weiſe ſchließt dieſe Epoche mit dem vorwaltend negativen Begriff der Preßfreiheit; ſie iſt noch immer im weſentlichen nichts als die Aufhebung der Cenſur. Als nun mit dem Jahre 1848 die Cenſur fällt, und das Repreſſiv-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/101>, abgerufen am 22.11.2024.