Schulordnung beseitigt die Centralisation der Volksschulen. In ökono- mischer Beziehung werden dieselben von den Stadt- und Landgemeinden, von Privatpersonen und denjenigen Ressorts verwaltet, auf deren Kosten sie gegründet sind; in pädagogischer Beziehung sind sie den Schulräthen untergeordnet, die durchaus nicht den Charakter bureau- kratischer Institutionen haben." In hohem Grade interessant ist, was über die Universitäten gesagt wird. Charakteristisch ist der Mangel der theologischen Fakultät (mit Ausnahme von Dorpat) und die Scheidung der philosophischen Fakultät in die historisch-philologische und physisch-mathe- matische. Die Staatswissenschaften erscheinen in der juristischen. Für die Technologie besteht ein (ständisches) Institut in Riga seit 1864, nebst einigen Feldmesserinstituten (Brachelli, Staaten Europas, S. 570). Warum hat Woldemar diese Institute weggelassen? Eine kurze Mit- theilung über Woldemars Publikation mit guten Bemerkungen von Beer und Hochegger in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien, Jahrgang 1866, 2. Heft. (Fortschritte des Schulwesens in Europa).
Serbiens Bildungswesen. Es möge uns hier gestattet sein, zum Schluß dieser kurzen Charakteristiken einen Blick auf das Bildungs- wesen eines jungen Staats zu werfen, der mit großer Energie und anerkennungswerthem Verständniß in einer, wir sagen geradezu bewun- derungswerth kurzen Zeit, bei sich ein Bildungswesen entwickelt hat, das, allerdings unter dem Drucke der Verhältnisse schwer arbeitend, dennoch in bedeutsamer Weise den Nachbarländern vorangeht. Das System des serbischen Bildungswesens zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß es alle Elemente speciell des deutschen Bildungswesens in sich auf- genommen hat, so weit seine Verhältnisse es erlauben. Es besitzt näm- lich ein ziemlich über das ganze Land ausgebreitetes System der Volks- (oder Normal)-schulen für die männlichen und weiblichen Schüler, das System der Gymnasien mit der Unterscheidung zwischen Ober- und Untergymnasien, die Realschulen, und selbst Realgymnasien, dann eine Fachschule für Theologie, und endlich eine Akademie, welche den Athe- näen entspricht. Wir glauben dabei nicht auf Einzelnes eingehen zu sollen, bemerken aber, daß die Regierung in allem Wesentlichen das sehr gute österreichische System für das Recht der Schulen und für den Lehrplan zum Grunde gelegt, und die einzelnen Bestimmungen desselben fast in allen Hauptsachen durchgeführt hat. Dabei bleiben jedoch einige Punkte theils unklar, theils unfertig, theils noch verschieden. Die Realgymnasien (bis jetzt 4) sind in der That nur dem Namen nach von den Realschulen verschieden, und haben die lateinische Sprache nicht aufgenommen. Eigentliche Gewerbeschulen fehlen natürlich in dem noch gewerblosen Lande. Die Gymnasien ihrerseits haben vielmehr den
Schulordnung beſeitigt die Centraliſation der Volksſchulen. In ökono- miſcher Beziehung werden dieſelben von den Stadt- und Landgemeinden, von Privatperſonen und denjenigen Reſſorts verwaltet, auf deren Koſten ſie gegründet ſind; in pädagogiſcher Beziehung ſind ſie den Schulräthen untergeordnet, die durchaus nicht den Charakter bureau- kratiſcher Inſtitutionen haben.“ In hohem Grade intereſſant iſt, was über die Univerſitäten geſagt wird. Charakteriſtiſch iſt der Mangel der theologiſchen Fakultät (mit Ausnahme von Dorpat) und die Scheidung der philoſophiſchen Fakultät in die hiſtoriſch-philologiſche und phyſiſch-mathe- matiſche. Die Staatswiſſenſchaften erſcheinen in der juriſtiſchen. Für die Technologie beſteht ein (ſtändiſches) Inſtitut in Riga ſeit 1864, nebſt einigen Feldmeſſerinſtituten (Brachelli, Staaten Europas, S. 570). Warum hat Woldemar dieſe Inſtitute weggelaſſen? Eine kurze Mit- theilung über Woldemars Publikation mit guten Bemerkungen von Beer und Hochegger in der Zeitſchrift für die öſterreichiſchen Gymnaſien, Jahrgang 1866, 2. Heft. (Fortſchritte des Schulweſens in Europa).
Serbiens Bildungsweſen. Es möge uns hier geſtattet ſein, zum Schluß dieſer kurzen Charakteriſtiken einen Blick auf das Bildungs- weſen eines jungen Staats zu werfen, der mit großer Energie und anerkennungswerthem Verſtändniß in einer, wir ſagen geradezu bewun- derungswerth kurzen Zeit, bei ſich ein Bildungsweſen entwickelt hat, das, allerdings unter dem Drucke der Verhältniſſe ſchwer arbeitend, dennoch in bedeutſamer Weiſe den Nachbarländern vorangeht. Das Syſtem des ſerbiſchen Bildungsweſens zeichnet ſich nämlich dadurch aus, daß es alle Elemente ſpeciell des deutſchen Bildungsweſens in ſich auf- genommen hat, ſo weit ſeine Verhältniſſe es erlauben. Es beſitzt näm- lich ein ziemlich über das ganze Land ausgebreitetes Syſtem der Volks- (oder Normal)-ſchulen für die männlichen und weiblichen Schüler, das Syſtem der Gymnaſien mit der Unterſcheidung zwiſchen Ober- und Untergymnaſien, die Realſchulen, und ſelbſt Realgymnaſien, dann eine Fachſchule für Theologie, und endlich eine Akademie, welche den Athe- näen entſpricht. Wir glauben dabei nicht auf Einzelnes eingehen zu ſollen, bemerken aber, daß die Regierung in allem Weſentlichen das ſehr gute öſterreichiſche Syſtem für das Recht der Schulen und für den Lehrplan zum Grunde gelegt, und die einzelnen Beſtimmungen deſſelben faſt in allen Hauptſachen durchgeführt hat. Dabei bleiben jedoch einige Punkte theils unklar, theils unfertig, theils noch verſchieden. Die Realgymnaſien (bis jetzt 4) ſind in der That nur dem Namen nach von den Realſchulen verſchieden, und haben die lateiniſche Sprache nicht aufgenommen. Eigentliche Gewerbeſchulen fehlen natürlich in dem noch gewerbloſen Lande. Die Gymnaſien ihrerſeits haben vielmehr den
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Schulordnung beſeitigt die Centraliſation der Volksſchulen. In ökono-
miſcher Beziehung werden dieſelben von den Stadt- und Landgemeinden,
von Privatperſonen und denjenigen Reſſorts verwaltet, auf deren
Koſten ſie gegründet ſind; in pädagogiſcher Beziehung ſind ſie den
Schulräthen untergeordnet, die durchaus nicht den Charakter bureau-
kratiſcher Inſtitutionen haben.“ In hohem Grade intereſſant iſt, was
über die Univerſitäten geſagt wird. Charakteriſtiſch iſt der Mangel der
theologiſchen Fakultät (mit Ausnahme von Dorpat) und die Scheidung der
philoſophiſchen Fakultät in die hiſtoriſch-philologiſche und phyſiſch-mathe-
matiſche. Die Staatswiſſenſchaften erſcheinen in der juriſtiſchen. Für
die Technologie beſteht ein (ſtändiſches) Inſtitut in Riga ſeit 1864, nebſt
einigen Feldmeſſerinſtituten (Brachelli, Staaten Europas, S. 570).
Warum hat Woldemar dieſe Inſtitute weggelaſſen? Eine kurze Mit-
theilung über Woldemars Publikation mit guten Bemerkungen von Beer
und Hochegger in der Zeitſchrift für die öſterreichiſchen Gymnaſien,
Jahrgang 1866, 2. Heft. (Fortſchritte des Schulweſens in Europa).
Serbiens Bildungsweſen. Es möge uns hier geſtattet ſein,
zum Schluß dieſer kurzen Charakteriſtiken einen Blick auf das Bildungs-
weſen eines jungen Staats zu werfen, der mit großer Energie und
anerkennungswerthem Verſtändniß in einer, wir ſagen geradezu bewun-
derungswerth kurzen Zeit, bei ſich ein Bildungsweſen entwickelt hat,
das, allerdings unter dem Drucke der Verhältniſſe ſchwer arbeitend,
dennoch in bedeutſamer Weiſe den Nachbarländern vorangeht. Das
Syſtem des ſerbiſchen Bildungsweſens zeichnet ſich nämlich dadurch aus,
daß es alle Elemente ſpeciell des deutſchen Bildungsweſens in ſich auf-
genommen hat, ſo weit ſeine Verhältniſſe es erlauben. Es beſitzt näm-
lich ein ziemlich über das ganze Land ausgebreitetes Syſtem der Volks-
(oder Normal)-ſchulen für die männlichen und weiblichen Schüler, das
Syſtem der Gymnaſien mit der Unterſcheidung zwiſchen Ober- und
Untergymnaſien, die Realſchulen, und ſelbſt Realgymnaſien, dann eine
Fachſchule für Theologie, und endlich eine Akademie, welche den Athe-
näen entſpricht. Wir glauben dabei nicht auf Einzelnes eingehen zu
ſollen, bemerken aber, daß die Regierung in allem Weſentlichen das
ſehr gute öſterreichiſche Syſtem für das Recht der Schulen und für den
Lehrplan zum Grunde gelegt, und die einzelnen Beſtimmungen deſſelben
faſt in allen Hauptſachen durchgeführt hat. Dabei bleiben jedoch einige
Punkte theils unklar, theils unfertig, theils noch verſchieden. Die
Realgymnaſien (bis jetzt 4) ſind in der That nur dem Namen nach
von den Realſchulen verſchieden, und haben die lateiniſche Sprache
nicht aufgenommen. Eigentliche Gewerbeſchulen fehlen natürlich in dem
noch gewerbloſen Lande. Die Gymnaſien ihrerſeits haben vielmehr den
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/92>, abgerufen am 21.11.2024.
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