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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Geltung gebracht und eingeführt hatten -- die Staatspflicht, den Volks-
unterricht herzustellen; allein ein eigenthümlicher Gedanke, der die ganze
folgende Zeit beherrscht, und der eben den Charakter des französischen
Bildungswesens von dem englischen und deutschen so tief unterscheidet,
war schon hier begründet; das war der, das gesammte System des
Bildungswesens rein unter die Staatsverwaltung zu stellen, und sie
zum Herrn desselben zu machen. Es war nicht schwer, sich für diese Idee
zu begeistern, so lange Frankreich selbst frei war, und Mirabeau mit
seinem wunderbaren Takt und mit seiner gewaltigen Stimme, der diesen
Artikel der Constitution motivirte (Discours sur l'Organisation de l'in-
struction publique, 1791),
riß, nicht bloß Frankreich mit sich fort,
sondern ließ wieder einmal auch die Deutschen glauben, daß hier etwas
geleistet werde, das ihnen als Muster zu gelten habe. Die Assemblee
beauftragte Talleyrand mit dem Bericht, und dessen Rapport fait au
nom du Comite de Constitution sur l'Instruction publique
muß als
die theoretische Grundlage des ganzen französischen Unterrichtswesens
bis zur heutigen Zeit angesehen werden. Die Legislative von 1791
blieb auf demselben Standpunkt, nur forderte sie vom Staat vielmehr
die neue Declaration des droits de l'homme et du citoyen, die als
Einleitung zur Verfassung vom 24. Juni 1793 erschien, und formulirte
den Gedanken der Constitution von 1791 schon wesentlich anders. Der
Artikel 22 sagt: "L'instruction est le besoin de tous. La societe doit
favoriser de tout son pouvoir le progres de la raison publique, et
mettre l'instruction a la portee de tous les citoyens."
Der Bericht-
erstatter war diesmal Condorcet (Rapport sur l'Organisation gene-
rale de l'Instruction publique fait a l'Assemblee legislative
). Das
was in diesem Berichte Neues und der damaligen Zeit Eigenthüm-
liches war, war die Aufnahme der Verpflichtung zur staatlichen
Bildung in das Bildungswesen; und von diesem Bericht stammen die
Anordnungen in einigen Staaten, nach welchen die elementaren Grund-
sätze der Verfassung gesetzlich in das Volksschulwesen aufgenommen
worden sind. (Richter a. a. O. ahnt von alledem nicht das Entfernteste.)
Gemeinsam war beiden Gesetzgebungen, daß sie in jener Epoche auf
dem Papier blieben. Die Verfassung von 1793 läßt den ganzen Passus
in seinen allgemeinen Principien weg, wohl aber tritt hier die erste
wirkliche Organisation der Instruction publique in Titre X auf, in
welchem die ecoles primaires (a. 296) von den ecoles superieures
(a. 297) und von beiden wieder ein Institut national geschieden werden,
die aber nach a. 299 unter einander wieder im Verhältniß der subor-
dination
nach der correspondance administrative stehen. Dagegen
wird, was früher unzulässig war, hier zuerst den Bürgern das Recht

Geltung gebracht und eingeführt hatten — die Staatspflicht, den Volks-
unterricht herzuſtellen; allein ein eigenthümlicher Gedanke, der die ganze
folgende Zeit beherrſcht, und der eben den Charakter des franzöſiſchen
Bildungsweſens von dem engliſchen und deutſchen ſo tief unterſcheidet,
war ſchon hier begründet; das war der, das geſammte Syſtem des
Bildungsweſens rein unter die Staatsverwaltung zu ſtellen, und ſie
zum Herrn deſſelben zu machen. Es war nicht ſchwer, ſich für dieſe Idee
zu begeiſtern, ſo lange Frankreich ſelbſt frei war, und Mirabeau mit
ſeinem wunderbaren Takt und mit ſeiner gewaltigen Stimme, der dieſen
Artikel der Conſtitution motivirte (Discours sur l’Organisation de l’in-
struction publique, 1791),
riß, nicht bloß Frankreich mit ſich fort,
ſondern ließ wieder einmal auch die Deutſchen glauben, daß hier etwas
geleiſtet werde, das ihnen als Muſter zu gelten habe. Die Aſſemblée
beauftragte Talleyrand mit dem Bericht, und deſſen Rapport fait au
nom du Comité de Constitution sur l’Instruction publique
muß als
die theoretiſche Grundlage des ganzen franzöſiſchen Unterrichtsweſens
bis zur heutigen Zeit angeſehen werden. Die Legislative von 1791
blieb auf demſelben Standpunkt, nur forderte ſie vom Staat vielmehr
die neue Declaration des droits de l’homme et du citoyen, die als
Einleitung zur Verfaſſung vom 24. Juni 1793 erſchien, und formulirte
den Gedanken der Conſtitution von 1791 ſchon weſentlich anders. Der
Artikel 22 ſagt: „L’instruction est le besoin de tous. La société doit
favoriser de tout son pouvoir le progrès de la raison publique, et
mettre l’instruction à la portée de tous les citoyens.“
Der Bericht-
erſtatter war diesmal Condorcet (Rapport sur l’Organisation géné-
rale de l’Instruction publique fait à l’Assemblée legislative
). Das
was in dieſem Berichte Neues und der damaligen Zeit Eigenthüm-
liches war, war die Aufnahme der Verpflichtung zur ſtaatlichen
Bildung in das Bildungsweſen; und von dieſem Bericht ſtammen die
Anordnungen in einigen Staaten, nach welchen die elementaren Grund-
ſätze der Verfaſſung geſetzlich in das Volksſchulweſen aufgenommen
worden ſind. (Richter a. a. O. ahnt von alledem nicht das Entfernteſte.)
Gemeinſam war beiden Geſetzgebungen, daß ſie in jener Epoche auf
dem Papier blieben. Die Verfaſſung von 1793 läßt den ganzen Paſſus
in ſeinen allgemeinen Principien weg, wohl aber tritt hier die erſte
wirkliche Organiſation der Instruction publique in Titre X auf, in
welchem die écoles primaires (a. 296) von den écoles supérieures
(a. 297) und von beiden wieder ein Institut national geſchieden werden,
die aber nach a. 299 unter einander wieder im Verhältniß der subor-
dination
nach der correspondance administrative ſtehen. Dagegen
wird, was früher unzuläſſig war, hier zuerſt den Bürgern das Recht

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[48/0076] Geltung gebracht und eingeführt hatten — die Staatspflicht, den Volks- unterricht herzuſtellen; allein ein eigenthümlicher Gedanke, der die ganze folgende Zeit beherrſcht, und der eben den Charakter des franzöſiſchen Bildungsweſens von dem engliſchen und deutſchen ſo tief unterſcheidet, war ſchon hier begründet; das war der, das geſammte Syſtem des Bildungsweſens rein unter die Staatsverwaltung zu ſtellen, und ſie zum Herrn deſſelben zu machen. Es war nicht ſchwer, ſich für dieſe Idee zu begeiſtern, ſo lange Frankreich ſelbſt frei war, und Mirabeau mit ſeinem wunderbaren Takt und mit ſeiner gewaltigen Stimme, der dieſen Artikel der Conſtitution motivirte (Discours sur l’Organisation de l’in- struction publique, 1791), riß, nicht bloß Frankreich mit ſich fort, ſondern ließ wieder einmal auch die Deutſchen glauben, daß hier etwas geleiſtet werde, das ihnen als Muſter zu gelten habe. Die Aſſemblée beauftragte Talleyrand mit dem Bericht, und deſſen Rapport fait au nom du Comité de Constitution sur l’Instruction publique muß als die theoretiſche Grundlage des ganzen franzöſiſchen Unterrichtsweſens bis zur heutigen Zeit angeſehen werden. Die Legislative von 1791 blieb auf demſelben Standpunkt, nur forderte ſie vom Staat vielmehr die neue Declaration des droits de l’homme et du citoyen, die als Einleitung zur Verfaſſung vom 24. Juni 1793 erſchien, und formulirte den Gedanken der Conſtitution von 1791 ſchon weſentlich anders. Der Artikel 22 ſagt: „L’instruction est le besoin de tous. La société doit favoriser de tout son pouvoir le progrès de la raison publique, et mettre l’instruction à la portée de tous les citoyens.“ Der Bericht- erſtatter war diesmal Condorcet (Rapport sur l’Organisation géné- rale de l’Instruction publique fait à l’Assemblée legislative). Das was in dieſem Berichte Neues und der damaligen Zeit Eigenthüm- liches war, war die Aufnahme der Verpflichtung zur ſtaatlichen Bildung in das Bildungsweſen; und von dieſem Bericht ſtammen die Anordnungen in einigen Staaten, nach welchen die elementaren Grund- ſätze der Verfaſſung geſetzlich in das Volksſchulweſen aufgenommen worden ſind. (Richter a. a. O. ahnt von alledem nicht das Entfernteſte.) Gemeinſam war beiden Geſetzgebungen, daß ſie in jener Epoche auf dem Papier blieben. Die Verfaſſung von 1793 läßt den ganzen Paſſus in ſeinen allgemeinen Principien weg, wohl aber tritt hier die erſte wirkliche Organiſation der Instruction publique in Titre X auf, in welchem die écoles primaires (a. 296) von den écoles supérieures (a. 297) und von beiden wieder ein Institut national geſchieden werden, die aber nach a. 299 unter einander wieder im Verhältniß der subor- dination nach der correspondance administrative ſtehen. Dagegen wird, was früher unzuläſſig war, hier zuerſt den Bürgern das Recht

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/76>, abgerufen am 23.11.2024.