unbeschränkt bestehen, und ein Unterrichtsministerium existirt überhaupt nicht. England kann daher nur durch den Geist seiner gesammten Ent- wicklung auch in seinem Bildungswesen verstanden werden.
Das ganze englische Bildungswesen geht einseitig aus dem Ele- ment der individuellen Selbständigkeit in der staatsbürgerlichen Gesellschaft hervor, die geistigen Güter erscheinen hier als das eigenste Gebiet des Individuums, aber die völlig freie Bewegung des Verkehrs erzeugt die Erkenntniß des Werthes derselben für jedermann; darum soll jeder für sich und in seiner Weise sich seinen eigenen Bildungsgang schaffen, und darum thut er auch, so weit sein eigenes Interesse, sein eigenes Verständniß es für ihn fordert. Das ist somit keine Sache des Staats, und soll es auch nicht sein; noch würde ein Eingreifen des- selben als eine Gefährdung der individuellen Freiheit gelten. Die Verwaltung leistet daher grundsätzlich nichts für das Bildungswesen; das was geleistet wird, ist nur die Sache der Selbstverwaltung der Vereine, oder des Einzelnen. Es gibt daher keine organische Gesetz- gebung, keine Prüfungssysteme, keine Schulpflicht, keine Oberaufsicht, keine Unterstützung, keinen Lehrkörper, keine Statistik -- für das Ganze; für die einzelnen Theile nichts als die Achtung vor der Bildung und die allgemeine Erkenntniß des hohen Werthes derselben. Das letztere indeß verleiht wiederum der individuellen Bildung ihre Energie und zweckmäßige Klarheit, während das erstere sie zufällig und ungleichmäßig erscheinen läßt. Die tüchtige Individualität gelangt weiter als irgendwo; aber die untüchtige geht dafür auch geistig zu Grunde. Die Bildung selbst, wesentlich in ihrem wirthschaftlichen Werthe verstanden, wird ihrerseits eine vorzugsweise materielle; die Kenntnisse sind unendlich viel wichtiger als die Erkenntniß; sie sind jedoch nur Mittel zum Erwerb, und als solche für das Volk im Ganzen nie ein Zweck für sich. Die Entwicklung der Wissenschaft beruht deßhalb ausschließlich auf dem per- sönlichen Interesse des Einzelnen; sie ist keine Forderung einer Anstalt, sondern die Befriedigung einer Individualität. Der Unterschied der Klassen, den die staatsbürgerliche Gesellschaft an die Stelle des Standes- unterschiedes setzt, erscheint daher auch in der Bildungswelt; die Bil- dung wird dem Besitz parallel, und die Verwaltung füllt die Kluft nicht aus, weil sie dafür keine Verpflichtung kennt. So ist das eng- lische Bildungswesen vor allem ein verwaltungsloses, und dadurch systemloses, ungleichartiges und zufälliges, neben größter Energie des Individuums. Es ist dem Continent kaum verständlich in seiner Ein- seitigkeit, und doch nur die höchste Form der Herrschaft des einen Ele- mentes der staatsbürgerlichen Gesellschaft, der individuellen Selbständig- keit. Indeß beginnt auch hier eine andere Zeit. England fängt jetzt da
unbeſchränkt beſtehen, und ein Unterrichtsminiſterium exiſtirt überhaupt nicht. England kann daher nur durch den Geiſt ſeiner geſammten Ent- wicklung auch in ſeinem Bildungsweſen verſtanden werden.
Das ganze engliſche Bildungsweſen geht einſeitig aus dem Ele- ment der individuellen Selbſtändigkeit in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft hervor, die geiſtigen Güter erſcheinen hier als das eigenſte Gebiet des Individuums, aber die völlig freie Bewegung des Verkehrs erzeugt die Erkenntniß des Werthes derſelben für jedermann; darum ſoll jeder für ſich und in ſeiner Weiſe ſich ſeinen eigenen Bildungsgang ſchaffen, und darum thut er auch, ſo weit ſein eigenes Intereſſe, ſein eigenes Verſtändniß es für ihn fordert. Das iſt ſomit keine Sache des Staats, und ſoll es auch nicht ſein; noch würde ein Eingreifen des- ſelben als eine Gefährdung der individuellen Freiheit gelten. Die Verwaltung leiſtet daher grundſätzlich nichts für das Bildungsweſen; das was geleiſtet wird, iſt nur die Sache der Selbſtverwaltung der Vereine, oder des Einzelnen. Es gibt daher keine organiſche Geſetz- gebung, keine Prüfungsſyſteme, keine Schulpflicht, keine Oberaufſicht, keine Unterſtützung, keinen Lehrkörper, keine Statiſtik — für das Ganze; für die einzelnen Theile nichts als die Achtung vor der Bildung und die allgemeine Erkenntniß des hohen Werthes derſelben. Das letztere indeß verleiht wiederum der individuellen Bildung ihre Energie und zweckmäßige Klarheit, während das erſtere ſie zufällig und ungleichmäßig erſcheinen läßt. Die tüchtige Individualität gelangt weiter als irgendwo; aber die untüchtige geht dafür auch geiſtig zu Grunde. Die Bildung ſelbſt, weſentlich in ihrem wirthſchaftlichen Werthe verſtanden, wird ihrerſeits eine vorzugsweiſe materielle; die Kenntniſſe ſind unendlich viel wichtiger als die Erkenntniß; ſie ſind jedoch nur Mittel zum Erwerb, und als ſolche für das Volk im Ganzen nie ein Zweck für ſich. Die Entwicklung der Wiſſenſchaft beruht deßhalb ausſchließlich auf dem per- ſönlichen Intereſſe des Einzelnen; ſie iſt keine Forderung einer Anſtalt, ſondern die Befriedigung einer Individualität. Der Unterſchied der Klaſſen, den die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft an die Stelle des Standes- unterſchiedes ſetzt, erſcheint daher auch in der Bildungswelt; die Bil- dung wird dem Beſitz parallel, und die Verwaltung füllt die Kluft nicht aus, weil ſie dafür keine Verpflichtung kennt. So iſt das eng- liſche Bildungsweſen vor allem ein verwaltungsloſes, und dadurch ſyſtemloſes, ungleichartiges und zufälliges, neben größter Energie des Individuums. Es iſt dem Continent kaum verſtändlich in ſeiner Ein- ſeitigkeit, und doch nur die höchſte Form der Herrſchaft des einen Ele- mentes der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, der individuellen Selbſtändig- keit. Indeß beginnt auch hier eine andere Zeit. England fängt jetzt da
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unbeſchränkt beſtehen, und ein Unterrichtsminiſterium exiſtirt überhaupt
nicht. England kann daher nur durch den Geiſt ſeiner geſammten Ent-
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Das ganze engliſche Bildungsweſen geht einſeitig aus dem Ele-
ment der individuellen Selbſtändigkeit in der ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaft hervor, die geiſtigen Güter erſcheinen hier als das eigenſte
Gebiet des Individuums, aber die völlig freie Bewegung des Verkehrs
erzeugt die Erkenntniß des Werthes derſelben für jedermann; darum ſoll
jeder für ſich und in ſeiner Weiſe ſich ſeinen eigenen Bildungsgang
ſchaffen, und darum thut er auch, ſo weit ſein eigenes Intereſſe, ſein
eigenes Verſtändniß es für ihn fordert. Das iſt ſomit keine Sache des
Staats, und ſoll es auch nicht ſein; noch würde ein Eingreifen des-
ſelben als eine Gefährdung der individuellen Freiheit gelten. Die
Verwaltung leiſtet daher grundſätzlich nichts für das Bildungsweſen;
das was geleiſtet wird, iſt nur die Sache der Selbſtverwaltung der
Vereine, oder des Einzelnen. Es gibt daher keine organiſche Geſetz-
gebung, keine Prüfungsſyſteme, keine Schulpflicht, keine Oberaufſicht,
keine Unterſtützung, keinen Lehrkörper, keine Statiſtik — für das Ganze;
für die einzelnen Theile nichts als die Achtung vor der Bildung und
die allgemeine Erkenntniß des hohen Werthes derſelben. Das letztere
indeß verleiht wiederum der individuellen Bildung ihre Energie und
zweckmäßige Klarheit, während das erſtere ſie zufällig und ungleichmäßig
erſcheinen läßt. Die tüchtige Individualität gelangt weiter als irgendwo;
aber die untüchtige geht dafür auch geiſtig zu Grunde. Die Bildung
ſelbſt, weſentlich in ihrem wirthſchaftlichen Werthe verſtanden, wird
ihrerſeits eine vorzugsweiſe materielle; die Kenntniſſe ſind unendlich viel
wichtiger als die Erkenntniß; ſie ſind jedoch nur Mittel zum Erwerb,
und als ſolche für das Volk im Ganzen nie ein Zweck für ſich. Die
Entwicklung der Wiſſenſchaft beruht deßhalb ausſchließlich auf dem per-
ſönlichen Intereſſe des Einzelnen; ſie iſt keine Forderung einer Anſtalt,
ſondern die Befriedigung einer Individualität. Der Unterſchied der
Klaſſen, den die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft an die Stelle des Standes-
unterſchiedes ſetzt, erſcheint daher auch in der Bildungswelt; die Bil-
dung wird dem Beſitz parallel, und die Verwaltung füllt die Kluft
nicht aus, weil ſie dafür keine Verpflichtung kennt. So iſt das eng-
liſche Bildungsweſen vor allem ein verwaltungsloſes, und dadurch
ſyſtemloſes, ungleichartiges und zufälliges, neben größter Energie des
Individuums. Es iſt dem Continent kaum verſtändlich in ſeiner Ein-
ſeitigkeit, und doch nur die höchſte Form der Herrſchaft des einen Ele-
mentes der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, der individuellen Selbſtändig-
keit. Indeß beginnt auch hier eine andere Zeit. England fängt jetzt da
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/72>, abgerufen am 22.11.2024.
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