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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Theil der Staatslehre eingreift. Wenn es uns gegeben wäre, die Noth-
wendigkeit und den Werth dieser Forderungen für diejenigen nachzu-
weisen, welche sich mit den gegebenen Verhältnissen des Bildungswesens
in Europa beschäftigen, so würden wir glauben, viel gewonnen zu haben.

Breitet man nun von diesem Standpunkt aus die Karte von Europa
vor sich aus mit ihren verschiedenen Völkern und Staaten, fest im Auge
haltend das Verhältniß von Gesellschaft und Staat als Grundlage der
gesammten öffentlichen Rechtsbildung, so erscheinen wie für die Verwal-
tung überhaupt, so namentlich auch für das Bildungswesen die drei
großen staatlichen Bildungen, die wir überhaupt für die Verwaltungslehre
als die drei Grundformen der öffentlichen Rechtsbildung anerkennen
müssen, England, Frankreich und Deutschland. An sie schließen sich alle
andern mit mehr oder weniger Klarheit, mit mehr oder weniger Bewußt-
sein ihres wahren Verhältnisses an. Man kann unbedenklich sagen, daß
wer diese Staaten versteht, das Leben von Europa mit Einem Blick zu
umfassen vermag; so in allen andern Dingen, so auch im Bildungswesen.

Allen diesen Staaten ist nun die eine große historische, alle übrigen
überragende Thatsache gemeinsam, daß sie im Uebergange von der
ständischen zur staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung begriffen sind.
Der Charakter ihres öffentlichen Rechts überhaupt und ihres Bildungs-
wesens im besondern beruht demnach auf den Elementen, durch welche
dieser Uebergang vollzogen wird, und auf dem Punkte, auf welchem
sich derselbe befindet.

Um dieß als Grundlage der Vergleichung auch des positiven
öffentlichen Rechts festhalten zu können, dürfen wir hier einen sehr
wichtigen allgemeinen Satz wiederholen. Eine jede große Gesetz-
gebung
in einem jeden Staate entsteht immer erst da, wo eine neue
Gestalt der Gesellschaftsordnung sich Bahn bricht. Das gilt für die
ganze Verwaltung; das gilt auch für das Bildungswesen. Das Auf-
treten großer Gesetzgebungen für diese Verwaltung des geistigen Lebens
begleitet daher stets die gesellschaftliche Entwicklung, und bedeutet immer
einen nachhaltigen Sieg der Staatsidee über die gesellschaftlichen Sonder-
interessen. In der That darf man daher nicht eigentlich bei der Ver-
gleichung von dem Inhalt der positiven Gesetze ausgehen, sondern muß
vielmehr von der Anschauung der gesellschaftlichen Bewegung aus zu
ihnen als nothwendiger und praktischer Consequenz hingelangen. Und
dafür den Versuch zu liefern, ist die nächste Aufgabe des folgenden.
Zunächst aber erklärt es sich eben daraus, weßhalb gerade unser Jahr-
hundert die Epoche der großen organischen Bildungsgesetzgebungen ist;
denn daß dem so ist, ist ebenfalls eins der greifbarsten Ergebnisse der
historischen Bewegung, in der wir uns befinden.

Theil der Staatslehre eingreift. Wenn es uns gegeben wäre, die Noth-
wendigkeit und den Werth dieſer Forderungen für diejenigen nachzu-
weiſen, welche ſich mit den gegebenen Verhältniſſen des Bildungsweſens
in Europa beſchäftigen, ſo würden wir glauben, viel gewonnen zu haben.

Breitet man nun von dieſem Standpunkt aus die Karte von Europa
vor ſich aus mit ihren verſchiedenen Völkern und Staaten, feſt im Auge
haltend das Verhältniß von Geſellſchaft und Staat als Grundlage der
geſammten öffentlichen Rechtsbildung, ſo erſcheinen wie für die Verwal-
tung überhaupt, ſo namentlich auch für das Bildungsweſen die drei
großen ſtaatlichen Bildungen, die wir überhaupt für die Verwaltungslehre
als die drei Grundformen der öffentlichen Rechtsbildung anerkennen
müſſen, England, Frankreich und Deutſchland. An ſie ſchließen ſich alle
andern mit mehr oder weniger Klarheit, mit mehr oder weniger Bewußt-
ſein ihres wahren Verhältniſſes an. Man kann unbedenklich ſagen, daß
wer dieſe Staaten verſteht, das Leben von Europa mit Einem Blick zu
umfaſſen vermag; ſo in allen andern Dingen, ſo auch im Bildungsweſen.

Allen dieſen Staaten iſt nun die eine große hiſtoriſche, alle übrigen
überragende Thatſache gemeinſam, daß ſie im Uebergange von der
ſtändiſchen zur ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung begriffen ſind.
Der Charakter ihres öffentlichen Rechts überhaupt und ihres Bildungs-
weſens im beſondern beruht demnach auf den Elementen, durch welche
dieſer Uebergang vollzogen wird, und auf dem Punkte, auf welchem
ſich derſelbe befindet.

Um dieß als Grundlage der Vergleichung auch des poſitiven
öffentlichen Rechts feſthalten zu können, dürfen wir hier einen ſehr
wichtigen allgemeinen Satz wiederholen. Eine jede große Geſetz-
gebung
in einem jeden Staate entſteht immer erſt da, wo eine neue
Geſtalt der Geſellſchaftsordnung ſich Bahn bricht. Das gilt für die
ganze Verwaltung; das gilt auch für das Bildungsweſen. Das Auf-
treten großer Geſetzgebungen für dieſe Verwaltung des geiſtigen Lebens
begleitet daher ſtets die geſellſchaftliche Entwicklung, und bedeutet immer
einen nachhaltigen Sieg der Staatsidee über die geſellſchaftlichen Sonder-
intereſſen. In der That darf man daher nicht eigentlich bei der Ver-
gleichung von dem Inhalt der poſitiven Geſetze ausgehen, ſondern muß
vielmehr von der Anſchauung der geſellſchaftlichen Bewegung aus zu
ihnen als nothwendiger und praktiſcher Conſequenz hingelangen. Und
dafür den Verſuch zu liefern, iſt die nächſte Aufgabe des folgenden.
Zunächſt aber erklärt es ſich eben daraus, weßhalb gerade unſer Jahr-
hundert die Epoche der großen organiſchen Bildungsgeſetzgebungen iſt;
denn daß dem ſo iſt, iſt ebenfalls eins der greifbarſten Ergebniſſe der
hiſtoriſchen Bewegung, in der wir uns befinden.

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[40/0068] Theil der Staatslehre eingreift. Wenn es uns gegeben wäre, die Noth- wendigkeit und den Werth dieſer Forderungen für diejenigen nachzu- weiſen, welche ſich mit den gegebenen Verhältniſſen des Bildungsweſens in Europa beſchäftigen, ſo würden wir glauben, viel gewonnen zu haben. Breitet man nun von dieſem Standpunkt aus die Karte von Europa vor ſich aus mit ihren verſchiedenen Völkern und Staaten, feſt im Auge haltend das Verhältniß von Geſellſchaft und Staat als Grundlage der geſammten öffentlichen Rechtsbildung, ſo erſcheinen wie für die Verwal- tung überhaupt, ſo namentlich auch für das Bildungsweſen die drei großen ſtaatlichen Bildungen, die wir überhaupt für die Verwaltungslehre als die drei Grundformen der öffentlichen Rechtsbildung anerkennen müſſen, England, Frankreich und Deutſchland. An ſie ſchließen ſich alle andern mit mehr oder weniger Klarheit, mit mehr oder weniger Bewußt- ſein ihres wahren Verhältniſſes an. Man kann unbedenklich ſagen, daß wer dieſe Staaten verſteht, das Leben von Europa mit Einem Blick zu umfaſſen vermag; ſo in allen andern Dingen, ſo auch im Bildungsweſen. Allen dieſen Staaten iſt nun die eine große hiſtoriſche, alle übrigen überragende Thatſache gemeinſam, daß ſie im Uebergange von der ſtändiſchen zur ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung begriffen ſind. Der Charakter ihres öffentlichen Rechts überhaupt und ihres Bildungs- weſens im beſondern beruht demnach auf den Elementen, durch welche dieſer Uebergang vollzogen wird, und auf dem Punkte, auf welchem ſich derſelbe befindet. Um dieß als Grundlage der Vergleichung auch des poſitiven öffentlichen Rechts feſthalten zu können, dürfen wir hier einen ſehr wichtigen allgemeinen Satz wiederholen. Eine jede große Geſetz- gebung in einem jeden Staate entſteht immer erſt da, wo eine neue Geſtalt der Geſellſchaftsordnung ſich Bahn bricht. Das gilt für die ganze Verwaltung; das gilt auch für das Bildungsweſen. Das Auf- treten großer Geſetzgebungen für dieſe Verwaltung des geiſtigen Lebens begleitet daher ſtets die geſellſchaftliche Entwicklung, und bedeutet immer einen nachhaltigen Sieg der Staatsidee über die geſellſchaftlichen Sonder- intereſſen. In der That darf man daher nicht eigentlich bei der Ver- gleichung von dem Inhalt der poſitiven Geſetze ausgehen, ſondern muß vielmehr von der Anſchauung der geſellſchaftlichen Bewegung aus zu ihnen als nothwendiger und praktiſcher Conſequenz hingelangen. Und dafür den Verſuch zu liefern, iſt die nächſte Aufgabe des folgenden. Zunächſt aber erklärt es ſich eben daraus, weßhalb gerade unſer Jahr- hundert die Epoche der großen organiſchen Bildungsgeſetzgebungen iſt; denn daß dem ſo iſt, iſt ebenfalls eins der greifbarſten Ergebniſſe der hiſtoriſchen Bewegung, in der wir uns befinden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/68>, abgerufen am 23.11.2024.