Wissens. Die Wissenschaft ist nun wohl an sich frei und allgemein: aber in der herrschenden ständischen Ordnung erscheint sie doch that- sächlich nur als ständische Aufgabe und erzeugt einen Stand. Für diesen Stand fordert sie ihr eigenes Bildungswesen. Das große Organ dieser ständischen Wissenschaft ist die Universität. Die Universität er- scheint somit ursprünglich als etwas ganz verschiedenes von dem was sie später geworden. Sie ist erst in zweiter Linie eine Bildungsanstalt; sie ist in erster das Haupt eines neuen, socialen Standes. Sie nimmt daher das Recht eines jeden Standes in Anspruch, sich selbst zu ver- walten. So entsteht der erste große Selbstverwaltungskörper des Bil- dungswesens, zwar eine rein ständische, aber auch eine geistige Gestalt. Mit dem ersten dieser Elemente wirkt sie allerdings exclusiv, indem ihr nur das als Wissenschaft gilt, was sie lehrt und anerkennt; mit dem zweiten aber zieht sie das geistige Leben der Völker überhaupt an sich, erzeugt ein eigenes System der Vorbildung in den gelehrten Schulen, eine eigene Ordnung für den Erwerb der Bildung in den Studien- ordnungen, ein eigenes Recht der Erklärung über die gewonnene in den Universitätswürden; sie ist eine Welt für sich, aber ihre Bildung wird allmählig ein Faktor des praktischen öffentlichen Lebens, ja der Verwaltung, und die in dieser Beziehung zum wirklichen Leben liegenden Keime einer allgemeineren Stellung überwuchern allmählig das ständisch exclusive Element; der Staat kommt zum Bewußtsein, daß er ihrer und ihrer Funktion bedarf, und kaum scheidet er sich klar von der Stände- ordnung, als er auch schon die ganze Universitätsordnung mit ihrer Vorbildung in dem Gymnasium, mit ihrer Lehrordnung und ihren Prüfungen dem staatlichen Recht unterwirft und so aus diesem ursprüng- lich socialen Bildungswesen ein staatliches macht. Einen ganz ähnlichen Weg geht das zweite Element der ständischen Gesellschaft der germani- schen Welt.
VII. Dieß zweite Element ist das, was neben den Universitäten die germanische Welt des Geistes charakterisirt, die Schule. Sie ist zuerst und zunächst eine rein ständische Anstalt. Sie geht hervor aus der Kirche, aber sie ist ursprünglich auch nur für die Kirche bestimmt. Da sie selbst ihre Glieder aus dem Volke nahm, mußte sie demselben Volke wenigstens die Elemente aller Bildung allmählig zugänglich machen. Allein das allgemeine Wesen der Schule, die elastische Fähigkeit derselben, die Bildung ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Unterschiede zu erzeugen, verläugnet sich selbst in ihrer anfänglichen Gestalt nicht. Sie ist ihrem Wesen nach gleich bei ihrem Ursprung eine allgemeine Bildungsanstalt, deren Herstellung und Verwaltung aber anfänglich noch eine rein stän- dische Aufgabe der Kirche ist. Weder der Orient noch das Alterthum
Wiſſens. Die Wiſſenſchaft iſt nun wohl an ſich frei und allgemein: aber in der herrſchenden ſtändiſchen Ordnung erſcheint ſie doch that- ſächlich nur als ſtändiſche Aufgabe und erzeugt einen Stand. Für dieſen Stand fordert ſie ihr eigenes Bildungsweſen. Das große Organ dieſer ſtändiſchen Wiſſenſchaft iſt die Univerſität. Die Univerſität er- ſcheint ſomit urſprünglich als etwas ganz verſchiedenes von dem was ſie ſpäter geworden. Sie iſt erſt in zweiter Linie eine Bildungsanſtalt; ſie iſt in erſter das Haupt eines neuen, ſocialen Standes. Sie nimmt daher das Recht eines jeden Standes in Anſpruch, ſich ſelbſt zu ver- walten. So entſteht der erſte große Selbſtverwaltungskörper des Bil- dungsweſens, zwar eine rein ſtändiſche, aber auch eine geiſtige Geſtalt. Mit dem erſten dieſer Elemente wirkt ſie allerdings excluſiv, indem ihr nur das als Wiſſenſchaft gilt, was ſie lehrt und anerkennt; mit dem zweiten aber zieht ſie das geiſtige Leben der Völker überhaupt an ſich, erzeugt ein eigenes Syſtem der Vorbildung in den gelehrten Schulen, eine eigene Ordnung für den Erwerb der Bildung in den Studien- ordnungen, ein eigenes Recht der Erklärung über die gewonnene in den Univerſitätswürden; ſie iſt eine Welt für ſich, aber ihre Bildung wird allmählig ein Faktor des praktiſchen öffentlichen Lebens, ja der Verwaltung, und die in dieſer Beziehung zum wirklichen Leben liegenden Keime einer allgemeineren Stellung überwuchern allmählig das ſtändiſch excluſive Element; der Staat kommt zum Bewußtſein, daß er ihrer und ihrer Funktion bedarf, und kaum ſcheidet er ſich klar von der Stände- ordnung, als er auch ſchon die ganze Univerſitätsordnung mit ihrer Vorbildung in dem Gymnaſium, mit ihrer Lehrordnung und ihren Prüfungen dem ſtaatlichen Recht unterwirft und ſo aus dieſem urſprüng- lich ſocialen Bildungsweſen ein ſtaatliches macht. Einen ganz ähnlichen Weg geht das zweite Element der ſtändiſchen Geſellſchaft der germani- ſchen Welt.
VII. Dieß zweite Element iſt das, was neben den Univerſitäten die germaniſche Welt des Geiſtes charakteriſirt, die Schule. Sie iſt zuerſt und zunächſt eine rein ſtändiſche Anſtalt. Sie geht hervor aus der Kirche, aber ſie iſt urſprünglich auch nur für die Kirche beſtimmt. Da ſie ſelbſt ihre Glieder aus dem Volke nahm, mußte ſie demſelben Volke wenigſtens die Elemente aller Bildung allmählig zugänglich machen. Allein das allgemeine Weſen der Schule, die elaſtiſche Fähigkeit derſelben, die Bildung ohne Rückſicht auf die geſellſchaftlichen Unterſchiede zu erzeugen, verläugnet ſich ſelbſt in ihrer anfänglichen Geſtalt nicht. Sie iſt ihrem Weſen nach gleich bei ihrem Urſprung eine allgemeine Bildungsanſtalt, deren Herſtellung und Verwaltung aber anfänglich noch eine rein ſtän- diſche Aufgabe der Kirche iſt. Weder der Orient noch das Alterthum
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Wiſſens. Die Wiſſenſchaft iſt nun wohl an ſich frei und allgemein:
aber in der herrſchenden ſtändiſchen Ordnung erſcheint ſie doch that-
ſächlich nur als ſtändiſche Aufgabe und erzeugt einen Stand. Für
dieſen Stand fordert ſie ihr eigenes Bildungsweſen. Das große Organ
dieſer ſtändiſchen Wiſſenſchaft iſt die Univerſität. Die Univerſität er-
ſcheint ſomit urſprünglich als etwas ganz verſchiedenes von dem was
ſie ſpäter geworden. Sie iſt erſt in zweiter Linie eine Bildungsanſtalt;
ſie iſt in erſter das Haupt eines neuen, ſocialen Standes. Sie nimmt
daher das Recht eines jeden Standes in Anſpruch, ſich ſelbſt zu ver-
walten. So entſteht der erſte große Selbſtverwaltungskörper des Bil-
dungsweſens, zwar eine rein ſtändiſche, aber auch eine geiſtige Geſtalt.
Mit dem erſten dieſer Elemente wirkt ſie allerdings excluſiv, indem ihr
nur das als Wiſſenſchaft gilt, was ſie lehrt und anerkennt; mit dem
zweiten aber zieht ſie das geiſtige Leben der Völker überhaupt an ſich,
erzeugt ein eigenes Syſtem der Vorbildung in den gelehrten Schulen,
eine eigene Ordnung für den Erwerb der Bildung in den Studien-
ordnungen, ein eigenes Recht der Erklärung über die gewonnene in
den Univerſitätswürden; ſie iſt eine Welt für ſich, aber ihre Bildung
wird allmählig ein Faktor des praktiſchen öffentlichen Lebens, ja der
Verwaltung, und die in dieſer Beziehung zum wirklichen Leben liegenden
Keime einer allgemeineren Stellung überwuchern allmählig das ſtändiſch
excluſive Element; der Staat kommt zum Bewußtſein, daß er ihrer und
ihrer Funktion bedarf, und kaum ſcheidet er ſich klar von der Stände-
ordnung, als er auch ſchon die ganze Univerſitätsordnung mit ihrer
Vorbildung in dem Gymnaſium, mit ihrer Lehrordnung und ihren
Prüfungen dem ſtaatlichen Recht unterwirft und ſo aus dieſem urſprüng-
lich ſocialen Bildungsweſen ein ſtaatliches macht. Einen ganz ähnlichen
Weg geht das zweite Element der ſtändiſchen Geſellſchaft der germani-
ſchen Welt.
VII. Dieß zweite Element iſt das, was neben den Univerſitäten
die germaniſche Welt des Geiſtes charakteriſirt, die Schule. Sie iſt
zuerſt und zunächſt eine rein ſtändiſche Anſtalt. Sie geht hervor aus
der Kirche, aber ſie iſt urſprünglich auch nur für die Kirche beſtimmt.
Da ſie ſelbſt ihre Glieder aus dem Volke nahm, mußte ſie demſelben Volke
wenigſtens die Elemente aller Bildung allmählig zugänglich machen. Allein
das allgemeine Weſen der Schule, die elaſtiſche Fähigkeit derſelben, die
Bildung ohne Rückſicht auf die geſellſchaftlichen Unterſchiede zu erzeugen,
verläugnet ſich ſelbſt in ihrer anfänglichen Geſtalt nicht. Sie iſt ihrem
Weſen nach gleich bei ihrem Urſprung eine allgemeine Bildungsanſtalt,
deren Herſtellung und Verwaltung aber anfänglich noch eine rein ſtän-
diſche Aufgabe der Kirche iſt. Weder der Orient noch das Alterthum
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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