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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Jede Gesellschaft hat ihre herrschende und ihre beherrschte Klasse, und
ihre eigenthümlichen Gegensätze und Bewegungen, welche den Inhalt
des innern Lebens der Völker bilden. Der Charakter dieses innern
Lebens ist stets das Streben der herrschenden Klasse, ihre eigenen In-
teressen zu erhalten und zu fördern. Dieser Charakter gilt nun auch
für die in ihr gegebene Gestalt des Bildungswesens. Jedes aus der
Gesellschaft hervorgehende Bildungswesen geht dahin, diese Bildung in
der Weise zu ordnen, zu erzeugen und vertheilen, daß die besondere
Stellung, die Herrschaft und das Interesse der einzelnen Klassen mit
all ihren Unterschieden in der durch die Bildung gegebenen geistigen
Welt einerseits wiedergegeben werde, andererseits sich erhalte. Jedes
rein gesellschaftliche Bildungswesen ist daher ein Bild, aber auch ein
Grund und eine mächtige Stütze der gesellschaftlichen Unterschiede
zwischen den Menschen
. Jedes rein gesellschaftliche Bildungswesen
enthält daher einerseits eine möglichst hohe, stark entwickelte, meist auf
die tiefsten Grundlagen des geistigen Lebens zurückgeführte Bildung der
herrschenden Berufsarten; aber neben dieser Bildung zugleich die
Ausschließung der niederen Klasse von der Berufsbildung der höheren.
In diesen beiden, für alle Stadien der Geschichte gültigen Sätzen gipfelt
der Charakter des eigentlich gesellschaftlichen Bildungswesens.

In diese durch die Gesellschaftsordnungen gesetzte Gestalt desselben
tritt nun der Staat mit seinem specifischen Wesen hinein. Seiner
unabänderlichen Natur nach vertritt er stets das allgemeine Interesse
gegenüber dem besondern, und keine gesellschaftliche Verfassung kann ihm
dieses sein Lebensprincip ganz rauben. Das Gebiet aber, in welchem
er dieß sein eigenstens Lebensprincip zur Verwirklichung bringt, ist eben
die Verwaltung überhaupt; denn die Verwaltung ist ja der thätige
Staat. In allen einzelnen Gebieten der Verwaltung aber erscheint
das specifische Lebensprincip der Staatsidee gegenüber dem der gesell-
schaftlichen Ordnungen wieder als die beständige Arbeit des Staats,
die niedere und beherrschte Klasse zu heben, und ihr die Lebens-
bedingungen der Entwicklung zur möglichsten Gleichheit mit der
herrschenden zu geben. Dieß ist der Kern aller Verwaltung des Staats
gegenüber der Gesellschaft, also auch seiner Verwaltung des geistigen
Lebens.

Das große Princip der Staatsgewalt im Bildungswesen erscheint
nun abgesehen von jeder Bethätigung in den einzelnen Formen, Ein-
richtungen und Gesetzen in doppelter Weise. Einerseits tritt es negativ
auf in dem Streben, die in den gesellschaftlichen Kräften und Zuständen
liegenden Unterscheidungen im Volksbildungswesen zu bekämpfen und zu
beseitigen, positiv aber in dem organisirten Versuch, allen Klassen der

Jede Geſellſchaft hat ihre herrſchende und ihre beherrſchte Klaſſe, und
ihre eigenthümlichen Gegenſätze und Bewegungen, welche den Inhalt
des innern Lebens der Völker bilden. Der Charakter dieſes innern
Lebens iſt ſtets das Streben der herrſchenden Klaſſe, ihre eigenen In-
tereſſen zu erhalten und zu fördern. Dieſer Charakter gilt nun auch
für die in ihr gegebene Geſtalt des Bildungsweſens. Jedes aus der
Geſellſchaft hervorgehende Bildungsweſen geht dahin, dieſe Bildung in
der Weiſe zu ordnen, zu erzeugen und vertheilen, daß die beſondere
Stellung, die Herrſchaft und das Intereſſe der einzelnen Klaſſen mit
all ihren Unterſchieden in der durch die Bildung gegebenen geiſtigen
Welt einerſeits wiedergegeben werde, andererſeits ſich erhalte. Jedes
rein geſellſchaftliche Bildungsweſen iſt daher ein Bild, aber auch ein
Grund und eine mächtige Stütze der geſellſchaftlichen Unterſchiede
zwiſchen den Menſchen
. Jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen
enthält daher einerſeits eine möglichſt hohe, ſtark entwickelte, meiſt auf
die tiefſten Grundlagen des geiſtigen Lebens zurückgeführte Bildung der
herrſchenden Berufsarten; aber neben dieſer Bildung zugleich die
Ausſchließung der niederen Klaſſe von der Berufsbildung der höheren.
In dieſen beiden, für alle Stadien der Geſchichte gültigen Sätzen gipfelt
der Charakter des eigentlich geſellſchaftlichen Bildungsweſens.

In dieſe durch die Geſellſchaftsordnungen geſetzte Geſtalt deſſelben
tritt nun der Staat mit ſeinem ſpecifiſchen Weſen hinein. Seiner
unabänderlichen Natur nach vertritt er ſtets das allgemeine Intereſſe
gegenüber dem beſondern, und keine geſellſchaftliche Verfaſſung kann ihm
dieſes ſein Lebensprincip ganz rauben. Das Gebiet aber, in welchem
er dieß ſein eigenſtens Lebensprincip zur Verwirklichung bringt, iſt eben
die Verwaltung überhaupt; denn die Verwaltung iſt ja der thätige
Staat. In allen einzelnen Gebieten der Verwaltung aber erſcheint
das ſpecifiſche Lebensprincip der Staatsidee gegenüber dem der geſell-
ſchaftlichen Ordnungen wieder als die beſtändige Arbeit des Staats,
die niedere und beherrſchte Klaſſe zu heben, und ihr die Lebens-
bedingungen der Entwicklung zur möglichſten Gleichheit mit der
herrſchenden zu geben. Dieß iſt der Kern aller Verwaltung des Staats
gegenüber der Geſellſchaft, alſo auch ſeiner Verwaltung des geiſtigen
Lebens.

Das große Princip der Staatsgewalt im Bildungsweſen erſcheint
nun abgeſehen von jeder Bethätigung in den einzelnen Formen, Ein-
richtungen und Geſetzen in doppelter Weiſe. Einerſeits tritt es negativ
auf in dem Streben, die in den geſellſchaftlichen Kräften und Zuſtänden
liegenden Unterſcheidungen im Volksbildungsweſen zu bekämpfen und zu
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[21/0049] Jede Geſellſchaft hat ihre herrſchende und ihre beherrſchte Klaſſe, und ihre eigenthümlichen Gegenſätze und Bewegungen, welche den Inhalt des innern Lebens der Völker bilden. Der Charakter dieſes innern Lebens iſt ſtets das Streben der herrſchenden Klaſſe, ihre eigenen In- tereſſen zu erhalten und zu fördern. Dieſer Charakter gilt nun auch für die in ihr gegebene Geſtalt des Bildungsweſens. Jedes aus der Geſellſchaft hervorgehende Bildungsweſen geht dahin, dieſe Bildung in der Weiſe zu ordnen, zu erzeugen und vertheilen, daß die beſondere Stellung, die Herrſchaft und das Intereſſe der einzelnen Klaſſen mit all ihren Unterſchieden in der durch die Bildung gegebenen geiſtigen Welt einerſeits wiedergegeben werde, andererſeits ſich erhalte. Jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen iſt daher ein Bild, aber auch ein Grund und eine mächtige Stütze der geſellſchaftlichen Unterſchiede zwiſchen den Menſchen. Jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen enthält daher einerſeits eine möglichſt hohe, ſtark entwickelte, meiſt auf die tiefſten Grundlagen des geiſtigen Lebens zurückgeführte Bildung der herrſchenden Berufsarten; aber neben dieſer Bildung zugleich die Ausſchließung der niederen Klaſſe von der Berufsbildung der höheren. In dieſen beiden, für alle Stadien der Geſchichte gültigen Sätzen gipfelt der Charakter des eigentlich geſellſchaftlichen Bildungsweſens. In dieſe durch die Geſellſchaftsordnungen geſetzte Geſtalt deſſelben tritt nun der Staat mit ſeinem ſpecifiſchen Weſen hinein. Seiner unabänderlichen Natur nach vertritt er ſtets das allgemeine Intereſſe gegenüber dem beſondern, und keine geſellſchaftliche Verfaſſung kann ihm dieſes ſein Lebensprincip ganz rauben. Das Gebiet aber, in welchem er dieß ſein eigenſtens Lebensprincip zur Verwirklichung bringt, iſt eben die Verwaltung überhaupt; denn die Verwaltung iſt ja der thätige Staat. In allen einzelnen Gebieten der Verwaltung aber erſcheint das ſpecifiſche Lebensprincip der Staatsidee gegenüber dem der geſell- ſchaftlichen Ordnungen wieder als die beſtändige Arbeit des Staats, die niedere und beherrſchte Klaſſe zu heben, und ihr die Lebens- bedingungen der Entwicklung zur möglichſten Gleichheit mit der herrſchenden zu geben. Dieß iſt der Kern aller Verwaltung des Staats gegenüber der Geſellſchaft, alſo auch ſeiner Verwaltung des geiſtigen Lebens. Das große Princip der Staatsgewalt im Bildungsweſen erſcheint nun abgeſehen von jeder Bethätigung in den einzelnen Formen, Ein- richtungen und Geſetzen in doppelter Weiſe. Einerſeits tritt es negativ auf in dem Streben, die in den geſellſchaftlichen Kräften und Zuſtänden liegenden Unterſcheidungen im Volksbildungsweſen zu bekämpfen und zu beſeitigen, poſitiv aber in dem organiſirten Verſuch, allen Klaſſen der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/49>, abgerufen am 24.11.2024.