Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.Im vorigen Jahrhundert waren die inneren Zustände Frankreichs Da kam die Revolution, die man jetzt endlich wohl nur als einen So wie daher die Revolution gesiegt hatte, war natürlich eine Dieser allgemeine historische Proceß nun gilt allerdings für das Im vorigen Jahrhundert waren die inneren Zuſtände Frankreichs Da kam die Revolution, die man jetzt endlich wohl nur als einen So wie daher die Revolution geſiegt hatte, war natürlich eine Dieſer allgemeine hiſtoriſche Proceß nun gilt allerdings für das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0315" n="287"/> <p>Im vorigen Jahrhundert waren die inneren Zuſtände Frankreichs<lb/> denen des deutſchen Reiches faſt ganz gleichartig. Das Berufsbildungs-<lb/> ſyſtem hat daher auch ſeinerſeits genau und in allem Weſentlichen dieſelben<lb/> Formen und Rechte wie das deutſche, indem man dieß vor ſich vorüber-<lb/> gehen läßt, ſchaut man jenes. Auch Frankreich hatte ſeine Univerſitäten,<lb/> ſeine hohen Schulen aller Art, ſeine Zünfte und Innungen mit dem Zunft-<lb/> recht, ſein Princip der ſtändiſchen Körperſchaftlichkeit, ſeine örtliche Geſtalt<lb/> des öffentlichen Rechts überhaupt, ſeines Bildungsweſens im Beſondern.</p><lb/> <p>Da kam die Revolution, die man jetzt endlich wohl nur als einen<lb/> ſocialen Proceß anerkennen wird. Jeder ſocialen Umwälzung aber folgt,<lb/> wo ſie eine gewaltſame und plötzliche iſt, um ſo gewaltſamer und plötz-<lb/> licher die Diktatur. Das Weſen der Diktatur im Innern iſt die rück-<lb/> ſichtsloſe Unterordnung alles Einzelnen und Beſondern unter die cen-<lb/> trale Gewalt. Sie hat nicht bloß die Macht, ſie übernimmt auch die<lb/> Aufgabe, die geſammte Verwaltung nach ihrem einheitlichen Willen zu<lb/> ordnen; ihr Gefühl oder ihr Bewußtſein ſagt ihr, daß die neue Geſtalt<lb/> der Geſellſchaft, welche ſie vertritt, erſt dann eine geſicherte iſt, wenn<lb/> die <hi rendition="#g">ganze</hi> innere Verwaltung im Sinne und Intereſſe derſelben geordnet<lb/> und mithin die <hi rendition="#g">ganze</hi> innere Verwaltung der frühern Zeit gründlich<lb/> vernichtet iſt. Dieſer großen Erſcheinung begegnen wir immer in der<lb/> Geſchichte der ſocialen Bewegungen und werden ihr immer begegnen:<lb/> in allen andern Dingen, und ſo auch im Bildungsweſen im Allgemeinen<lb/> und vorzüglich im Berufsbildungsweſen.</p><lb/> <p>So wie daher die Revolution geſiegt hatte, war natürlich eine<lb/> vollſtändige Umwälzung des Berufsbildungsweſens unvermeidlich. Dieſe<lb/> Umwälzung hatte aber, wie immer, zwei große Stadien. Das erſte<lb/> war das rein negative, deſſen Inhalt die einfache, aber gründliche<lb/><hi rendition="#g">Vernichtung</hi> des bisherigen geſammten Bildungsſyſtemes ſein mußte.<lb/> Erſt das zweite Stadium iſt das des poſitiven <hi rendition="#g">Aufbaues</hi> der neuen<lb/> Ordnung. Wir haben ſchon darauf hingewieſen, daß die erſte Epoche<lb/> vom Beginn der Revolution ungefähr bis zum Jahre 1808 dauert, wo<lb/> die <hi rendition="#aq">Université</hi> errichtet wird, von da an beginnt die neue Organiſation,<lb/> die keineswegs eine fertige iſt.</p><lb/> <p>Dieſer allgemeine hiſtoriſche Proceß nun gilt allerdings für das<lb/> geſammte franzöſiſche Bildungsweſen, aber nirgends iſt er ſo deutlich<lb/> und äußerlich ſo ſcharf von der bisherigen Zeit geſchieden, als in der<lb/> Berufsbildung. Die Umgeſtaltung der letztern, obwohl den Geſammt-<lb/> charakter der Umgeſtaltung der neuern Rechtsordnung an ſich tragend,<lb/> iſt demnach ein ganz ſpecifiſcher Beitrag zur neuern Entwicklung Frank-<lb/> reichs, und es iſt ziemlich fruchtlos, jene erſtern ohne ihren organiſchen,<lb/> ja dominirenden Zuſammenhang mit der letztern auffaſſen zu wollen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0315]
Im vorigen Jahrhundert waren die inneren Zuſtände Frankreichs
denen des deutſchen Reiches faſt ganz gleichartig. Das Berufsbildungs-
ſyſtem hat daher auch ſeinerſeits genau und in allem Weſentlichen dieſelben
Formen und Rechte wie das deutſche, indem man dieß vor ſich vorüber-
gehen läßt, ſchaut man jenes. Auch Frankreich hatte ſeine Univerſitäten,
ſeine hohen Schulen aller Art, ſeine Zünfte und Innungen mit dem Zunft-
recht, ſein Princip der ſtändiſchen Körperſchaftlichkeit, ſeine örtliche Geſtalt
des öffentlichen Rechts überhaupt, ſeines Bildungsweſens im Beſondern.
Da kam die Revolution, die man jetzt endlich wohl nur als einen
ſocialen Proceß anerkennen wird. Jeder ſocialen Umwälzung aber folgt,
wo ſie eine gewaltſame und plötzliche iſt, um ſo gewaltſamer und plötz-
licher die Diktatur. Das Weſen der Diktatur im Innern iſt die rück-
ſichtsloſe Unterordnung alles Einzelnen und Beſondern unter die cen-
trale Gewalt. Sie hat nicht bloß die Macht, ſie übernimmt auch die
Aufgabe, die geſammte Verwaltung nach ihrem einheitlichen Willen zu
ordnen; ihr Gefühl oder ihr Bewußtſein ſagt ihr, daß die neue Geſtalt
der Geſellſchaft, welche ſie vertritt, erſt dann eine geſicherte iſt, wenn
die ganze innere Verwaltung im Sinne und Intereſſe derſelben geordnet
und mithin die ganze innere Verwaltung der frühern Zeit gründlich
vernichtet iſt. Dieſer großen Erſcheinung begegnen wir immer in der
Geſchichte der ſocialen Bewegungen und werden ihr immer begegnen:
in allen andern Dingen, und ſo auch im Bildungsweſen im Allgemeinen
und vorzüglich im Berufsbildungsweſen.
So wie daher die Revolution geſiegt hatte, war natürlich eine
vollſtändige Umwälzung des Berufsbildungsweſens unvermeidlich. Dieſe
Umwälzung hatte aber, wie immer, zwei große Stadien. Das erſte
war das rein negative, deſſen Inhalt die einfache, aber gründliche
Vernichtung des bisherigen geſammten Bildungsſyſtemes ſein mußte.
Erſt das zweite Stadium iſt das des poſitiven Aufbaues der neuen
Ordnung. Wir haben ſchon darauf hingewieſen, daß die erſte Epoche
vom Beginn der Revolution ungefähr bis zum Jahre 1808 dauert, wo
die Université errichtet wird, von da an beginnt die neue Organiſation,
die keineswegs eine fertige iſt.
Dieſer allgemeine hiſtoriſche Proceß nun gilt allerdings für das
geſammte franzöſiſche Bildungsweſen, aber nirgends iſt er ſo deutlich
und äußerlich ſo ſcharf von der bisherigen Zeit geſchieden, als in der
Berufsbildung. Die Umgeſtaltung der letztern, obwohl den Geſammt-
charakter der Umgeſtaltung der neuern Rechtsordnung an ſich tragend,
iſt demnach ein ganz ſpecifiſcher Beitrag zur neuern Entwicklung Frank-
reichs, und es iſt ziemlich fruchtlos, jene erſtern ohne ihren organiſchen,
ja dominirenden Zuſammenhang mit der letztern auffaſſen zu wollen.
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