Es ist, wie schon oben erwähnt, noch sehr schwer, eine Geschichte des wirthschaftlichen Fachbildungswesens zu schreiben, da es fast auf allen Punkten noch in der Entwicklung begriffen ist. Bisher hat sich eigentlich gar kein Zweig der Literatur um dasselbe als Ganzes geküm- mert und zwar weder die Staats- oder Polizeiwissenschaft, die doch auf das Staatsschulwesen Rücksicht nahm, noch selbst die pädagogische, sonst so reiche Literatur, die bisher in den Vorbildungsschulen stecken geblieben ist, wie selbst die sonst so gründlichen Aufsätze in Schmids Encyklopädie. Fest steht jedoch wohl das eine, daß man die obigen Epochen auch in der Literatur unterscheiden kann. Man darf sagen, daß die erste Epoche die cameralistische, die zweite die polytech- nische ist. Wir meinen nun unter der erstern nicht diejenige, welche überhaupt die Staatswissenschaften in der Form der Cameralwissen- schaften verstand und lehrte und die namentlich Baumstark, Came- ralistische Encyklopädie 1835. S. 31--38 für die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts ziemlich vollständig anführt, sondern diejenige, welche die cameralistische Bildung und die Herstellung darauf gerichteter Anstalten als Aufgabe der Verwaltung fordert. Den Anstoß dazu gab allerdings die Aufnahme der cameralistischen Studien an den Universitäten; schon 1730 die erste cameralistische Professur in Rinteln, 1742 in Leipzig, 1741 in Upsala. Dann erscheinen diese Professuren an den hohen Schulen, welche die Universität vertreten, 1745 am Carolinum in Braun- schweig, 1752 am Theresianum in Wien, 1774 eine "Cameralschule" in Kaiserslautern, 1782 eine ökonomische Sektion an der Stuttgarter Akademie, 1789 ein cameralistisches Institut in Marburg. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber treten dieselben Bestrebungen nun auch an den Universitäten auf, 1755 in Göttingen, 1742 in Leipzig, 1770 in Jena, 1784 in Mainz; von da an fast auf allen Universitäten. Allein hier erfaßte die höhere Bewegung der Staatslehre diese Pro- fessuren und machte aus ihnen Lehrstühle der Staatswissenschaften; nur Tübingen behielt seine cameralistische Richtung selbständig (Baumstark §. 28). Das Element der wirthschaftlichen Fachbildung verschwindet damit und löst sich in ganz allgemeine, rein theoretische Vorlesungen auf, die gleichmäßig für Juristen und Fachmänner gelten sollen. Das war ein Fortschritt für die Universitäten, aber konnte freilich dem Fache nicht genügen. Daher begann jetzt die zweite Bewegung, welche diese Fachbildung zwar selbständig herstellte, aber eben in lauter einzelnen, ohne inneren Zusammenhang dastehenden Schulen. Eine Uebersicht dieser Entwicklung fehlt uns noch gänzlich; auch hat sie bisher wohl darum niemand gesucht, weil die Verbindung ihrer Funktion mit dem Ganzen nicht herausgefühlt ward. Erst die polytechnische Bildung und
Es iſt, wie ſchon oben erwähnt, noch ſehr ſchwer, eine Geſchichte des wirthſchaftlichen Fachbildungsweſens zu ſchreiben, da es faſt auf allen Punkten noch in der Entwicklung begriffen iſt. Bisher hat ſich eigentlich gar kein Zweig der Literatur um daſſelbe als Ganzes geküm- mert und zwar weder die Staats- oder Polizeiwiſſenſchaft, die doch auf das Staatsſchulweſen Rückſicht nahm, noch ſelbſt die pädagogiſche, ſonſt ſo reiche Literatur, die bisher in den Vorbildungsſchulen ſtecken geblieben iſt, wie ſelbſt die ſonſt ſo gründlichen Aufſätze in Schmids Encyklopädie. Feſt ſteht jedoch wohl das eine, daß man die obigen Epochen auch in der Literatur unterſcheiden kann. Man darf ſagen, daß die erſte Epoche die cameraliſtiſche, die zweite die polytech- niſche iſt. Wir meinen nun unter der erſtern nicht diejenige, welche überhaupt die Staatswiſſenſchaften in der Form der Cameralwiſſen- ſchaften verſtand und lehrte und die namentlich Baumſtark, Came- raliſtiſche Encyklopädie 1835. S. 31—38 für die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts ziemlich vollſtändig anführt, ſondern diejenige, welche die cameraliſtiſche Bildung und die Herſtellung darauf gerichteter Anſtalten als Aufgabe der Verwaltung fordert. Den Anſtoß dazu gab allerdings die Aufnahme der cameraliſtiſchen Studien an den Univerſitäten; ſchon 1730 die erſte cameraliſtiſche Profeſſur in Rinteln, 1742 in Leipzig, 1741 in Upſala. Dann erſcheinen dieſe Profeſſuren an den hohen Schulen, welche die Univerſität vertreten, 1745 am Carolinum in Braun- ſchweig, 1752 am Thereſianum in Wien, 1774 eine „Cameralſchule“ in Kaiſerslautern, 1782 eine ökonomiſche Sektion an der Stuttgarter Akademie, 1789 ein cameraliſtiſches Inſtitut in Marburg. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber treten dieſelben Beſtrebungen nun auch an den Univerſitäten auf, 1755 in Göttingen, 1742 in Leipzig, 1770 in Jena, 1784 in Mainz; von da an faſt auf allen Univerſitäten. Allein hier erfaßte die höhere Bewegung der Staatslehre dieſe Pro- feſſuren und machte aus ihnen Lehrſtühle der Staatswiſſenſchaften; nur Tübingen behielt ſeine cameraliſtiſche Richtung ſelbſtändig (Baumſtark §. 28). Das Element der wirthſchaftlichen Fachbildung verſchwindet damit und löst ſich in ganz allgemeine, rein theoretiſche Vorleſungen auf, die gleichmäßig für Juriſten und Fachmänner gelten ſollen. Das war ein Fortſchritt für die Univerſitäten, aber konnte freilich dem Fache nicht genügen. Daher begann jetzt die zweite Bewegung, welche dieſe Fachbildung zwar ſelbſtändig herſtellte, aber eben in lauter einzelnen, ohne inneren Zuſammenhang daſtehenden Schulen. Eine Ueberſicht dieſer Entwicklung fehlt uns noch gänzlich; auch hat ſie bisher wohl darum niemand geſucht, weil die Verbindung ihrer Funktion mit dem Ganzen nicht herausgefühlt ward. Erſt die polytechniſche Bildung und
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Es iſt, wie ſchon oben erwähnt, noch ſehr ſchwer, eine Geſchichte
des wirthſchaftlichen Fachbildungsweſens zu ſchreiben, da es faſt auf
allen Punkten noch in der Entwicklung begriffen iſt. Bisher hat ſich
eigentlich gar kein Zweig der Literatur um daſſelbe als Ganzes geküm-
mert und zwar weder die Staats- oder Polizeiwiſſenſchaft, die doch
auf das Staatsſchulweſen Rückſicht nahm, noch ſelbſt die pädagogiſche,
ſonſt ſo reiche Literatur, die bisher in den Vorbildungsſchulen ſtecken
geblieben iſt, wie ſelbſt die ſonſt ſo gründlichen Aufſätze in Schmids
Encyklopädie. Feſt ſteht jedoch wohl das eine, daß man die obigen
Epochen auch in der Literatur unterſcheiden kann. Man darf ſagen,
daß die erſte Epoche die cameraliſtiſche, die zweite die polytech-
niſche iſt. Wir meinen nun unter der erſtern nicht diejenige, welche
überhaupt die Staatswiſſenſchaften in der Form der Cameralwiſſen-
ſchaften verſtand und lehrte und die namentlich Baumſtark, Came-
raliſtiſche Encyklopädie 1835. S. 31—38 für die letzte Hälfte des vorigen
Jahrhunderts ziemlich vollſtändig anführt, ſondern diejenige, welche die
cameraliſtiſche Bildung und die Herſtellung darauf gerichteter Anſtalten
als Aufgabe der Verwaltung fordert. Den Anſtoß dazu gab allerdings
die Aufnahme der cameraliſtiſchen Studien an den Univerſitäten; ſchon
1730 die erſte cameraliſtiſche Profeſſur in Rinteln, 1742 in Leipzig,
1741 in Upſala. Dann erſcheinen dieſe Profeſſuren an den hohen
Schulen, welche die Univerſität vertreten, 1745 am Carolinum in Braun-
ſchweig, 1752 am Thereſianum in Wien, 1774 eine „Cameralſchule“
in Kaiſerslautern, 1782 eine ökonomiſche Sektion an der Stuttgarter
Akademie, 1789 ein cameraliſtiſches Inſtitut in Marburg. Seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts aber treten dieſelben Beſtrebungen nun
auch an den Univerſitäten auf, 1755 in Göttingen, 1742 in Leipzig,
1770 in Jena, 1784 in Mainz; von da an faſt auf allen Univerſitäten.
Allein hier erfaßte die höhere Bewegung der Staatslehre dieſe Pro-
feſſuren und machte aus ihnen Lehrſtühle der Staatswiſſenſchaften; nur
Tübingen behielt ſeine cameraliſtiſche Richtung ſelbſtändig (Baumſtark
§. 28). Das Element der wirthſchaftlichen Fachbildung verſchwindet
damit und löst ſich in ganz allgemeine, rein theoretiſche Vorleſungen
auf, die gleichmäßig für Juriſten und Fachmänner gelten ſollen. Das
war ein Fortſchritt für die Univerſitäten, aber konnte freilich dem Fache
nicht genügen. Daher begann jetzt die zweite Bewegung, welche dieſe
Fachbildung zwar ſelbſtändig herſtellte, aber eben in lauter einzelnen,
ohne inneren Zuſammenhang daſtehenden Schulen. Eine Ueberſicht dieſer
Entwicklung fehlt uns noch gänzlich; auch hat ſie bisher wohl darum
niemand geſucht, weil die Verbindung ihrer Funktion mit dem Ganzen
nicht herausgefühlt ward. Erſt die polytechniſche Bildung und
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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