diese Fachbildung bis auf die neueste Zeit so gut als gar nicht geküm- mert. Erst unser Jahrhundert hat sie als öffentliche Angelegenheit er- kannt, und es ist daher nicht thunlich, sie ohne Anschluß an den allge- meinen Gang der Geschichte zu übersehen.
In der That nämlich bleibt die Entwicklung des wirthschaftlichen Bildungsprocesses, die wir als Grundlage des Vorbildungssystemes oben bezeichnet haben, bei diesen Vorbildungsanstalten fast ein Jahrhundert lang stehen, ohne zu Fachbildungsanstalten überzugehen. Die Real- schulen und höheren Bürgerschulen sind die höchsten Bildungsschulen des Bürgerstandes; alles Weitere muß derselbe dann im wirklichen praktischen Leben selber lernen. Daß ein innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen Fächern sei, wird zwar geahnt, aber bei der vorwiegend gelehrten Richtung der Wissenschaft nicht verstanden; an eine Bethei- ligung der Verwaltung über dasjenige hinaus, was die Universitäten höchstens in der Cameralwissenschaft darboten, ward noch nicht gedacht. Ein System von wirthschaftlichen Fächern und von öffentlichen ihnen entsprechenden Anstalten konnte sich erst auf Grundlage äußerer Veran- lassung entwickeln. Dasselbe ist daher kein Kind der pädagogischen Re- flexion, sondern ein Produkt der langsam fortschreitenden Geschichte.
Den ersten Anstoß dazu gab die Anwendung der mit dem vorigen Jahrhundert entstehenden Finanzwissenschaft auf die Regalien. Wir haben hier nicht über den historischen Begriff derselben zu streiten. Als feststehend wird man uns zugeben, daß ein Regal ein Hoheitsrecht war, das als Einnahmsquelle benutzt ward. Zu den Regalien als Ein- nahmsquellen kamen dann die Domänen aller Art hinzu, die bald als Grundbesitz, bald als Nutzrechte, bald als Unternehmungen auf- traten. Regalien und Domänen forderten eine Verwaltung; diese Ver- waltung sollte eine wesentlich nutzbringende sein; um sie dazu zu machen, wurden seit dem Entstehen der Polizei- und Finanzwissenschaft gewisse Kenntnisse erfordert; den Erwerb dieser wirthschaftlichen Kenntnisse mußte daher der Staat jetzt für die Beamteten seiner Regalien und Domänen fordern; um sie fordern zu können, mußten sie als selbständige Wissen- schaft da sein und als solche gelehrt werden. So entstand das Gebiet der Cameralwissenschaften. Sie hängen allerdings auf das Engste mit den Staatswissenschaften zusammen; aber diese Verbindung war und blieb eine äußerliche. Ihrem Wesen nach sind sie die erste Form einer selbständigen wirthschaftlichen Fachbildung neben der gelehrten. Mit ihnen tritt das Fachbildungswesen zuerst öffentlich neben dem ge- lehrten auf. Zwar sind sie noch sehr einseitig und beschränkt; sie sind eigentlich nur die Fachbildung für die wirthschaftlichen Erwerbsthätig- keiten der Verwaltung; aber sie sind dennoch der erste selbständige
dieſe Fachbildung bis auf die neueſte Zeit ſo gut als gar nicht geküm- mert. Erſt unſer Jahrhundert hat ſie als öffentliche Angelegenheit er- kannt, und es iſt daher nicht thunlich, ſie ohne Anſchluß an den allge- meinen Gang der Geſchichte zu überſehen.
In der That nämlich bleibt die Entwicklung des wirthſchaftlichen Bildungsproceſſes, die wir als Grundlage des Vorbildungsſyſtemes oben bezeichnet haben, bei dieſen Vorbildungsanſtalten faſt ein Jahrhundert lang ſtehen, ohne zu Fachbildungsanſtalten überzugehen. Die Real- ſchulen und höheren Bürgerſchulen ſind die höchſten Bildungsſchulen des Bürgerſtandes; alles Weitere muß derſelbe dann im wirklichen praktiſchen Leben ſelber lernen. Daß ein innerer Zuſammenhang zwiſchen den einzelnen Fächern ſei, wird zwar geahnt, aber bei der vorwiegend gelehrten Richtung der Wiſſenſchaft nicht verſtanden; an eine Bethei- ligung der Verwaltung über dasjenige hinaus, was die Univerſitäten höchſtens in der Cameralwiſſenſchaft darboten, ward noch nicht gedacht. Ein Syſtem von wirthſchaftlichen Fächern und von öffentlichen ihnen entſprechenden Anſtalten konnte ſich erſt auf Grundlage äußerer Veran- laſſung entwickeln. Daſſelbe iſt daher kein Kind der pädagogiſchen Re- flexion, ſondern ein Produkt der langſam fortſchreitenden Geſchichte.
Den erſten Anſtoß dazu gab die Anwendung der mit dem vorigen Jahrhundert entſtehenden Finanzwiſſenſchaft auf die Regalien. Wir haben hier nicht über den hiſtoriſchen Begriff derſelben zu ſtreiten. Als feſtſtehend wird man uns zugeben, daß ein Regal ein Hoheitsrecht war, das als Einnahmsquelle benutzt ward. Zu den Regalien als Ein- nahmsquellen kamen dann die Domänen aller Art hinzu, die bald als Grundbeſitz, bald als Nutzrechte, bald als Unternehmungen auf- traten. Regalien und Domänen forderten eine Verwaltung; dieſe Ver- waltung ſollte eine weſentlich nutzbringende ſein; um ſie dazu zu machen, wurden ſeit dem Entſtehen der Polizei- und Finanzwiſſenſchaft gewiſſe Kenntniſſe erfordert; den Erwerb dieſer wirthſchaftlichen Kenntniſſe mußte daher der Staat jetzt für die Beamteten ſeiner Regalien und Domänen fordern; um ſie fordern zu können, mußten ſie als ſelbſtändige Wiſſen- ſchaft da ſein und als ſolche gelehrt werden. So entſtand das Gebiet der Cameralwiſſenſchaften. Sie hängen allerdings auf das Engſte mit den Staatswiſſenſchaften zuſammen; aber dieſe Verbindung war und blieb eine äußerliche. Ihrem Weſen nach ſind ſie die erſte Form einer ſelbſtändigen wirthſchaftlichen Fachbildung neben der gelehrten. Mit ihnen tritt das Fachbildungsweſen zuerſt öffentlich neben dem ge- lehrten auf. Zwar ſind ſie noch ſehr einſeitig und beſchränkt; ſie ſind eigentlich nur die Fachbildung für die wirthſchaftlichen Erwerbsthätig- keiten der Verwaltung; aber ſie ſind dennoch der erſte ſelbſtändige
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dieſe Fachbildung bis auf die neueſte Zeit ſo gut als gar nicht geküm-
mert. Erſt unſer Jahrhundert hat ſie als öffentliche Angelegenheit er-
kannt, und es iſt daher nicht thunlich, ſie ohne Anſchluß an den allge-
meinen Gang der Geſchichte zu überſehen.
In der That nämlich bleibt die Entwicklung des wirthſchaftlichen
Bildungsproceſſes, die wir als Grundlage des Vorbildungsſyſtemes oben
bezeichnet haben, bei dieſen Vorbildungsanſtalten faſt ein Jahrhundert
lang ſtehen, ohne zu Fachbildungsanſtalten überzugehen. Die Real-
ſchulen und höheren Bürgerſchulen ſind die höchſten Bildungsſchulen
des Bürgerſtandes; alles Weitere muß derſelbe dann im wirklichen
praktiſchen Leben ſelber lernen. Daß ein innerer Zuſammenhang zwiſchen
den einzelnen Fächern ſei, wird zwar geahnt, aber bei der vorwiegend
gelehrten Richtung der Wiſſenſchaft nicht verſtanden; an eine Bethei-
ligung der Verwaltung über dasjenige hinaus, was die Univerſitäten
höchſtens in der Cameralwiſſenſchaft darboten, ward noch nicht gedacht.
Ein Syſtem von wirthſchaftlichen Fächern und von öffentlichen ihnen
entſprechenden Anſtalten konnte ſich erſt auf Grundlage äußerer Veran-
laſſung entwickeln. Daſſelbe iſt daher kein Kind der pädagogiſchen Re-
flexion, ſondern ein Produkt der langſam fortſchreitenden Geſchichte.
Den erſten Anſtoß dazu gab die Anwendung der mit dem vorigen
Jahrhundert entſtehenden Finanzwiſſenſchaft auf die Regalien. Wir
haben hier nicht über den hiſtoriſchen Begriff derſelben zu ſtreiten. Als
feſtſtehend wird man uns zugeben, daß ein Regal ein Hoheitsrecht war,
das als Einnahmsquelle benutzt ward. Zu den Regalien als Ein-
nahmsquellen kamen dann die Domänen aller Art hinzu, die bald
als Grundbeſitz, bald als Nutzrechte, bald als Unternehmungen auf-
traten. Regalien und Domänen forderten eine Verwaltung; dieſe Ver-
waltung ſollte eine weſentlich nutzbringende ſein; um ſie dazu zu machen,
wurden ſeit dem Entſtehen der Polizei- und Finanzwiſſenſchaft gewiſſe
Kenntniſſe erfordert; den Erwerb dieſer wirthſchaftlichen Kenntniſſe mußte
daher der Staat jetzt für die Beamteten ſeiner Regalien und Domänen
fordern; um ſie fordern zu können, mußten ſie als ſelbſtändige Wiſſen-
ſchaft da ſein und als ſolche gelehrt werden. So entſtand das Gebiet
der Cameralwiſſenſchaften. Sie hängen allerdings auf das Engſte
mit den Staatswiſſenſchaften zuſammen; aber dieſe Verbindung war
und blieb eine äußerliche. Ihrem Weſen nach ſind ſie die erſte Form
einer ſelbſtändigen wirthſchaftlichen Fachbildung neben der gelehrten.
Mit ihnen tritt das Fachbildungsweſen zuerſt öffentlich neben dem ge-
lehrten auf. Zwar ſind ſie noch ſehr einſeitig und beſchränkt; ſie ſind
eigentlich nur die Fachbildung für die wirthſchaftlichen Erwerbsthätig-
keiten der Verwaltung; aber ſie ſind dennoch der erſte ſelbſtändige
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/291>, abgerufen am 27.07.2024.
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