ein; sie ist die Bildung der höheren, aber nicht mehr die einer bestimm- ten ständischen Klasse. Sie trägt daher von Anfang an den Charakter der staatsbürgerlichen, freien Gesellschaft an sich. Sie ist mit dem be- schränkten Standpunkt der ständischen Ordnung unvereinbar; aber sie ist mehr, sie ist zugleich ein Feind derselben. Denn sie ist es, welche zum erstenmale erklärt, daß es eine höhere geistige Entwicklung auch neben der ständischen Gelehrsamkeit gibt, und daß die persönliche Tüchtig- keit nicht bloß durch das handwerksmäßige Erlernen gegeben wird. Sie muß sich daher von den beiden bisherigen Bildungsformen schei- den; ja sie wird gezwungen, mit ihnen geradezu zu kämpfen. Es wundert uns nicht, wenn sie in diesem Kampfe gegen den Werth beider negativ, hart, einseitig wird, wenn sie das Handwerk unter sich sieht, und die gelehrte Bildung als unfähig für die geistige Entwicklung er- klärt. Wir verstehen es, wenn aus ihr zuerst jener, nur historisch zu erklärende Begriff des "Praktischen" im scharfen Gegensatze zu dem Theoretischen entsteht, der nunmehr mit aller seiner praktischen Tendenz sofort sich natürlich eine neue Theorie des Praktischen erschafft, ohne es selbst recht zu wissen. Aber es ist uns auch klar, daß alle diese Bestrebungen in dieser zweiten Epoche noch vereinzelt dastehen. Noch herrscht formell und auf der Oberfläche die ständische Ordnung; noch ist alles scharf eingetheilt, mit Zeichen und Symbolen, mit Rechten und Pflichten wohl versehen; noch stehen streng geschieden die Körper- schaften aller Art neben einander, das gesammte öffentliche Leben um- fassend; in diese Ordnung paßt jene Richtung nicht. Welcher "Cor- poration" hätte denn diese Realschule und ihre Realschüler angehören sollen? Und so ergab sich das, allen Versuchen dieser Epoche gemein- same Resultat. Die Realschule, die Realbildung ist und bleibt ein Privatunternehmen. Die Verwaltung, welche bereits das ganze gelehrte Bildungswesen sich unterworfen und zu Staatsanstalten ge- macht, kümmert sich um diese Privatanstalten nicht; sie führen ein Leben für sich; sie bedeuten mehr als sie sind; aber schon am Ende des vorigen Jahrhunderts stehen sie vor der Frage, wie sich denn die Staatsverwaltung zu diesem neuen, mit jedem Jahre wichtiger werdenden Gebiet des Bildungsorganismus verhalten werde? Und in dieser Frage liegt der Uebergang zur dritten gegenwärtigen Epoche.
Das Bild, das uns auf diese Weise diese zweite Epoche darbietet, ist nun in seinen Grundzügen auch für das rechte Verständniß der Gegenwart so wichtig, daß wir es noch einmal kurz zusammen fassen. Das vorige und allerdings auch ein Theil des gegenwärtigen Jahr- hunderts zeigt uns nämlich drei Grundformen der Bildung. Die ge- lehrte mit ihrem ganzen Apparat von Instituten, Vorschriften, Lehren
Stein, die Verwaltungslehre. V. 16
ein; ſie iſt die Bildung der höheren, aber nicht mehr die einer beſtimm- ten ſtändiſchen Klaſſe. Sie trägt daher von Anfang an den Charakter der ſtaatsbürgerlichen, freien Geſellſchaft an ſich. Sie iſt mit dem be- ſchränkten Standpunkt der ſtändiſchen Ordnung unvereinbar; aber ſie iſt mehr, ſie iſt zugleich ein Feind derſelben. Denn ſie iſt es, welche zum erſtenmale erklärt, daß es eine höhere geiſtige Entwicklung auch neben der ſtändiſchen Gelehrſamkeit gibt, und daß die perſönliche Tüchtig- keit nicht bloß durch das handwerksmäßige Erlernen gegeben wird. Sie muß ſich daher von den beiden bisherigen Bildungsformen ſchei- den; ja ſie wird gezwungen, mit ihnen geradezu zu kämpfen. Es wundert uns nicht, wenn ſie in dieſem Kampfe gegen den Werth beider negativ, hart, einſeitig wird, wenn ſie das Handwerk unter ſich ſieht, und die gelehrte Bildung als unfähig für die geiſtige Entwicklung er- klärt. Wir verſtehen es, wenn aus ihr zuerſt jener, nur hiſtoriſch zu erklärende Begriff des „Praktiſchen“ im ſcharfen Gegenſatze zu dem Theoretiſchen entſteht, der nunmehr mit aller ſeiner praktiſchen Tendenz ſofort ſich natürlich eine neue Theorie des Praktiſchen erſchafft, ohne es ſelbſt recht zu wiſſen. Aber es iſt uns auch klar, daß alle dieſe Beſtrebungen in dieſer zweiten Epoche noch vereinzelt daſtehen. Noch herrſcht formell und auf der Oberfläche die ſtändiſche Ordnung; noch iſt alles ſcharf eingetheilt, mit Zeichen und Symbolen, mit Rechten und Pflichten wohl verſehen; noch ſtehen ſtreng geſchieden die Körper- ſchaften aller Art neben einander, das geſammte öffentliche Leben um- faſſend; in dieſe Ordnung paßt jene Richtung nicht. Welcher „Cor- poration“ hätte denn dieſe Realſchule und ihre Realſchüler angehören ſollen? Und ſo ergab ſich das, allen Verſuchen dieſer Epoche gemein- ſame Reſultat. Die Realſchule, die Realbildung iſt und bleibt ein Privatunternehmen. Die Verwaltung, welche bereits das ganze gelehrte Bildungsweſen ſich unterworfen und zu Staatsanſtalten ge- macht, kümmert ſich um dieſe Privatanſtalten nicht; ſie führen ein Leben für ſich; ſie bedeuten mehr als ſie ſind; aber ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts ſtehen ſie vor der Frage, wie ſich denn die Staatsverwaltung zu dieſem neuen, mit jedem Jahre wichtiger werdenden Gebiet des Bildungsorganismus verhalten werde? Und in dieſer Frage liegt der Uebergang zur dritten gegenwärtigen Epoche.
Das Bild, das uns auf dieſe Weiſe dieſe zweite Epoche darbietet, iſt nun in ſeinen Grundzügen auch für das rechte Verſtändniß der Gegenwart ſo wichtig, daß wir es noch einmal kurz zuſammen faſſen. Das vorige und allerdings auch ein Theil des gegenwärtigen Jahr- hunderts zeigt uns nämlich drei Grundformen der Bildung. Die ge- lehrte mit ihrem ganzen Apparat von Inſtituten, Vorſchriften, Lehren
Stein, die Verwaltungslehre. V. 16
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der ſtaatsbürgerlichen, freien Geſellſchaft an ſich. Sie iſt mit dem be-
ſchränkten Standpunkt der ſtändiſchen Ordnung unvereinbar; aber ſie
iſt mehr, ſie iſt zugleich ein Feind derſelben. Denn ſie iſt es, welche
zum erſtenmale erklärt, daß es eine höhere geiſtige Entwicklung auch
neben der ſtändiſchen Gelehrſamkeit gibt, und daß die perſönliche Tüchtig-
keit nicht bloß durch das handwerksmäßige Erlernen gegeben wird.
Sie muß ſich daher von den beiden bisherigen Bildungsformen ſchei-
den; ja ſie wird gezwungen, mit ihnen geradezu zu kämpfen. Es
wundert uns nicht, wenn ſie in dieſem Kampfe gegen den Werth beider
negativ, hart, einſeitig wird, wenn ſie das Handwerk unter ſich ſieht,
und die gelehrte Bildung als unfähig für die geiſtige Entwicklung er-
klärt. Wir verſtehen es, wenn aus ihr zuerſt jener, nur hiſtoriſch zu
erklärende Begriff des „Praktiſchen“ im ſcharfen Gegenſatze zu dem
Theoretiſchen entſteht, der nunmehr mit aller ſeiner praktiſchen Tendenz
ſofort ſich natürlich eine neue Theorie des Praktiſchen erſchafft, ohne
es ſelbſt recht zu wiſſen. Aber es iſt uns auch klar, daß alle dieſe
Beſtrebungen in dieſer zweiten Epoche noch vereinzelt daſtehen. Noch
herrſcht formell und auf der Oberfläche die ſtändiſche Ordnung; noch
iſt alles ſcharf eingetheilt, mit Zeichen und Symbolen, mit Rechten
und Pflichten wohl verſehen; noch ſtehen ſtreng geſchieden die Körper-
ſchaften aller Art neben einander, das geſammte öffentliche Leben um-
faſſend; in dieſe Ordnung paßt jene Richtung nicht. Welcher „Cor-
poration“ hätte denn dieſe Realſchule und ihre Realſchüler angehören
ſollen? Und ſo ergab ſich das, allen Verſuchen dieſer Epoche gemein-
ſame Reſultat. Die Realſchule, die Realbildung iſt und bleibt ein
Privatunternehmen. Die Verwaltung, welche bereits das ganze
gelehrte Bildungsweſen ſich unterworfen und zu Staatsanſtalten ge-
macht, kümmert ſich um dieſe Privatanſtalten nicht; ſie führen ein
Leben für ſich; ſie bedeuten mehr als ſie ſind; aber ſchon am Ende
des vorigen Jahrhunderts ſtehen ſie vor der Frage, wie ſich denn
die Staatsverwaltung zu dieſem neuen, mit jedem Jahre wichtiger
werdenden Gebiet des Bildungsorganismus verhalten werde? Und in
dieſer Frage liegt der Uebergang zur dritten gegenwärtigen Epoche.
Das Bild, das uns auf dieſe Weiſe dieſe zweite Epoche darbietet,
iſt nun in ſeinen Grundzügen auch für das rechte Verſtändniß der
Gegenwart ſo wichtig, daß wir es noch einmal kurz zuſammen faſſen.
Das vorige und allerdings auch ein Theil des gegenwärtigen Jahr-
hunderts zeigt uns nämlich drei Grundformen der Bildung. Die ge-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/269>, abgerufen am 16.02.2025.
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