gewerbliche Erzeugung den großen Bedürfnissen und Bewegungen des Gesammtlebens dienstbar macht. Das ist die Arbeit des Welthandels. Seine geistigen Voraussetzungen sind andere, so gut wie seine wirthschaft- lichen; er ist unfähig, in der alten Beschränkung des Gewerbes zu existiren; er ordnet sich dasselbe unter; und so entsteht das, was das vorige Jahrhundert auf diesem Punkte charakterisirt, den tief bedeut- samen Unterschied zwischen dem Handwerk und dem Gewerbe. Das Handwerk ist damit nicht mehr, was es einst gewesen, der Kern und die Grundlage des stolzen und starken Bürgerstandes; es verliert seine Herrschaft über die Städte und ist nicht länger das Wesen des Bürger- thums. Neue Thatsachen, neue Forderungen entstehen mit jedem Tage; der Anfang des Jahrhunderts hat einen, von der früheren Zeit tief verschiedenen Charakter; als aber die Maschine auftritt, als die alten zunftmäßigen Handelscompagnien verschwinden, als der Kredit und der Gebrauch des Wechsels Raum gewinnt und die Börsen anfangen, über Handel und Produktion zu entscheiden, da sinkt das Handwerk tief herab; es ist nicht mehr der Träger eines sittlichen Elements, es ist ein bloßes Ernährungsmittel für die Familie geworden; es hat noch einen goldenen Boden, aber es klebt an demselben; über dasselbe hin- aus geht der junge Bürgerstand, fähig und willig aus dem alten Orts- bürgerthum zu einem Weltbürgerstande zu werden; es ist klar, daß die alte in sich ruhende sich selbst genügende Ordnung der Dinge aufhört und daß eine neue beginnt.
In dieser gewaltigen, wenn auch noch mannigfach unsicheren Be- wegung kann nun auch die alte Gestalt des Bildungswesens sich nicht erhalten. Das Mitglied der Zunft und Innung hat gelernt zu arbeiten in seinem beschränkten Sinne des Worts, aber er hat nicht gelernt, die höhere Arbeit des Verkehrs zu bewältigen. Diese will, wie der Verkehr selbst eine allgemeine Bildung. Die allgemeine Bildung wie- derum beginnt alsbald mit der allem Geistigen ewig eigenen Kraft, die Kraft der höher stehenden Elemente an sich zu ziehen. Die Kinder der höheren Klassen, in dem höheren Verkehr ihre Lebensaufgabe suchend, suchen auch nach einer demselben entsprechenden Bildung. Sie wenden sich an die alten Scholae und Gymnasia der ständischen Epoche. Allein diese sind unfähig ihnen zu bieten, was sie fordern. Für die Zeit, in welcher jene leben und wirken sollen, handelt es sich nicht mehr um Cicero und Herodot; es handelt sich darum einen guten Brief zu schreiben, die großen Elemente der Weltgeographie vor Augen zu haben, von der Natur etwas zu wissen, mit ihren Stoffen bekannt zu sein, Länder- und Völkerkunde zu besitzen, und Vorstellungen, Pläne, Ergebnisse und Wahrscheinlichkeiten in bestimmten Ziffern nach den Regeln der höheren
gewerbliche Erzeugung den großen Bedürfniſſen und Bewegungen des Geſammtlebens dienſtbar macht. Das iſt die Arbeit des Welthandels. Seine geiſtigen Vorausſetzungen ſind andere, ſo gut wie ſeine wirthſchaft- lichen; er iſt unfähig, in der alten Beſchränkung des Gewerbes zu exiſtiren; er ordnet ſich daſſelbe unter; und ſo entſteht das, was das vorige Jahrhundert auf dieſem Punkte charakteriſirt, den tief bedeut- ſamen Unterſchied zwiſchen dem Handwerk und dem Gewerbe. Das Handwerk iſt damit nicht mehr, was es einſt geweſen, der Kern und die Grundlage des ſtolzen und ſtarken Bürgerſtandes; es verliert ſeine Herrſchaft über die Städte und iſt nicht länger das Weſen des Bürger- thums. Neue Thatſachen, neue Forderungen entſtehen mit jedem Tage; der Anfang des Jahrhunderts hat einen, von der früheren Zeit tief verſchiedenen Charakter; als aber die Maſchine auftritt, als die alten zunftmäßigen Handelscompagnien verſchwinden, als der Kredit und der Gebrauch des Wechſels Raum gewinnt und die Börſen anfangen, über Handel und Produktion zu entſcheiden, da ſinkt das Handwerk tief herab; es iſt nicht mehr der Träger eines ſittlichen Elements, es iſt ein bloßes Ernährungsmittel für die Familie geworden; es hat noch einen goldenen Boden, aber es klebt an demſelben; über daſſelbe hin- aus geht der junge Bürgerſtand, fähig und willig aus dem alten Orts- bürgerthum zu einem Weltbürgerſtande zu werden; es iſt klar, daß die alte in ſich ruhende ſich ſelbſt genügende Ordnung der Dinge aufhört und daß eine neue beginnt.
In dieſer gewaltigen, wenn auch noch mannigfach unſicheren Be- wegung kann nun auch die alte Geſtalt des Bildungsweſens ſich nicht erhalten. Das Mitglied der Zunft und Innung hat gelernt zu arbeiten in ſeinem beſchränkten Sinne des Worts, aber er hat nicht gelernt, die höhere Arbeit des Verkehrs zu bewältigen. Dieſe will, wie der Verkehr ſelbſt eine allgemeine Bildung. Die allgemeine Bildung wie- derum beginnt alsbald mit der allem Geiſtigen ewig eigenen Kraft, die Kraft der höher ſtehenden Elemente an ſich zu ziehen. Die Kinder der höheren Klaſſen, in dem höheren Verkehr ihre Lebensaufgabe ſuchend, ſuchen auch nach einer demſelben entſprechenden Bildung. Sie wenden ſich an die alten Scholae und Gymnasia der ſtändiſchen Epoche. Allein dieſe ſind unfähig ihnen zu bieten, was ſie fordern. Für die Zeit, in welcher jene leben und wirken ſollen, handelt es ſich nicht mehr um Cicero und Herodot; es handelt ſich darum einen guten Brief zu ſchreiben, die großen Elemente der Weltgeographie vor Augen zu haben, von der Natur etwas zu wiſſen, mit ihren Stoffen bekannt zu ſein, Länder- und Völkerkunde zu beſitzen, und Vorſtellungen, Pläne, Ergebniſſe und Wahrſcheinlichkeiten in beſtimmten Ziffern nach den Regeln der höheren
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gewerbliche Erzeugung den großen Bedürfniſſen und Bewegungen des
Geſammtlebens dienſtbar macht. Das iſt die Arbeit des Welthandels.
Seine geiſtigen Vorausſetzungen ſind andere, ſo gut wie ſeine wirthſchaft-
lichen; er iſt unfähig, in der alten Beſchränkung des Gewerbes zu
exiſtiren; er ordnet ſich daſſelbe unter; und ſo entſteht das, was das
vorige Jahrhundert auf dieſem Punkte charakteriſirt, den tief bedeut-
ſamen Unterſchied zwiſchen dem Handwerk und dem Gewerbe. Das
Handwerk iſt damit nicht mehr, was es einſt geweſen, der Kern und
die Grundlage des ſtolzen und ſtarken Bürgerſtandes; es verliert ſeine
Herrſchaft über die Städte und iſt nicht länger das Weſen des Bürger-
thums. Neue Thatſachen, neue Forderungen entſtehen mit jedem Tage;
der Anfang des Jahrhunderts hat einen, von der früheren Zeit tief
verſchiedenen Charakter; als aber die Maſchine auftritt, als die alten
zunftmäßigen Handelscompagnien verſchwinden, als der Kredit und der
Gebrauch des Wechſels Raum gewinnt und die Börſen anfangen, über
Handel und Produktion zu entſcheiden, da ſinkt das Handwerk tief
herab; es iſt nicht mehr der Träger eines ſittlichen Elements, es iſt
ein bloßes Ernährungsmittel für die Familie geworden; es hat noch
einen goldenen Boden, aber es klebt an demſelben; über daſſelbe hin-
aus geht der junge Bürgerſtand, fähig und willig aus dem alten Orts-
bürgerthum zu einem Weltbürgerſtande zu werden; es iſt klar, daß die
alte in ſich ruhende ſich ſelbſt genügende Ordnung der Dinge aufhört
und daß eine neue beginnt.
In dieſer gewaltigen, wenn auch noch mannigfach unſicheren Be-
wegung kann nun auch die alte Geſtalt des Bildungsweſens ſich nicht
erhalten. Das Mitglied der Zunft und Innung hat gelernt zu arbeiten
in ſeinem beſchränkten Sinne des Worts, aber er hat nicht gelernt,
die höhere Arbeit des Verkehrs zu bewältigen. Dieſe will, wie der
Verkehr ſelbſt eine allgemeine Bildung. Die allgemeine Bildung wie-
derum beginnt alsbald mit der allem Geiſtigen ewig eigenen Kraft, die
Kraft der höher ſtehenden Elemente an ſich zu ziehen. Die Kinder der
höheren Klaſſen, in dem höheren Verkehr ihre Lebensaufgabe ſuchend,
ſuchen auch nach einer demſelben entſprechenden Bildung. Sie wenden
ſich an die alten Scholae und Gymnasia der ſtändiſchen Epoche. Allein
dieſe ſind unfähig ihnen zu bieten, was ſie fordern. Für die Zeit, in
welcher jene leben und wirken ſollen, handelt es ſich nicht mehr um
Cicero und Herodot; es handelt ſich darum einen guten Brief zu ſchreiben,
die großen Elemente der Weltgeographie vor Augen zu haben, von
der Natur etwas zu wiſſen, mit ihren Stoffen bekannt zu ſein, Länder-
und Völkerkunde zu beſitzen, und Vorſtellungen, Pläne, Ergebniſſe und
Wahrſcheinlichkeiten in beſtimmten Ziffern nach den Regeln der höheren
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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