ohne dieß Bewußtsein hätte er seine große historische Aufgabe nie voll- zogen; was er war, war er nicht durch den Reichthum an sich, der bei dem Mittelstande Roms in gewissen Zeiten viel größer war, son- dern durch das, wodurch der Reichthum entsteht und was er in einem edlen Volke zu erzeugen vermag. Daher hat diese gewerbliche Arbeit der germanischen Zeit auch einen wesentlich andern Charakter, als die der früheren historischen Völker. Der Bürger achtet sich selbst wegen seiner Arbeit; sie ist ihm keine bloß wirthschaftliche, sie ist ihm eine Lebensaufgabe; sie enthält ihm daher nicht bloß das Mittel zur gewerb- lichen Gütererzeugung, sondern eine moralische Verpflichtung, sich und damit seinem Stande mit seinen Produkten Ehre zu machen -- ein Gedanke, den die alte Welt nicht kennt; er ist durchdrungen von dem Bewußtsein, daß nicht in der Größe seines Kapitals, sondern in der Tüchtigkeit seiner Arbeit, in der Hingabe seiner selbst an dieselbe die wahre Grundlage seiner Stellung in der ständischen Welt liege. Mit ihr, mit der Achtung vor ihren Leistungen steht und fällt er selbst; das weiß er und darnach handelt er. Und so entsteht von selbst das Bedürfniß, diese Arbeit, welche ihm seinen eigentlichen Halt gegenüber der Macht und dem Glanze der beiden andern Stände gibt, vor dem Hinabsinken in Untüchtigkeit zu bewahren. Sie gewinnt damit einen neuen, der ganzen alten Welt unbekannten Charakter; sie tritt auf nicht als Sache des Individuums, sondern als eine Angelegenheit des ganzen Standes; sie wird, obwohl sie zunächst nur von dem Einzelnen aus- geht und nur für den Einzelnen geschieht, dennoch ein Gegenstand des Gesammtinteresses. Und mit diesem Element, das die Arbeit in dieser Epoche in sich aufnimmt, entwickelt sich nun auch zum erstenmal in der Geschichte Europas ein öffentliches Recht der Arbeit. Dieß öffentliche Recht ist es nun, welches jetzt unserem Gebiete mit einem wesentlichen Theil seines Inhalts angehört. Zuerst wird es zum Vorrecht der Produktion für diejenigen, welche die einzelne gewerbliche Körperschaft, die Zunft und Innung, in sich aufgenommen hat; das ist das Meister- recht, das der Geschichte der Organisation der Gewerbe angehört. Dann aber wird es zu einem großen, die ganze germanische Welt umfassen- den, in allen Ländern sich wiederholenden und die gesammte gesell- schaftliche Entwicklung durchdringenden Bildungsrecht der gewerb- lichen Arbeit, an das sich das Prüfungsrecht derselben anschließt. Das große Princip dieses Bildungs- und Prüfungsrechts der gewerb- lichen Arbeit ist das Recht der einzelnen gewerblichen Körperschaft, der einzelnen Zunft und Innung, selbst die Bedingungen für den gewerb- lichen Bildungsgang und das Bestehen der Prüfung vorzuschreiben und auszuführen. In der Feststellung dieser Punkte, in der Aufstellung
ohne dieß Bewußtſein hätte er ſeine große hiſtoriſche Aufgabe nie voll- zogen; was er war, war er nicht durch den Reichthum an ſich, der bei dem Mittelſtande Roms in gewiſſen Zeiten viel größer war, ſon- dern durch das, wodurch der Reichthum entſteht und was er in einem edlen Volke zu erzeugen vermag. Daher hat dieſe gewerbliche Arbeit der germaniſchen Zeit auch einen weſentlich andern Charakter, als die der früheren hiſtoriſchen Völker. Der Bürger achtet ſich ſelbſt wegen ſeiner Arbeit; ſie iſt ihm keine bloß wirthſchaftliche, ſie iſt ihm eine Lebensaufgabe; ſie enthält ihm daher nicht bloß das Mittel zur gewerb- lichen Gütererzeugung, ſondern eine moraliſche Verpflichtung, ſich und damit ſeinem Stande mit ſeinen Produkten Ehre zu machen — ein Gedanke, den die alte Welt nicht kennt; er iſt durchdrungen von dem Bewußtſein, daß nicht in der Größe ſeines Kapitals, ſondern in der Tüchtigkeit ſeiner Arbeit, in der Hingabe ſeiner ſelbſt an dieſelbe die wahre Grundlage ſeiner Stellung in der ſtändiſchen Welt liege. Mit ihr, mit der Achtung vor ihren Leiſtungen ſteht und fällt er ſelbſt; das weiß er und darnach handelt er. Und ſo entſteht von ſelbſt das Bedürfniß, dieſe Arbeit, welche ihm ſeinen eigentlichen Halt gegenüber der Macht und dem Glanze der beiden andern Stände gibt, vor dem Hinabſinken in Untüchtigkeit zu bewahren. Sie gewinnt damit einen neuen, der ganzen alten Welt unbekannten Charakter; ſie tritt auf nicht als Sache des Individuums, ſondern als eine Angelegenheit des ganzen Standes; ſie wird, obwohl ſie zunächſt nur von dem Einzelnen aus- geht und nur für den Einzelnen geſchieht, dennoch ein Gegenſtand des Geſammtintereſſes. Und mit dieſem Element, das die Arbeit in dieſer Epoche in ſich aufnimmt, entwickelt ſich nun auch zum erſtenmal in der Geſchichte Europas ein öffentliches Recht der Arbeit. Dieß öffentliche Recht iſt es nun, welches jetzt unſerem Gebiete mit einem weſentlichen Theil ſeines Inhalts angehört. Zuerſt wird es zum Vorrecht der Produktion für diejenigen, welche die einzelne gewerbliche Körperſchaft, die Zunft und Innung, in ſich aufgenommen hat; das iſt das Meiſter- recht, das der Geſchichte der Organiſation der Gewerbe angehört. Dann aber wird es zu einem großen, die ganze germaniſche Welt umfaſſen- den, in allen Ländern ſich wiederholenden und die geſammte geſell- ſchaftliche Entwicklung durchdringenden Bildungsrecht der gewerb- lichen Arbeit, an das ſich das Prüfungsrecht derſelben anſchließt. Das große Princip dieſes Bildungs- und Prüfungsrechts der gewerb- lichen Arbeit iſt das Recht der einzelnen gewerblichen Körperſchaft, der einzelnen Zunft und Innung, ſelbſt die Bedingungen für den gewerb- lichen Bildungsgang und das Beſtehen der Prüfung vorzuſchreiben und auszuführen. In der Feſtſtellung dieſer Punkte, in der Aufſtellung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0265"n="237"/>
ohne dieß Bewußtſein hätte er ſeine große hiſtoriſche Aufgabe nie voll-<lb/>
zogen; was er war, war er nicht durch den Reichthum an ſich, der<lb/>
bei dem Mittelſtande Roms in gewiſſen Zeiten viel größer war, ſon-<lb/>
dern durch das, wodurch der Reichthum entſteht und was er in einem<lb/>
edlen Volke zu erzeugen vermag. Daher hat dieſe gewerbliche Arbeit<lb/>
der germaniſchen Zeit auch einen weſentlich andern Charakter, als die<lb/>
der früheren hiſtoriſchen Völker. Der Bürger achtet ſich ſelbſt <hirendition="#g">wegen</hi><lb/>ſeiner Arbeit; ſie iſt ihm keine bloß wirthſchaftliche, ſie iſt ihm eine<lb/>
Lebensaufgabe; ſie enthält ihm daher nicht bloß das Mittel zur gewerb-<lb/>
lichen Gütererzeugung, ſondern eine moraliſche Verpflichtung, ſich und<lb/>
damit ſeinem Stande mit ſeinen Produkten Ehre zu machen — ein<lb/>
Gedanke, den die alte Welt nicht kennt; er iſt durchdrungen von dem<lb/>
Bewußtſein, daß nicht in der Größe ſeines Kapitals, ſondern in der<lb/>
Tüchtigkeit ſeiner Arbeit, in der Hingabe ſeiner ſelbſt an dieſelbe die<lb/>
wahre Grundlage ſeiner Stellung in der ſtändiſchen Welt liege. Mit<lb/>
ihr, mit der Achtung vor ihren Leiſtungen ſteht und fällt er ſelbſt;<lb/>
das weiß er und darnach handelt er. Und ſo entſteht von ſelbſt das<lb/>
Bedürfniß, dieſe Arbeit, welche ihm ſeinen eigentlichen Halt gegenüber<lb/>
der Macht und dem Glanze der beiden andern Stände gibt, vor dem<lb/>
Hinabſinken in Untüchtigkeit zu bewahren. Sie gewinnt damit einen<lb/>
neuen, der ganzen alten Welt unbekannten Charakter; ſie tritt auf nicht<lb/>
als Sache des Individuums, ſondern als eine Angelegenheit des ganzen<lb/>
Standes; ſie wird, obwohl ſie zunächſt nur von dem Einzelnen aus-<lb/>
geht und nur für den Einzelnen geſchieht, dennoch ein Gegenſtand des<lb/>
Geſammtintereſſes. Und mit dieſem Element, das die Arbeit in dieſer<lb/>
Epoche in ſich aufnimmt, entwickelt ſich nun auch zum erſtenmal in der<lb/>
Geſchichte Europas ein öffentliches Recht der Arbeit. Dieß öffentliche<lb/>
Recht iſt es nun, welches jetzt unſerem Gebiete mit einem weſentlichen<lb/>
Theil ſeines Inhalts angehört. Zuerſt wird es zum <hirendition="#g">Vorrecht</hi> der<lb/>
Produktion für diejenigen, welche die einzelne gewerbliche Körperſchaft,<lb/>
die Zunft und Innung, in ſich aufgenommen hat; das iſt das Meiſter-<lb/>
recht, das der Geſchichte der Organiſation der Gewerbe angehört. Dann<lb/>
aber wird es zu einem großen, die ganze germaniſche Welt umfaſſen-<lb/>
den, in allen Ländern ſich wiederholenden und die geſammte geſell-<lb/>ſchaftliche Entwicklung durchdringenden <hirendition="#g">Bildungsrecht</hi> der gewerb-<lb/>
lichen Arbeit, an das ſich das <hirendition="#g">Prüfungsrecht</hi> derſelben anſchließt.<lb/>
Das große Princip dieſes Bildungs- und Prüfungsrechts der gewerb-<lb/>
lichen Arbeit iſt das Recht der einzelnen gewerblichen Körperſchaft, der<lb/>
einzelnen Zunft und Innung, ſelbſt die Bedingungen für den gewerb-<lb/>
lichen Bildungsgang und das Beſtehen der Prüfung vorzuſchreiben und<lb/>
auszuführen. In der Feſtſtellung dieſer Punkte, in der Aufſtellung<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[237/0265]
ohne dieß Bewußtſein hätte er ſeine große hiſtoriſche Aufgabe nie voll-
zogen; was er war, war er nicht durch den Reichthum an ſich, der
bei dem Mittelſtande Roms in gewiſſen Zeiten viel größer war, ſon-
dern durch das, wodurch der Reichthum entſteht und was er in einem
edlen Volke zu erzeugen vermag. Daher hat dieſe gewerbliche Arbeit
der germaniſchen Zeit auch einen weſentlich andern Charakter, als die
der früheren hiſtoriſchen Völker. Der Bürger achtet ſich ſelbſt wegen
ſeiner Arbeit; ſie iſt ihm keine bloß wirthſchaftliche, ſie iſt ihm eine
Lebensaufgabe; ſie enthält ihm daher nicht bloß das Mittel zur gewerb-
lichen Gütererzeugung, ſondern eine moraliſche Verpflichtung, ſich und
damit ſeinem Stande mit ſeinen Produkten Ehre zu machen — ein
Gedanke, den die alte Welt nicht kennt; er iſt durchdrungen von dem
Bewußtſein, daß nicht in der Größe ſeines Kapitals, ſondern in der
Tüchtigkeit ſeiner Arbeit, in der Hingabe ſeiner ſelbſt an dieſelbe die
wahre Grundlage ſeiner Stellung in der ſtändiſchen Welt liege. Mit
ihr, mit der Achtung vor ihren Leiſtungen ſteht und fällt er ſelbſt;
das weiß er und darnach handelt er. Und ſo entſteht von ſelbſt das
Bedürfniß, dieſe Arbeit, welche ihm ſeinen eigentlichen Halt gegenüber
der Macht und dem Glanze der beiden andern Stände gibt, vor dem
Hinabſinken in Untüchtigkeit zu bewahren. Sie gewinnt damit einen
neuen, der ganzen alten Welt unbekannten Charakter; ſie tritt auf nicht
als Sache des Individuums, ſondern als eine Angelegenheit des ganzen
Standes; ſie wird, obwohl ſie zunächſt nur von dem Einzelnen aus-
geht und nur für den Einzelnen geſchieht, dennoch ein Gegenſtand des
Geſammtintereſſes. Und mit dieſem Element, das die Arbeit in dieſer
Epoche in ſich aufnimmt, entwickelt ſich nun auch zum erſtenmal in der
Geſchichte Europas ein öffentliches Recht der Arbeit. Dieß öffentliche
Recht iſt es nun, welches jetzt unſerem Gebiete mit einem weſentlichen
Theil ſeines Inhalts angehört. Zuerſt wird es zum Vorrecht der
Produktion für diejenigen, welche die einzelne gewerbliche Körperſchaft,
die Zunft und Innung, in ſich aufgenommen hat; das iſt das Meiſter-
recht, das der Geſchichte der Organiſation der Gewerbe angehört. Dann
aber wird es zu einem großen, die ganze germaniſche Welt umfaſſen-
den, in allen Ländern ſich wiederholenden und die geſammte geſell-
ſchaftliche Entwicklung durchdringenden Bildungsrecht der gewerb-
lichen Arbeit, an das ſich das Prüfungsrecht derſelben anſchließt.
Das große Princip dieſes Bildungs- und Prüfungsrechts der gewerb-
lichen Arbeit iſt das Recht der einzelnen gewerblichen Körperſchaft, der
einzelnen Zunft und Innung, ſelbſt die Bedingungen für den gewerb-
lichen Bildungsgang und das Beſtehen der Prüfung vorzuſchreiben und
auszuführen. In der Feſtſtellung dieſer Punkte, in der Aufſtellung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/265>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.