Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

und von jetzt an stehen die Universitäten als organisches Glied des
deutschen Bildungswesens da, wie sie namentlich Thiersch im zweiten
Bande seines schönen Werkes über Gelehrte Schulen so trefflich auf-
faßt und darstellt. Daß die Polizeiwissenschaft und Staatsrechtslehre
sich nicht weiter um sie kümmern, beruht dann einfach darauf, daß
Beiden das Verständniß der Verwaltung fehlt; nur Mohl hat sie in
seiner Polizeiwissenschaft Bd. I. §. 30 in würdiger und eingehender
Weise behandelt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß sie seit dem ersten
Decennium unseres Jahrhunderts gar keine Literatur gehabt haben,
während das übrige Bildungswesen an Bearbeitungen überreich ist.
Die Geschichte der Universitäten ist seit Meiners Geschichte der Univer-
sitäten 1802 ganz vernachlässigt, denn Werke über einzelne Universitäten,
wie das von Kink über die Universität Wien, haben bei aller Treff-
lichkeit doch nur den Werth hochschätzbarer Beiträge, und Meiners
hat im Grunde von dem wahren Wesen der Universität ein gar ge-
ringes Verständniß. Nachdem aber das letztere für das deutsche Be-
wußtsein dauernd gewonnen, wird der Fortschritt nunmehr auf der Er-
kenntniß ihres organischen Verhältnisses zu dem ganzen, gewaltigen Lebens-
proceß beruhen, der als das Bildungswesen die Völker in Wissenschaft,
Wirthschaft und Kunst, in Anstalten, Unternehmungen und Selbst-
bildung durch die Presse gleichmäßig und zur Ehre unsres Jahrhunderts
unwiderstehlich erfaßt.

Zweites Gebiet. Das wirthschaftliche Berufsbildungssystem.
Wesen desselben.

Deutschland ist unter allen Völkern dasjenige, welches das wirth-
schaftliche Berufsbildungswesen nicht bloß selbständig aufgefaßt, sondern
auch in seinem gesammten Bildungswesen zu einem selbständigen System
neben dem gelehrten ausgebildet hat. Es hat damit das Recht ge-
wonnen, für andere Länder als Vorbild zu dienen; aber es hat zugleich
die Pflicht, diese seine Stellung als Muster in diesem Gebiete durch
die ernsteste Behandlung der Sache auch würdig auszufüllen. Dieß nun
wird in doppelter Weise zu geschehen haben. Einerseits dadurch, daß
Deutschland im Einzelnen, in einzelnen Anstalten und ihren Ein-
richtungen, das Höchste leistet, was hier geleistet werden kann; anderer-
seits aber dadurch, daß es sich über das Ganze dieses Systems und
seinen historischen und organischen Inhalt vollständig klar wird. Offen-
bar nun ist das erstere die Aufgabe der eigentlichen Fachmänner; aber
das zweite ist die Aufgabe der Verwaltungslehre. Denn in der That

und von jetzt an ſtehen die Univerſitäten als organiſches Glied des
deutſchen Bildungsweſens da, wie ſie namentlich Thierſch im zweiten
Bande ſeines ſchönen Werkes über Gelehrte Schulen ſo trefflich auf-
faßt und darſtellt. Daß die Polizeiwiſſenſchaft und Staatsrechtslehre
ſich nicht weiter um ſie kümmern, beruht dann einfach darauf, daß
Beiden das Verſtändniß der Verwaltung fehlt; nur Mohl hat ſie in
ſeiner Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. §. 30 in würdiger und eingehender
Weiſe behandelt. Es iſt aber nicht zu verkennen, daß ſie ſeit dem erſten
Decennium unſeres Jahrhunderts gar keine Literatur gehabt haben,
während das übrige Bildungsweſen an Bearbeitungen überreich iſt.
Die Geſchichte der Univerſitäten iſt ſeit Meiners Geſchichte der Univer-
ſitäten 1802 ganz vernachläſſigt, denn Werke über einzelne Univerſitäten,
wie das von Kink über die Univerſität Wien, haben bei aller Treff-
lichkeit doch nur den Werth hochſchätzbarer Beiträge, und Meiners
hat im Grunde von dem wahren Weſen der Univerſität ein gar ge-
ringes Verſtändniß. Nachdem aber das letztere für das deutſche Be-
wußtſein dauernd gewonnen, wird der Fortſchritt nunmehr auf der Er-
kenntniß ihres organiſchen Verhältniſſes zu dem ganzen, gewaltigen Lebens-
proceß beruhen, der als das Bildungsweſen die Völker in Wiſſenſchaft,
Wirthſchaft und Kunſt, in Anſtalten, Unternehmungen und Selbſt-
bildung durch die Preſſe gleichmäßig und zur Ehre unſres Jahrhunderts
unwiderſtehlich erfaßt.

Zweites Gebiet. Das wirthſchaftliche Berufsbildungsſyſtem.
Weſen deſſelben.

Deutſchland iſt unter allen Völkern dasjenige, welches das wirth-
ſchaftliche Berufsbildungsweſen nicht bloß ſelbſtändig aufgefaßt, ſondern
auch in ſeinem geſammten Bildungsweſen zu einem ſelbſtändigen Syſtem
neben dem gelehrten ausgebildet hat. Es hat damit das Recht ge-
wonnen, für andere Länder als Vorbild zu dienen; aber es hat zugleich
die Pflicht, dieſe ſeine Stellung als Muſter in dieſem Gebiete durch
die ernſteſte Behandlung der Sache auch würdig auszufüllen. Dieß nun
wird in doppelter Weiſe zu geſchehen haben. Einerſeits dadurch, daß
Deutſchland im Einzelnen, in einzelnen Anſtalten und ihren Ein-
richtungen, das Höchſte leiſtet, was hier geleiſtet werden kann; anderer-
ſeits aber dadurch, daß es ſich über das Ganze dieſes Syſtems und
ſeinen hiſtoriſchen und organiſchen Inhalt vollſtändig klar wird. Offen-
bar nun iſt das erſtere die Aufgabe der eigentlichen Fachmänner; aber
das zweite iſt die Aufgabe der Verwaltungslehre. Denn in der That

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0261" n="233"/>
und von jetzt an &#x017F;tehen die Univer&#x017F;itäten als organi&#x017F;ches Glied des<lb/>
deut&#x017F;chen Bildungswe&#x017F;ens da, wie &#x017F;ie namentlich <hi rendition="#g">Thier&#x017F;ch</hi> im zweiten<lb/>
Bande &#x017F;eines &#x017F;chönen Werkes über Gelehrte Schulen &#x017F;o trefflich auf-<lb/>
faßt und dar&#x017F;tellt. Daß die Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und Staatsrechtslehre<lb/>
&#x017F;ich nicht weiter um &#x017F;ie kümmern, beruht dann einfach darauf, daß<lb/>
Beiden das <choice><sic>Ber&#x017F;tändniß</sic><corr>Ver&#x017F;tändniß</corr></choice> der Verwaltung fehlt; nur <hi rendition="#g">Mohl</hi> hat &#x017F;ie in<lb/>
&#x017F;einer Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 30 in würdiger und eingehender<lb/>
Wei&#x017F;e behandelt. Es i&#x017F;t aber nicht zu verkennen, daß &#x017F;ie &#x017F;eit dem er&#x017F;ten<lb/>
Decennium un&#x017F;eres Jahrhunderts gar keine Literatur gehabt haben,<lb/>
während das übrige Bildungswe&#x017F;en an Bearbeitungen überreich i&#x017F;t.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der Univer&#x017F;itäten i&#x017F;t &#x017F;eit <hi rendition="#g">Meiners</hi> Ge&#x017F;chichte der Univer-<lb/>
&#x017F;itäten 1802 ganz vernachlä&#x017F;&#x017F;igt, denn Werke über einzelne Univer&#x017F;itäten,<lb/>
wie das von <hi rendition="#g">Kink</hi> über die Univer&#x017F;ität Wien, haben bei aller Treff-<lb/>
lichkeit doch nur den Werth hoch&#x017F;chätzbarer Beiträge, und <hi rendition="#g">Meiners</hi><lb/>
hat im Grunde von dem wahren We&#x017F;en der Univer&#x017F;ität ein gar ge-<lb/>
ringes Ver&#x017F;tändniß. Nachdem aber das letztere für das deut&#x017F;che Be-<lb/>
wußt&#x017F;ein dauernd gewonnen, wird der Fort&#x017F;chritt nunmehr auf der Er-<lb/>
kenntniß ihres organi&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;es zu dem ganzen, gewaltigen Lebens-<lb/>
proceß beruhen, der als das Bildungswe&#x017F;en die Völker in Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
Wirth&#x017F;chaft und Kun&#x017F;t, in An&#x017F;talten, Unternehmungen und Selb&#x017F;t-<lb/>
bildung durch die Pre&#x017F;&#x017F;e gleichmäßig und zur Ehre un&#x017F;res Jahrhunderts<lb/>
unwider&#x017F;tehlich erfaßt.</p>
                  </div>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b">Zweites Gebiet. Das wirth&#x017F;chaftliche Berufsbildungs&#x017F;y&#x017F;tem.</hi> </head><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>We&#x017F;en de&#x017F;&#x017F;elben.</head><lb/>
                    <p>Deut&#x017F;chland i&#x017F;t unter allen Völkern dasjenige, welches das wirth-<lb/>
&#x017F;chaftliche Berufsbildungswe&#x017F;en nicht bloß &#x017F;elb&#x017F;tändig aufgefaßt, &#x017F;ondern<lb/>
auch in &#x017F;einem ge&#x017F;ammten Bildungswe&#x017F;en zu einem &#x017F;elb&#x017F;tändigen Sy&#x017F;tem<lb/>
neben dem gelehrten ausgebildet hat. Es hat damit das Recht ge-<lb/>
wonnen, für andere Länder als Vorbild zu dienen; aber es hat zugleich<lb/>
die Pflicht, die&#x017F;e &#x017F;eine Stellung als Mu&#x017F;ter in die&#x017F;em Gebiete durch<lb/>
die ern&#x017F;te&#x017F;te Behandlung der Sache auch würdig auszufüllen. Dieß nun<lb/>
wird in doppelter Wei&#x017F;e zu ge&#x017F;chehen haben. Einer&#x017F;eits dadurch, daß<lb/>
Deut&#x017F;chland im Einzelnen, in einzelnen An&#x017F;talten und ihren Ein-<lb/>
richtungen, das Höch&#x017F;te lei&#x017F;tet, was hier gelei&#x017F;tet werden kann; anderer-<lb/>
&#x017F;eits aber dadurch, daß es &#x017F;ich über das Ganze die&#x017F;es Sy&#x017F;tems und<lb/>
&#x017F;einen hi&#x017F;tori&#x017F;chen und organi&#x017F;chen Inhalt voll&#x017F;tändig klar wird. Offen-<lb/>
bar nun i&#x017F;t das er&#x017F;tere die Aufgabe der eigentlichen Fachmänner; aber<lb/>
das zweite i&#x017F;t die Aufgabe der Verwaltungslehre. Denn in der That<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0261] und von jetzt an ſtehen die Univerſitäten als organiſches Glied des deutſchen Bildungsweſens da, wie ſie namentlich Thierſch im zweiten Bande ſeines ſchönen Werkes über Gelehrte Schulen ſo trefflich auf- faßt und darſtellt. Daß die Polizeiwiſſenſchaft und Staatsrechtslehre ſich nicht weiter um ſie kümmern, beruht dann einfach darauf, daß Beiden das Verſtändniß der Verwaltung fehlt; nur Mohl hat ſie in ſeiner Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. §. 30 in würdiger und eingehender Weiſe behandelt. Es iſt aber nicht zu verkennen, daß ſie ſeit dem erſten Decennium unſeres Jahrhunderts gar keine Literatur gehabt haben, während das übrige Bildungsweſen an Bearbeitungen überreich iſt. Die Geſchichte der Univerſitäten iſt ſeit Meiners Geſchichte der Univer- ſitäten 1802 ganz vernachläſſigt, denn Werke über einzelne Univerſitäten, wie das von Kink über die Univerſität Wien, haben bei aller Treff- lichkeit doch nur den Werth hochſchätzbarer Beiträge, und Meiners hat im Grunde von dem wahren Weſen der Univerſität ein gar ge- ringes Verſtändniß. Nachdem aber das letztere für das deutſche Be- wußtſein dauernd gewonnen, wird der Fortſchritt nunmehr auf der Er- kenntniß ihres organiſchen Verhältniſſes zu dem ganzen, gewaltigen Lebens- proceß beruhen, der als das Bildungsweſen die Völker in Wiſſenſchaft, Wirthſchaft und Kunſt, in Anſtalten, Unternehmungen und Selbſt- bildung durch die Preſſe gleichmäßig und zur Ehre unſres Jahrhunderts unwiderſtehlich erfaßt. Zweites Gebiet. Das wirthſchaftliche Berufsbildungsſyſtem. Weſen deſſelben. Deutſchland iſt unter allen Völkern dasjenige, welches das wirth- ſchaftliche Berufsbildungsweſen nicht bloß ſelbſtändig aufgefaßt, ſondern auch in ſeinem geſammten Bildungsweſen zu einem ſelbſtändigen Syſtem neben dem gelehrten ausgebildet hat. Es hat damit das Recht ge- wonnen, für andere Länder als Vorbild zu dienen; aber es hat zugleich die Pflicht, dieſe ſeine Stellung als Muſter in dieſem Gebiete durch die ernſteſte Behandlung der Sache auch würdig auszufüllen. Dieß nun wird in doppelter Weiſe zu geſchehen haben. Einerſeits dadurch, daß Deutſchland im Einzelnen, in einzelnen Anſtalten und ihren Ein- richtungen, das Höchſte leiſtet, was hier geleiſtet werden kann; anderer- ſeits aber dadurch, daß es ſich über das Ganze dieſes Syſtems und ſeinen hiſtoriſchen und organiſchen Inhalt vollſtändig klar wird. Offen- bar nun iſt das erſtere die Aufgabe der eigentlichen Fachmänner; aber das zweite iſt die Aufgabe der Verwaltungslehre. Denn in der That

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/261
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/261>, abgerufen am 22.12.2024.