Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.unserem Jahrhundert das Princip der Freiheit des Staatsbürgerthums Allein wie alle diese Bewegungen war sie naturgemäß nur negativ. In unserer Zeit nun ist es wohl kein Zweifel, daß wir diese Lern- Offenbar nun wäre jene Gewähr bei unbedingter Lernfreiheit nur da Stein, die Verwaltungslehre. V. 15
unſerem Jahrhundert das Princip der Freiheit des Staatsbürgerthums Allein wie alle dieſe Bewegungen war ſie naturgemäß nur negativ. In unſerer Zeit nun iſt es wohl kein Zweifel, daß wir dieſe Lern- Offenbar nun wäre jene Gewähr bei unbedingter Lernfreiheit nur da Stein, die Verwaltungslehre. V. 15
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0253" n="225"/> unſerem Jahrhundert das Princip der Freiheit des Staatsbürgerthums<lb/> ſich auch dagegen empörte; die Lernfreiheit war der Ausdruck der allge-<lb/> meinen Bewegung der Geiſter innerhalb des Gebietes des Univerſitäts-<lb/> ſtudiums und ſchien daher mit ihr ſtehen und fallen zu müſſen. Das<lb/> iſt ihre hiſtoriſche Stellung; ſie iſt ein Theil des großen Kampfes gegen<lb/> die polizeiliche Bevormundung des Geiſtes, und in dieſem Sinne eine<lb/> natürliche, vollberechtigte Erſcheinung unſeres Jahrhunderts.</p><lb/> <p>Allein wie alle dieſe Bewegungen war ſie naturgemäß nur negativ.<lb/> Sie überſah das zweite Element in jener geſetzlichen Ordnung. Sie<lb/> vergaß, daß der geſetzliche Studienplan zugleich die Aufgabe hatte,<lb/> durch ſeine Vorſchriften ein Minimum der <hi rendition="#g">organiſchen Fachbildung</hi><lb/> im öffentlichen Intereſſe zu ſichern. Sie ſah zwar ſehr deutlich, auf<lb/> welchen Punkten dieſe geſetzliche Ordnung nichts nützten und geradezu<lb/> ſchadeten; ſie ſah aber nicht, wo und wie ſie daneben zugleich heilſam<lb/> wirkte. Sie begnügte ſich mit der an ſich richtigen Ueberzeugung, daß<lb/> die Verwaltung die Bildung durch keine geſetzlichen Vorſchriften er-<lb/> zwingen könne, und mit der abſtrakten Hoffnung, daß die Macht des<lb/> Geiſtes an ſich ſtark genug ſein werde, um die jungen Männer zur<lb/> Wiſſenſchaft auch ohne alle Vorſchrift zu ſich heran zu ziehen. Sie ließ<lb/> aber die Frage unerörtert was zu geſchehen habe, wenn dieß <hi rendition="#g">nicht</hi> der<lb/> Fall wäre. Sie entſprach daher dem Geiſte der Zeit und ſeinem leben-<lb/> digen Aufſchwung; aber ſie entſprach nicht dem richtigen, durch keine<lb/> glanzvolle Anſchauung geblendeten praktiſchen Bedürfniß der Fachmänner.<lb/> Sie vermochte daher auch nicht, durch ihre viel zu allgemeine Tendenz<lb/> das Gegebene zu ändern. Bis zu unſerer Zeit blieben trotz derſelben<lb/> die geſetzlichen Studienpläne beſtehen, und neben ihnen ſtand unver-<lb/> mittelt ihr Gegenſatz in der abſtrakten Forderung der Lernfreiheit. Dieß<lb/> ſcheint die gegenwärtige Sachlage.</p><lb/> <p>In unſerer Zeit nun iſt es wohl kein Zweifel, daß wir dieſe Lern-<lb/> freiheit nicht mehr im Namen der allgemeinen ſtaatsbürgerlichen Frei-<lb/> heit, wie zur Zeit Schleiermachers zu fordern haben. Die Verwaltungs-<lb/> lehre erkennt das Princip der Lernfreiheit unbedingt an. Aber ſie muß<lb/> im Namen des öffentlichen Intereſſes die Frage aufſtellen, ob dieſe<lb/><hi rendition="#g">unbedingte</hi> Lernfreiheit im Stande iſt, die Gewähr für dasjenige<lb/> Maß der Berufsbildung zu bieten, ohne welches die Berufsfunktionen<lb/> den Anforderungen unſerer Zeit nicht genügen. Iſt das nicht der Fall,<lb/> ſo muß auch hier die Verwaltung fordern, daß die individuelle Freiheit<lb/> ſich dem Geſammtintereſſe unterordne, und ſomit die Begränzung des-<lb/> ſelben zu einem Theile des öffentlichen Bildungsrechts mache.</p><lb/> <p>Offenbar nun wäre jene Gewähr bei unbedingter Lernfreiheit nur da<lb/> denkbar, wo das Syſtem der <hi rendition="#g">Prüfungen</hi> ausreichte, jenes Minimum<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">V.</hi> 15</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [225/0253]
unſerem Jahrhundert das Princip der Freiheit des Staatsbürgerthums
ſich auch dagegen empörte; die Lernfreiheit war der Ausdruck der allge-
meinen Bewegung der Geiſter innerhalb des Gebietes des Univerſitäts-
ſtudiums und ſchien daher mit ihr ſtehen und fallen zu müſſen. Das
iſt ihre hiſtoriſche Stellung; ſie iſt ein Theil des großen Kampfes gegen
die polizeiliche Bevormundung des Geiſtes, und in dieſem Sinne eine
natürliche, vollberechtigte Erſcheinung unſeres Jahrhunderts.
Allein wie alle dieſe Bewegungen war ſie naturgemäß nur negativ.
Sie überſah das zweite Element in jener geſetzlichen Ordnung. Sie
vergaß, daß der geſetzliche Studienplan zugleich die Aufgabe hatte,
durch ſeine Vorſchriften ein Minimum der organiſchen Fachbildung
im öffentlichen Intereſſe zu ſichern. Sie ſah zwar ſehr deutlich, auf
welchen Punkten dieſe geſetzliche Ordnung nichts nützten und geradezu
ſchadeten; ſie ſah aber nicht, wo und wie ſie daneben zugleich heilſam
wirkte. Sie begnügte ſich mit der an ſich richtigen Ueberzeugung, daß
die Verwaltung die Bildung durch keine geſetzlichen Vorſchriften er-
zwingen könne, und mit der abſtrakten Hoffnung, daß die Macht des
Geiſtes an ſich ſtark genug ſein werde, um die jungen Männer zur
Wiſſenſchaft auch ohne alle Vorſchrift zu ſich heran zu ziehen. Sie ließ
aber die Frage unerörtert was zu geſchehen habe, wenn dieß nicht der
Fall wäre. Sie entſprach daher dem Geiſte der Zeit und ſeinem leben-
digen Aufſchwung; aber ſie entſprach nicht dem richtigen, durch keine
glanzvolle Anſchauung geblendeten praktiſchen Bedürfniß der Fachmänner.
Sie vermochte daher auch nicht, durch ihre viel zu allgemeine Tendenz
das Gegebene zu ändern. Bis zu unſerer Zeit blieben trotz derſelben
die geſetzlichen Studienpläne beſtehen, und neben ihnen ſtand unver-
mittelt ihr Gegenſatz in der abſtrakten Forderung der Lernfreiheit. Dieß
ſcheint die gegenwärtige Sachlage.
In unſerer Zeit nun iſt es wohl kein Zweifel, daß wir dieſe Lern-
freiheit nicht mehr im Namen der allgemeinen ſtaatsbürgerlichen Frei-
heit, wie zur Zeit Schleiermachers zu fordern haben. Die Verwaltungs-
lehre erkennt das Princip der Lernfreiheit unbedingt an. Aber ſie muß
im Namen des öffentlichen Intereſſes die Frage aufſtellen, ob dieſe
unbedingte Lernfreiheit im Stande iſt, die Gewähr für dasjenige
Maß der Berufsbildung zu bieten, ohne welches die Berufsfunktionen
den Anforderungen unſerer Zeit nicht genügen. Iſt das nicht der Fall,
ſo muß auch hier die Verwaltung fordern, daß die individuelle Freiheit
ſich dem Geſammtintereſſe unterordne, und ſomit die Begränzung des-
ſelben zu einem Theile des öffentlichen Bildungsrechts mache.
Offenbar nun wäre jene Gewähr bei unbedingter Lernfreiheit nur da
denkbar, wo das Syſtem der Prüfungen ausreichte, jenes Minimum
Stein, die Verwaltungslehre. V. 15
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