Bürgerstand namentlich fordert sie; die öffentliche Meinung begrüßt sie mit hoher Achtung und allmählig verbreiten sie sich, bald durch die Bürgerschaften, bald durch Stiftungen gegründet, über alle bedeutenderen Städte. Aber noch immer haben sie keinen öffentlich rechtlichen Cha- rakter als Theil und Glied eines allgemeinen Bildungssystems; sie sind in der That Universitäten im Kleinen. Das aber ist es, was ihnen zugleich die Grundlagen ihrer inneren Rechtsordnung gegeben hat, die sie wenigstens nach einer Seite hin bis auf den heutigen Tag behalten. Sie erscheinen nämlich wie diese ihre Vorbilder, als wissenschaftliche Selbstverwaltungskörper, oft mit denselben Namen ihrer Mitglieder (Rectores, Professores), oft mit andern (Gymnasiarcha etc.); doch stehen sie nicht mit der ständischen Souveränetät der Universitas da, sondern sind meistens den Bischöfen oder den Stadtorganen unter- geordnet. Eben deßhalb ist auch ihr Name verschieden; sie heißen hohe und gelehrte Schulen, Lyceen, Athenäen; alle diese Bezeichnungen be- deuten, daß sie die höhere Vorbildung nur noch und ausschließlich in der classischen Bildung finden. Eine Gleichartigkeit des Lehrplanes gibt es dabei nur so weit, als sie in der Natur der Classicität selber liegt; innere Abtheilungen sind durch die Natur des Bildungsganges ange- deutet; ihre vorbereitende Stellung gegenüber den Universitäten liegt gleichfalls in der Natur der Sache; so sind alle Elemente der öffentlichen Gestaltung vorhanden, aber um die letztere selbst hervorzurufen, muß ein äußeres Moment hinzukommen. Und dieß bringt die neue, mit dem siebzehnten Jahrhundert allmählig sich entwickelnde Stellung der Univer- sitäten, welche die zweite große Epoche des hohen Schulwesens begründet.
Sowie nämlich mit dem selbständigen Auftreten der jungen, eigent- lichen, an das Königthum sich anschließenden Staatsverwaltung die Forderung entsteht, daß jeder öffentliche Beruf zugleich eine bestimmte Fachbildung zur Voraussetzung haben müsse, scheiden sich die hohen Schulen mehr und mehr als selbständige Vorbildungsanstalten für die Universität. Die strenge Scheidung der Fachbildung an den letzteren (s. unten) macht es ihnen unmöglich, sich mit der Vorbereitung weiter zu beschäftigen; die Universität fordert jetzt, daß die Vorbildung eine fertige sei, um den Lernenden bei sich zuzulassen und da jetzt die Verwaltung ihrerseits die Fachbildung der Universität für die öffent- liche Berufsthätigkeit voraussetzt, so ergibt sich, daß nunmehr auch das Vorbildungswesen für die Universität, die hohe Schule, den Charakter einer öffentlichen, staatlichen Bildungsanstalt annehmen müsse. Das nun wird für das hohe Schulwesen entscheidend, und jetzt treten diejenigen Erscheinungen auf, welche wir in unserer Zeit als die "Gym- nasialfragen" zu bezeichnen pflegen.
Bürgerſtand namentlich fordert ſie; die öffentliche Meinung begrüßt ſie mit hoher Achtung und allmählig verbreiten ſie ſich, bald durch die Bürgerſchaften, bald durch Stiftungen gegründet, über alle bedeutenderen Städte. Aber noch immer haben ſie keinen öffentlich rechtlichen Cha- rakter als Theil und Glied eines allgemeinen Bildungsſyſtems; ſie ſind in der That Univerſitäten im Kleinen. Das aber iſt es, was ihnen zugleich die Grundlagen ihrer inneren Rechtsordnung gegeben hat, die ſie wenigſtens nach einer Seite hin bis auf den heutigen Tag behalten. Sie erſcheinen nämlich wie dieſe ihre Vorbilder, als wiſſenſchaftliche Selbſtverwaltungskörper, oft mit denſelben Namen ihrer Mitglieder (Rectores, Professores), oft mit andern (Gymnasiarcha etc.); doch ſtehen ſie nicht mit der ſtändiſchen Souveränetät der Universitas da, ſondern ſind meiſtens den Biſchöfen oder den Stadtorganen unter- geordnet. Eben deßhalb iſt auch ihr Name verſchieden; ſie heißen hohe und gelehrte Schulen, Lyceen, Athenäen; alle dieſe Bezeichnungen be- deuten, daß ſie die höhere Vorbildung nur noch und ausſchließlich in der claſſiſchen Bildung finden. Eine Gleichartigkeit des Lehrplanes gibt es dabei nur ſo weit, als ſie in der Natur der Claſſicität ſelber liegt; innere Abtheilungen ſind durch die Natur des Bildungsganges ange- deutet; ihre vorbereitende Stellung gegenüber den Univerſitäten liegt gleichfalls in der Natur der Sache; ſo ſind alle Elemente der öffentlichen Geſtaltung vorhanden, aber um die letztere ſelbſt hervorzurufen, muß ein äußeres Moment hinzukommen. Und dieß bringt die neue, mit dem ſiebzehnten Jahrhundert allmählig ſich entwickelnde Stellung der Univer- ſitäten, welche die zweite große Epoche des hohen Schulweſens begründet.
Sowie nämlich mit dem ſelbſtändigen Auftreten der jungen, eigent- lichen, an das Königthum ſich anſchließenden Staatsverwaltung die Forderung entſteht, daß jeder öffentliche Beruf zugleich eine beſtimmte Fachbildung zur Vorausſetzung haben müſſe, ſcheiden ſich die hohen Schulen mehr und mehr als ſelbſtändige Vorbildungsanſtalten für die Univerſität. Die ſtrenge Scheidung der Fachbildung an den letzteren (ſ. unten) macht es ihnen unmöglich, ſich mit der Vorbereitung weiter zu beſchäftigen; die Univerſität fordert jetzt, daß die Vorbildung eine fertige ſei, um den Lernenden bei ſich zuzulaſſen und da jetzt die Verwaltung ihrerſeits die Fachbildung der Univerſität für die öffent- liche Berufsthätigkeit vorausſetzt, ſo ergibt ſich, daß nunmehr auch das Vorbildungsweſen für die Univerſität, die hohe Schule, den Charakter einer öffentlichen, ſtaatlichen Bildungsanſtalt annehmen müſſe. Das nun wird für das hohe Schulweſen entſcheidend, und jetzt treten diejenigen Erſcheinungen auf, welche wir in unſerer Zeit als die „Gym- naſialfragen“ zu bezeichnen pflegen.
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Bürgerſtand namentlich fordert ſie; die öffentliche Meinung begrüßt ſie
mit hoher Achtung und allmählig verbreiten ſie ſich, bald durch die
Bürgerſchaften, bald durch Stiftungen gegründet, über alle bedeutenderen
Städte. Aber noch immer haben ſie keinen öffentlich rechtlichen Cha-
rakter als Theil und Glied eines allgemeinen Bildungsſyſtems; ſie ſind
in der That Univerſitäten im Kleinen. Das aber iſt es, was ihnen
zugleich die Grundlagen ihrer inneren Rechtsordnung gegeben hat, die
ſie wenigſtens nach einer Seite hin bis auf den heutigen Tag behalten.
Sie erſcheinen nämlich wie dieſe ihre Vorbilder, als wiſſenſchaftliche
Selbſtverwaltungskörper, oft mit denſelben Namen ihrer Mitglieder
(Rectores, Professores), oft mit andern (Gymnasiarcha etc.); doch
ſtehen ſie nicht mit der ſtändiſchen Souveränetät der Universitas da,
ſondern ſind meiſtens den Biſchöfen oder den Stadtorganen unter-
geordnet. Eben deßhalb iſt auch ihr Name verſchieden; ſie heißen hohe
und gelehrte Schulen, Lyceen, Athenäen; alle dieſe Bezeichnungen be-
deuten, daß ſie die höhere Vorbildung nur noch und ausſchließlich in
der claſſiſchen Bildung finden. Eine Gleichartigkeit des Lehrplanes gibt
es dabei nur ſo weit, als ſie in der Natur der Claſſicität ſelber liegt;
innere Abtheilungen ſind durch die Natur des Bildungsganges ange-
deutet; ihre vorbereitende Stellung gegenüber den Univerſitäten liegt
gleichfalls in der Natur der Sache; ſo ſind alle Elemente der öffentlichen
Geſtaltung vorhanden, aber um die letztere ſelbſt hervorzurufen, muß
ein äußeres Moment hinzukommen. Und dieß bringt die neue, mit dem
ſiebzehnten Jahrhundert allmählig ſich entwickelnde Stellung der Univer-
ſitäten, welche die zweite große Epoche des hohen Schulweſens begründet.
Sowie nämlich mit dem ſelbſtändigen Auftreten der jungen, eigent-
lichen, an das Königthum ſich anſchließenden Staatsverwaltung die
Forderung entſteht, daß jeder öffentliche Beruf zugleich eine beſtimmte
Fachbildung zur Vorausſetzung haben müſſe, ſcheiden ſich die hohen
Schulen mehr und mehr als ſelbſtändige Vorbildungsanſtalten
für die Univerſität. Die ſtrenge Scheidung der Fachbildung an den
letzteren (ſ. unten) macht es ihnen unmöglich, ſich mit der Vorbereitung
weiter zu beſchäftigen; die Univerſität fordert jetzt, daß die Vorbildung
eine fertige ſei, um den Lernenden bei ſich zuzulaſſen und da jetzt
die Verwaltung ihrerſeits die Fachbildung der Univerſität für die öffent-
liche Berufsthätigkeit vorausſetzt, ſo ergibt ſich, daß nunmehr auch das
Vorbildungsweſen für die Univerſität, die hohe Schule, den Charakter
einer öffentlichen, ſtaatlichen Bildungsanſtalt annehmen müſſe.
Das nun wird für das hohe Schulweſen entſcheidend, und jetzt treten
diejenigen Erſcheinungen auf, welche wir in unſerer Zeit als die „Gym-
naſialfragen“ zu bezeichnen pflegen.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/226>, abgerufen am 22.11.2024.
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