Die Geschlechterordnung hat zwar einen Beruf und ein Recht des öffentlichen Berufes, aber es hat kein Prüfungswesen. Die Stelle desselben wird durch den natürlichen Proceß des Alters vertreten; die Waffenmündigkeit und die öffentliche Aufnahme in die Gemeinschaft des Wahrhaften ist das, was die Berufsprüfung unserer Zeit ersetzt. Der Ritterschlag der späteren Zeit gehört bereits der Epoche an, wo die herrschenden Geschlechter durch die Entwicklung des Systems der Grund- herrlichkeit und des adlichen Besitzes zu einem öffentlichen Stande ge- worden sind. Die weitere Ausbildung dieser Grundlage erscheint dann durch die stehenden Heere in dem selbständigen Wehrstand, dem Waffen- berufe, der sein eigenes Bildungssystem und dann auch sein eigenes Prüfungssystem hat, das wir hier nur berühren, um die Vollständig- keit des Bildes nicht zu beschränken.
Ein eigenes und eigenthümliches Prüfungssystem erscheint erst mit der ständischen Gesellschaft und ihrer strengen Ordnung des gesammten Berufswesens. Der innige Zusammenhang dieser Epoche mit der gegen- wärtigen macht es unabweisbar, sich bei der mannichfachen formalen Gleichheit dieser Zeit mit der folgenden über die tiefe Verschiedenheit des Princips der ständischen Prüfung von der folgenden der staats- bürgerlichen, klar zu werden.
In der ständischen Epoche nämlich erscheint der Beruf nicht bloß als eine geistige und ethische Funktion, sondern er erhebt sich sofort durch Entwicklung des ihm eigenthümlichen Besitzes und wirthschaftlichen Lebens zu einem Stande. Dieser Stand, auf Besitz beruhend, erscheint vermöge des letztern stets als eine selbständige Körperschaft. Die Körper- schaft nun hat die in dem Wesen des Berufes liegende Funktion zu vollziehen. Sie hat mithin als solche die öffentliche Verantwortlichkeit dafür, daß der Beruf als Theil des Gesammtlebens richtig vollzogen werde. Es ist daher natürlich, daß sie es zugleich ist, welche die Be- rufsbildung vorschreibt und daß sie den Einzelnen zur Erfüllung des Berufes erst dann zuläßt, wenn er ihr bewiesen hat, daß er die noth- wendige Berufsbildung auch wirklich besitze. Das Urtheil darüber steht alsdann nie einer andern als eben dieser Körperschaft selber zu. Sie gewinnt dasselbe durch die Prüfung, die sie selbst vorschreibt und voll- zieht. Das Ergebniß der Prüfung ist daher aber auch nicht bloß die Anerkennung der Bildung für den Beruf und der öffentlichen Fähigkeit seiner Ausübung, sondern zugleich die definitive Aufnahme in die Körperschaft, das ist der Erwerb des Rechts, an der Ausübung des Berufes vermöge dieses Angehörens an die bestimmte einzelne Körper- schaft Theil zu nehmen, sich als Mitglied einer solchen Körperschaft zu bezeichnen und sogar Miteigenthümer und Mitdisponent über das
Die Geſchlechterordnung hat zwar einen Beruf und ein Recht des öffentlichen Berufes, aber es hat kein Prüfungsweſen. Die Stelle deſſelben wird durch den natürlichen Proceß des Alters vertreten; die Waffenmündigkeit und die öffentliche Aufnahme in die Gemeinſchaft des Wahrhaften iſt das, was die Berufsprüfung unſerer Zeit erſetzt. Der Ritterſchlag der ſpäteren Zeit gehört bereits der Epoche an, wo die herrſchenden Geſchlechter durch die Entwicklung des Syſtems der Grund- herrlichkeit und des adlichen Beſitzes zu einem öffentlichen Stande ge- worden ſind. Die weitere Ausbildung dieſer Grundlage erſcheint dann durch die ſtehenden Heere in dem ſelbſtändigen Wehrſtand, dem Waffen- berufe, der ſein eigenes Bildungsſyſtem und dann auch ſein eigenes Prüfungsſyſtem hat, das wir hier nur berühren, um die Vollſtändig- keit des Bildes nicht zu beſchränken.
Ein eigenes und eigenthümliches Prüfungsſyſtem erſcheint erſt mit der ſtändiſchen Geſellſchaft und ihrer ſtrengen Ordnung des geſammten Berufsweſens. Der innige Zuſammenhang dieſer Epoche mit der gegen- wärtigen macht es unabweisbar, ſich bei der mannichfachen formalen Gleichheit dieſer Zeit mit der folgenden über die tiefe Verſchiedenheit des Princips der ſtändiſchen Prüfung von der folgenden der ſtaats- bürgerlichen, klar zu werden.
In der ſtändiſchen Epoche nämlich erſcheint der Beruf nicht bloß als eine geiſtige und ethiſche Funktion, ſondern er erhebt ſich ſofort durch Entwicklung des ihm eigenthümlichen Beſitzes und wirthſchaftlichen Lebens zu einem Stande. Dieſer Stand, auf Beſitz beruhend, erſcheint vermöge des letztern ſtets als eine ſelbſtändige Körperſchaft. Die Körper- ſchaft nun hat die in dem Weſen des Berufes liegende Funktion zu vollziehen. Sie hat mithin als ſolche die öffentliche Verantwortlichkeit dafür, daß der Beruf als Theil des Geſammtlebens richtig vollzogen werde. Es iſt daher natürlich, daß ſie es zugleich iſt, welche die Be- rufsbildung vorſchreibt und daß ſie den Einzelnen zur Erfüllung des Berufes erſt dann zuläßt, wenn er ihr bewieſen hat, daß er die noth- wendige Berufsbildung auch wirklich beſitze. Das Urtheil darüber ſteht alsdann nie einer andern als eben dieſer Körperſchaft ſelber zu. Sie gewinnt daſſelbe durch die Prüfung, die ſie ſelbſt vorſchreibt und voll- zieht. Das Ergebniß der Prüfung iſt daher aber auch nicht bloß die Anerkennung der Bildung für den Beruf und der öffentlichen Fähigkeit ſeiner Ausübung, ſondern zugleich die definitive Aufnahme in die Körperſchaft, das iſt der Erwerb des Rechts, an der Ausübung des Berufes vermöge dieſes Angehörens an die beſtimmte einzelne Körper- ſchaft Theil zu nehmen, ſich als Mitglied einer ſolchen Körperſchaft zu bezeichnen und ſogar Miteigenthümer und Mitdisponent über das
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Die Geſchlechterordnung hat zwar einen Beruf und ein Recht des
öffentlichen Berufes, aber es hat kein Prüfungsweſen. Die Stelle
deſſelben wird durch den natürlichen Proceß des Alters vertreten; die
Waffenmündigkeit und die öffentliche Aufnahme in die Gemeinſchaft des
Wahrhaften iſt das, was die Berufsprüfung unſerer Zeit erſetzt. Der
Ritterſchlag der ſpäteren Zeit gehört bereits der Epoche an, wo die
herrſchenden Geſchlechter durch die Entwicklung des Syſtems der Grund-
herrlichkeit und des adlichen Beſitzes zu einem öffentlichen Stande ge-
worden ſind. Die weitere Ausbildung dieſer Grundlage erſcheint dann
durch die ſtehenden Heere in dem ſelbſtändigen Wehrſtand, dem Waffen-
berufe, der ſein eigenes Bildungsſyſtem und dann auch ſein eigenes
Prüfungsſyſtem hat, das wir hier nur berühren, um die Vollſtändig-
keit des Bildes nicht zu beſchränken.
Ein eigenes und eigenthümliches Prüfungsſyſtem erſcheint erſt mit
der ſtändiſchen Geſellſchaft und ihrer ſtrengen Ordnung des geſammten
Berufsweſens. Der innige Zuſammenhang dieſer Epoche mit der gegen-
wärtigen macht es unabweisbar, ſich bei der mannichfachen formalen
Gleichheit dieſer Zeit mit der folgenden über die tiefe Verſchiedenheit
des Princips der ſtändiſchen Prüfung von der folgenden der ſtaats-
bürgerlichen, klar zu werden.
In der ſtändiſchen Epoche nämlich erſcheint der Beruf nicht bloß
als eine geiſtige und ethiſche Funktion, ſondern er erhebt ſich ſofort
durch Entwicklung des ihm eigenthümlichen Beſitzes und wirthſchaftlichen
Lebens zu einem Stande. Dieſer Stand, auf Beſitz beruhend, erſcheint
vermöge des letztern ſtets als eine ſelbſtändige Körperſchaft. Die Körper-
ſchaft nun hat die in dem Weſen des Berufes liegende Funktion zu
vollziehen. Sie hat mithin als ſolche die öffentliche Verantwortlichkeit
dafür, daß der Beruf als Theil des Geſammtlebens richtig vollzogen
werde. Es iſt daher natürlich, daß ſie es zugleich iſt, welche die Be-
rufsbildung vorſchreibt und daß ſie den Einzelnen zur Erfüllung des
Berufes erſt dann zuläßt, wenn er ihr bewieſen hat, daß er die noth-
wendige Berufsbildung auch wirklich beſitze. Das Urtheil darüber ſteht
alsdann nie einer andern als eben dieſer Körperſchaft ſelber zu. Sie
gewinnt daſſelbe durch die Prüfung, die ſie ſelbſt vorſchreibt und voll-
zieht. Das Ergebniß der Prüfung iſt daher aber auch nicht bloß die
Anerkennung der Bildung für den Beruf und der öffentlichen Fähigkeit
ſeiner Ausübung, ſondern zugleich die definitive Aufnahme in die
Körperſchaft, das iſt der Erwerb des Rechts, an der Ausübung des
Berufes vermöge dieſes Angehörens an die beſtimmte einzelne Körper-
ſchaft Theil zu nehmen, ſich als Mitglied einer ſolchen Körperſchaft
zu bezeichnen und ſogar Miteigenthümer und Mitdisponent über das
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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