die Vergleichung; denn dieselbe liegt hier nicht mehr in positiven Rechts- bestimmungen, sondern in dem abstrakten Wesen des Berufes und der Idee der individuellen Freiheit. Und vielleicht ist daher in keinem Gebiete der Staatswissenschaft das Verständniß und das Zusammen- stellen des englischen Wesens mit dem continentalen so schwierig als hier und eben daraus erklärt es sich, daß wir dieses eigenthümliche englische System erst in der allerneuesten Zeit in der continentalen Literatur bearbeitet finden.
Der zweite Standpunkt ist dem direkt entgegengesetzt und wieder tritt uns hier der tiefe Unterschied des Charakters von Frankreich und England entgegen. Wo die Staatsgewalt dem Einzelnen ganz sich selber überläßt, überläßt sie ihm auch den Beruf; wo sie dagegen alle öffent- liche Thätigkeit ausschließlich als ihre Angelegenheit betrachtet, da gilt ihr nur das als Beruf, was eben der Verwaltung angehört und das, was auf diese Weise der Verwaltung angehört, unterordnet sie dann auch unbedingt ihren Gesetzen. Hier wird daher der Staat allerdings die Pflicht, die Berufsbildung zu fördern und zu gründen, auch aner- kennen, aber er wird dieß nur da thun, wo es sich um eine der Ver- waltung angehörende Funktion handelt. Alles was dem nicht an- gehört, wird er als Sache des Einzelnen, als eine die Thätigkeit des Staats nicht berührende Angelegenheit ansehen. Hier werden daher auch nicht bloß öffentliche, durch Staatsmittel hergestellte Berufsbildungsanstalten entstehen, sondern sie werden sich auch zu einem Systeme entwickeln; aber dieß System wird auf diejenigen Fächer beschränken, in welchen die Verwaltung eine Berufsbildung fordern muß. Hier wird daher auch eine staatliche Oberleitung, ja eine ebenso strenge Verwaltung der Berufsbildung stattfinden, wie die des Staatsdienstes selber, da jene grundsätzlich nur für diesen da ist; aber diese Oberaufsicht und Verwaltung wird nicht weiter gehen, als bis zu der Gränze des öffent- lichen Berufes; das übrige wird der Staat sich selber überlassen. Das System nun wird sich naturgemäß dahin gestalten, daß die ge- lehrte Berufsbildung und diejenigen Zweige des wirthschaftlichen, welche der Staat braucht, das eigentliche Gebiet des öffentlichen Berufsbildungs- wesens ausmachen, während der rein wirthschaftliche Beruf ohne Orga- nisirung bleibt und das künstlerische nur in Ausnahmsfällen selbständige Anstalten empfängt. Die innere Ordnung der ersten Gruppe wird daher eine streng gesetzliche, die der zweiten eine ganz willkürliche bleiben; es sind gleichsam zwei Welten, zwei große Bildungsprocesse neben einander, denen dann, wie wir sehen werden, auch das System des Prüfungswesens entspricht. Und dieß ist der Charakter des Berufs- bildungswesens Frankreichs.
die Vergleichung; denn dieſelbe liegt hier nicht mehr in poſitiven Rechts- beſtimmungen, ſondern in dem abſtrakten Weſen des Berufes und der Idee der individuellen Freiheit. Und vielleicht iſt daher in keinem Gebiete der Staatswiſſenſchaft das Verſtändniß und das Zuſammen- ſtellen des engliſchen Weſens mit dem continentalen ſo ſchwierig als hier und eben daraus erklärt es ſich, daß wir dieſes eigenthümliche engliſche Syſtem erſt in der allerneueſten Zeit in der continentalen Literatur bearbeitet finden.
Der zweite Standpunkt iſt dem direkt entgegengeſetzt und wieder tritt uns hier der tiefe Unterſchied des Charakters von Frankreich und England entgegen. Wo die Staatsgewalt dem Einzelnen ganz ſich ſelber überläßt, überläßt ſie ihm auch den Beruf; wo ſie dagegen alle öffent- liche Thätigkeit ausſchließlich als ihre Angelegenheit betrachtet, da gilt ihr nur das als Beruf, was eben der Verwaltung angehört und das, was auf dieſe Weiſe der Verwaltung angehört, unterordnet ſie dann auch unbedingt ihren Geſetzen. Hier wird daher der Staat allerdings die Pflicht, die Berufsbildung zu fördern und zu gründen, auch aner- kennen, aber er wird dieß nur da thun, wo es ſich um eine der Ver- waltung angehörende Funktion handelt. Alles was dem nicht an- gehört, wird er als Sache des Einzelnen, als eine die Thätigkeit des Staats nicht berührende Angelegenheit anſehen. Hier werden daher auch nicht bloß öffentliche, durch Staatsmittel hergeſtellte Berufsbildungsanſtalten entſtehen, ſondern ſie werden ſich auch zu einem Syſteme entwickeln; aber dieß Syſtem wird auf diejenigen Fächer beſchränken, in welchen die Verwaltung eine Berufsbildung fordern muß. Hier wird daher auch eine ſtaatliche Oberleitung, ja eine ebenſo ſtrenge Verwaltung der Berufsbildung ſtattfinden, wie die des Staatsdienſtes ſelber, da jene grundſätzlich nur für dieſen da iſt; aber dieſe Oberaufſicht und Verwaltung wird nicht weiter gehen, als bis zu der Gränze des öffent- lichen Berufes; das übrige wird der Staat ſich ſelber überlaſſen. Das Syſtem nun wird ſich naturgemäß dahin geſtalten, daß die ge- lehrte Berufsbildung und diejenigen Zweige des wirthſchaftlichen, welche der Staat braucht, das eigentliche Gebiet des öffentlichen Berufsbildungs- weſens ausmachen, während der rein wirthſchaftliche Beruf ohne Orga- niſirung bleibt und das künſtleriſche nur in Ausnahmsfällen ſelbſtändige Anſtalten empfängt. Die innere Ordnung der erſten Gruppe wird daher eine ſtreng geſetzliche, die der zweiten eine ganz willkürliche bleiben; es ſind gleichſam zwei Welten, zwei große Bildungsproceſſe neben einander, denen dann, wie wir ſehen werden, auch das Syſtem des Prüfungsweſens entſpricht. Und dieß iſt der Charakter des Berufs- bildungsweſens Frankreichs.
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die Vergleichung; denn dieſelbe liegt hier nicht mehr in poſitiven Rechts-
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Idee der individuellen Freiheit. Und vielleicht iſt daher in keinem
Gebiete der Staatswiſſenſchaft das Verſtändniß und das Zuſammen-
ſtellen des engliſchen Weſens mit dem continentalen ſo ſchwierig als
hier und eben daraus erklärt es ſich, daß wir dieſes eigenthümliche
engliſche Syſtem erſt in der allerneueſten Zeit in der continentalen
Literatur bearbeitet finden.
Der zweite Standpunkt iſt dem direkt entgegengeſetzt und wieder
tritt uns hier der tiefe Unterſchied des Charakters von Frankreich und
England entgegen. Wo die Staatsgewalt dem Einzelnen ganz ſich ſelber
überläßt, überläßt ſie ihm auch den Beruf; wo ſie dagegen alle öffent-
liche Thätigkeit ausſchließlich als ihre Angelegenheit betrachtet, da gilt
ihr nur das als Beruf, was eben der Verwaltung angehört und das,
was auf dieſe Weiſe der Verwaltung angehört, unterordnet ſie dann
auch unbedingt ihren Geſetzen. Hier wird daher der Staat allerdings
die Pflicht, die Berufsbildung zu fördern und zu gründen, auch aner-
kennen, aber er wird dieß nur da thun, wo es ſich um eine der Ver-
waltung angehörende Funktion handelt. Alles was dem nicht an-
gehört, wird er als Sache des Einzelnen, als eine die Thätigkeit des Staats
nicht berührende Angelegenheit anſehen. Hier werden daher auch nicht
bloß öffentliche, durch Staatsmittel hergeſtellte Berufsbildungsanſtalten
entſtehen, ſondern ſie werden ſich auch zu einem Syſteme entwickeln;
aber dieß Syſtem wird auf diejenigen Fächer beſchränken, in welchen
die Verwaltung eine Berufsbildung fordern muß. Hier wird daher
auch eine ſtaatliche Oberleitung, ja eine ebenſo ſtrenge Verwaltung
der Berufsbildung ſtattfinden, wie die des Staatsdienſtes ſelber, da
jene grundſätzlich nur für dieſen da iſt; aber dieſe Oberaufſicht und
Verwaltung wird nicht weiter gehen, als bis zu der Gränze des öffent-
lichen Berufes; das übrige wird der Staat ſich ſelber überlaſſen.
Das Syſtem nun wird ſich naturgemäß dahin geſtalten, daß die ge-
lehrte Berufsbildung und diejenigen Zweige des wirthſchaftlichen, welche
der Staat braucht, das eigentliche Gebiet des öffentlichen Berufsbildungs-
weſens ausmachen, während der rein wirthſchaftliche Beruf ohne Orga-
niſirung bleibt und das künſtleriſche nur in Ausnahmsfällen ſelbſtändige
Anſtalten empfängt. Die innere Ordnung der erſten Gruppe wird
daher eine ſtreng geſetzliche, die der zweiten eine ganz willkürliche
bleiben; es ſind gleichſam zwei Welten, zwei große Bildungsproceſſe
neben einander, denen dann, wie wir ſehen werden, auch das Syſtem
des Prüfungsweſens entſpricht. Und dieß iſt der Charakter des Berufs-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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