Der erste und einfachste Standpunkt ist der, nach welchem der Beruf ganz als Sache der individuellen Thätigkeit erscheint, für die der Einzelne durch sich selbst zu sorgen habe. Dieser Standpunkt ist seinerseits die natürliche Folge des Mangels einer Staatsverwaltung im engeren Sinne des Wortes, welche die Entwicklung des Einzelnen ganz sich selber überläßt, und keine Verpflichtung des Ganzen für die- selbe anerkennt als die, ihn in dieser freien Selbstthätigkeit zu schützen. Da nun aber auch in einem solchen Zustand das Wesen der höheren Bildung sich selbst seine Organe und seinen Bildungsproceß erzeugt, so besteht das öffentliche Recht des Bildungswesens hier in dem Verhalten der Staatsgewalt zu diesen, auf selbständigen Körperschaften, Vereinen oder Einzelunternehmungen beruhenden Bildungsanstalten. Und dieß Verhältniß wird dann durch den Grundsatz beherrscht, daß die Thätig- keit aller dieser Bildungsanstalten eine außerstaatliche, der Verwal- tung und ihrem Recht nicht unterworfene, von derselben in keiner Weise zu fördernde oder zu hemmende, das ist eine vollkommen freie, damit aber auch unberechtigte sein solle. In diesem Zustande ist von einem Verwaltungsrecht der Berufsbildung keine Rede; aus der staat- lichen Thätigkeit geht weder ein System der Berufsbildung, noch eine öffentliche Ordnung derselben, noch eine Oberaufsicht hervor. Hier scheidet kein Unterrichtsgesetz die gelehrte, wirthschaftliche und künstlerische Bildung, kein Ministerium übernimmt es, die Interessen derselben zu vertreten, kein Theil des Budgets ist ihnen gewidmet, aber auch kein Recht der Verwaltung vorhanden, in den freien Entwicklungsgang ein- zugreifen. Allerdings wird der letztere, wie es die höhere Natur der Sache fordert, sich selbst in jenen drei großen Gruppen ein System er- ringen und eine gewisse Gleichartigkeit im Großen und Ganzen hervor- rufen. Allein dieses System ist dann kein öffentliches Recht, sondern eine statistische Thatsache; es ist durch kein Gesetz beherrscht und ge- ordnet, sondern durch die mehr oder weniger zur Erkenntniß gelangende Natur der Sache; es ist nicht in seiner Gleichartigkeit objektiv gegeben, sondern der individuellen Anschauung überlassen. Hier entscheiden daher nicht mehr Principien, sondern meist der historische Gang der Dinge, oder individuelle Interessen; es ist beinahe unmöglich, zu übersehen, was geleistet wird, und ein Lehrerstand existirt entweder gar nicht oder nur für einzelne historische Institute. Dafür genügt die Verwaltungs- losigkeit dieses Gebietes dem Einzelnen, sich nun auch ganz auf sich selbst zu verlassen und je weniger das Ganze für ihn thut, um so mehr muß er durch sich selber leisten. Dieser Standpunkt ist der des englischen Berufsbildungswesens. Hier ist nicht bloß die Constatirung der That- sachen, Anstalten und innern Ordnungen desselben schwer, sondern auch
Der erſte und einfachſte Standpunkt iſt der, nach welchem der Beruf ganz als Sache der individuellen Thätigkeit erſcheint, für die der Einzelne durch ſich ſelbſt zu ſorgen habe. Dieſer Standpunkt iſt ſeinerſeits die natürliche Folge des Mangels einer Staatsverwaltung im engeren Sinne des Wortes, welche die Entwicklung des Einzelnen ganz ſich ſelber überläßt, und keine Verpflichtung des Ganzen für die- ſelbe anerkennt als die, ihn in dieſer freien Selbſtthätigkeit zu ſchützen. Da nun aber auch in einem ſolchen Zuſtand das Weſen der höheren Bildung ſich ſelbſt ſeine Organe und ſeinen Bildungsproceß erzeugt, ſo beſteht das öffentliche Recht des Bildungsweſens hier in dem Verhalten der Staatsgewalt zu dieſen, auf ſelbſtändigen Körperſchaften, Vereinen oder Einzelunternehmungen beruhenden Bildungsanſtalten. Und dieß Verhältniß wird dann durch den Grundſatz beherrſcht, daß die Thätig- keit aller dieſer Bildungsanſtalten eine außerſtaatliche, der Verwal- tung und ihrem Recht nicht unterworfene, von derſelben in keiner Weiſe zu fördernde oder zu hemmende, das iſt eine vollkommen freie, damit aber auch unberechtigte ſein ſolle. In dieſem Zuſtande iſt von einem Verwaltungsrecht der Berufsbildung keine Rede; aus der ſtaat- lichen Thätigkeit geht weder ein Syſtem der Berufsbildung, noch eine öffentliche Ordnung derſelben, noch eine Oberaufſicht hervor. Hier ſcheidet kein Unterrichtsgeſetz die gelehrte, wirthſchaftliche und künſtleriſche Bildung, kein Miniſterium übernimmt es, die Intereſſen derſelben zu vertreten, kein Theil des Budgets iſt ihnen gewidmet, aber auch kein Recht der Verwaltung vorhanden, in den freien Entwicklungsgang ein- zugreifen. Allerdings wird der letztere, wie es die höhere Natur der Sache fordert, ſich ſelbſt in jenen drei großen Gruppen ein Syſtem er- ringen und eine gewiſſe Gleichartigkeit im Großen und Ganzen hervor- rufen. Allein dieſes Syſtem iſt dann kein öffentliches Recht, ſondern eine ſtatiſtiſche Thatſache; es iſt durch kein Geſetz beherrſcht und ge- ordnet, ſondern durch die mehr oder weniger zur Erkenntniß gelangende Natur der Sache; es iſt nicht in ſeiner Gleichartigkeit objektiv gegeben, ſondern der individuellen Anſchauung überlaſſen. Hier entſcheiden daher nicht mehr Principien, ſondern meiſt der hiſtoriſche Gang der Dinge, oder individuelle Intereſſen; es iſt beinahe unmöglich, zu überſehen, was geleiſtet wird, und ein Lehrerſtand exiſtirt entweder gar nicht oder nur für einzelne hiſtoriſche Inſtitute. Dafür genügt die Verwaltungs- loſigkeit dieſes Gebietes dem Einzelnen, ſich nun auch ganz auf ſich ſelbſt zu verlaſſen und je weniger das Ganze für ihn thut, um ſo mehr muß er durch ſich ſelber leiſten. Dieſer Standpunkt iſt der des engliſchen Berufsbildungsweſens. Hier iſt nicht bloß die Conſtatirung der That- ſachen, Anſtalten und innern Ordnungen deſſelben ſchwer, ſondern auch
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Der erſte und einfachſte Standpunkt iſt der, nach welchem der
Beruf ganz als Sache der individuellen Thätigkeit erſcheint, für die
der Einzelne durch ſich ſelbſt zu ſorgen habe. Dieſer Standpunkt iſt
ſeinerſeits die natürliche Folge des Mangels einer Staatsverwaltung
im engeren Sinne des Wortes, welche die Entwicklung des Einzelnen
ganz ſich ſelber überläßt, und keine Verpflichtung des Ganzen für die-
ſelbe anerkennt als die, ihn in dieſer freien Selbſtthätigkeit zu ſchützen.
Da nun aber auch in einem ſolchen Zuſtand das Weſen der höheren
Bildung ſich ſelbſt ſeine Organe und ſeinen Bildungsproceß erzeugt, ſo
beſteht das öffentliche Recht des Bildungsweſens hier in dem Verhalten
der Staatsgewalt zu dieſen, auf ſelbſtändigen Körperſchaften, Vereinen
oder Einzelunternehmungen beruhenden Bildungsanſtalten. Und dieß
Verhältniß wird dann durch den Grundſatz beherrſcht, daß die Thätig-
keit aller dieſer Bildungsanſtalten eine außerſtaatliche, der Verwal-
tung und ihrem Recht nicht unterworfene, von derſelben in keiner
Weiſe zu fördernde oder zu hemmende, das iſt eine vollkommen freie,
damit aber auch unberechtigte ſein ſolle. In dieſem Zuſtande iſt von
einem Verwaltungsrecht der Berufsbildung keine Rede; aus der ſtaat-
lichen Thätigkeit geht weder ein Syſtem der Berufsbildung, noch eine
öffentliche Ordnung derſelben, noch eine Oberaufſicht hervor. Hier
ſcheidet kein Unterrichtsgeſetz die gelehrte, wirthſchaftliche und künſtleriſche
Bildung, kein Miniſterium übernimmt es, die Intereſſen derſelben zu
vertreten, kein Theil des Budgets iſt ihnen gewidmet, aber auch kein
Recht der Verwaltung vorhanden, in den freien Entwicklungsgang ein-
zugreifen. Allerdings wird der letztere, wie es die höhere Natur der
Sache fordert, ſich ſelbſt in jenen drei großen Gruppen ein Syſtem er-
ringen und eine gewiſſe Gleichartigkeit im Großen und Ganzen hervor-
rufen. Allein dieſes Syſtem iſt dann kein öffentliches Recht, ſondern
eine ſtatiſtiſche Thatſache; es iſt durch kein Geſetz beherrſcht und ge-
ordnet, ſondern durch die mehr oder weniger zur Erkenntniß gelangende
Natur der Sache; es iſt nicht in ſeiner Gleichartigkeit objektiv gegeben,
ſondern der individuellen Anſchauung überlaſſen. Hier entſcheiden daher
nicht mehr Principien, ſondern meiſt der hiſtoriſche Gang der Dinge,
oder individuelle Intereſſen; es iſt beinahe unmöglich, zu überſehen,
was geleiſtet wird, und ein Lehrerſtand exiſtirt entweder gar nicht oder
nur für einzelne hiſtoriſche Inſtitute. Dafür genügt die Verwaltungs-
loſigkeit dieſes Gebietes dem Einzelnen, ſich nun auch ganz auf ſich ſelbſt
zu verlaſſen und je weniger das Ganze für ihn thut, um ſo mehr muß
er durch ſich ſelber leiſten. Dieſer Standpunkt iſt der des engliſchen
Berufsbildungsweſens. Hier iſt nicht bloß die Conſtatirung der That-
ſachen, Anſtalten und innern Ordnungen deſſelben ſchwer, ſondern auch
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/195>, abgerufen am 22.11.2024.
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