IV.Das gemeinsame Element der höhern Berufsbil- dung; Geschichte, Philosophie und die klassische Bildung. -- Offenbar, so groß auch das Bild ist, das sich uns in diesem for- malen System der Berufsbildung entfaltet, so hat es doch Eine Gefahr. Indem jede Berufsbildung jetzt mächtig genug ist, den ganzen Menschen zu erfassen und in sich aufzunehmen, und ihn geistig zu erfüllen, hat sie auch die Gewalt, ihn zu beschränken. Sie beschränkt ihn aber nicht bloß äußerlich; sie zieht nicht bloß äußerlich um die Thätigkeit und die Entwicklung seines Geistes die Gränzen dessen, was etwa der be- stimmte einzelne Beruf fordert, und macht es ihm durch die Masse des Geforderten schwer darüber hinauszugehen, sondern je höher sie selber steht, um so mehr greift sie auch in sein inneres Leben hinein, und läßt in ihm neben der Tiefe der speciellen Auffassung die Beschränkung der allgemeinen Entwicklung entstehen. Die Macht der speciellen Be- rufsbildung ist eine gewaltige für alles, was der Einzelne lernt oder zu verstehen hat. Sie biegt gleichsam alles Wissen und Denken wie mit starker Hand zusammen, und wendet es auf einen und denselben Punkt; sie läßt durch die Mühe die sie kostet, durch die Höhe die sie im Einzelnen erreicht, durch den praktischen Werth den sie besitzt, jede andere Bildungsart als minder bedeutend erscheinen; sie macht den Men- schen einseitig, und gefährdet das Höchste der geistigen Welt, indem sie das beschränkte Genügen im besondern an die Stelle des Strebens nach der Gesammtanschauung des menschlichen Lebens setzt, und damit sogar die Keime der Mißachtung der einen Bildungsform gegenüber der andern begründet. Das ist die Gefahr der systematischen Entwicklung des eigentlichen Berufsbildungswesens.
Aus dieser Gefahr rettet nun die Wissenschaft. Es ist natürlich hier nicht der Ort, von dem Wesen der reinen Wissenschaft zu reden. Das, warum es sich für uns allein handeln darf, ist die Funktion derselben eben in Beziehung auf jene Auflösung der höhern Berufs- bildung in geschiedene, gegen einander gleichgültige, ja feindliche Fach- bildungen, die durch die objektive und zuletzt auch subjektive Beschrän- kung am Ende zur Erstarrung des gesammten geistigen Lebens führen muß. Das Wesen derselben besteht darin, nicht bloß den innern Zu- sammenhang aller geistigen Güter und Arbeiten zu erkennen, sondern auch die gewaltige Thatsache festzuhalten und nachzuweisen, daß zuletzt doch nur eben in diesem Zusammenhange die wahre Erfüllung des Ein- zelnen, die Möglichkeit der höchsten Entwicklung jedes Theiles liege. Sie erreicht dieß Ziel auf zweifachem Wege. Sie hält zuerst die histo- rische Entwicklung des Menschengeschlechts im Ganzen und die der einzelnen Theile seiner Erkenntnisse im Einzelnen fest, und zweitens
IV.Das gemeinſame Element der höhern Berufsbil- dung; Geſchichte, Philoſophie und die klaſſiſche Bildung. — Offenbar, ſo groß auch das Bild iſt, das ſich uns in dieſem for- malen Syſtem der Berufsbildung entfaltet, ſo hat es doch Eine Gefahr. Indem jede Berufsbildung jetzt mächtig genug iſt, den ganzen Menſchen zu erfaſſen und in ſich aufzunehmen, und ihn geiſtig zu erfüllen, hat ſie auch die Gewalt, ihn zu beſchränken. Sie beſchränkt ihn aber nicht bloß äußerlich; ſie zieht nicht bloß äußerlich um die Thätigkeit und die Entwicklung ſeines Geiſtes die Gränzen deſſen, was etwa der be- ſtimmte einzelne Beruf fordert, und macht es ihm durch die Maſſe des Geforderten ſchwer darüber hinauszugehen, ſondern je höher ſie ſelber ſteht, um ſo mehr greift ſie auch in ſein inneres Leben hinein, und läßt in ihm neben der Tiefe der ſpeciellen Auffaſſung die Beſchränkung der allgemeinen Entwicklung entſtehen. Die Macht der ſpeciellen Be- rufsbildung iſt eine gewaltige für alles, was der Einzelne lernt oder zu verſtehen hat. Sie biegt gleichſam alles Wiſſen und Denken wie mit ſtarker Hand zuſammen, und wendet es auf einen und denſelben Punkt; ſie läßt durch die Mühe die ſie koſtet, durch die Höhe die ſie im Einzelnen erreicht, durch den praktiſchen Werth den ſie beſitzt, jede andere Bildungsart als minder bedeutend erſcheinen; ſie macht den Men- ſchen einſeitig, und gefährdet das Höchſte der geiſtigen Welt, indem ſie das beſchränkte Genügen im beſondern an die Stelle des Strebens nach der Geſammtanſchauung des menſchlichen Lebens ſetzt, und damit ſogar die Keime der Mißachtung der einen Bildungsform gegenüber der andern begründet. Das iſt die Gefahr der ſyſtematiſchen Entwicklung des eigentlichen Berufsbildungsweſens.
Aus dieſer Gefahr rettet nun die Wiſſenſchaft. Es iſt natürlich hier nicht der Ort, von dem Weſen der reinen Wiſſenſchaft zu reden. Das, warum es ſich für uns allein handeln darf, iſt die Funktion derſelben eben in Beziehung auf jene Auflöſung der höhern Berufs- bildung in geſchiedene, gegen einander gleichgültige, ja feindliche Fach- bildungen, die durch die objektive und zuletzt auch ſubjektive Beſchrän- kung am Ende zur Erſtarrung des geſammten geiſtigen Lebens führen muß. Das Weſen derſelben beſteht darin, nicht bloß den innern Zu- ſammenhang aller geiſtigen Güter und Arbeiten zu erkennen, ſondern auch die gewaltige Thatſache feſtzuhalten und nachzuweiſen, daß zuletzt doch nur eben in dieſem Zuſammenhange die wahre Erfüllung des Ein- zelnen, die Möglichkeit der höchſten Entwicklung jedes Theiles liege. Sie erreicht dieß Ziel auf zweifachem Wege. Sie hält zuerſt die hiſto- riſche Entwicklung des Menſchengeſchlechts im Ganzen und die der einzelnen Theile ſeiner Erkenntniſſe im Einzelnen feſt, und zweitens
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IV. Das gemeinſame Element der höhern Berufsbil-
dung; Geſchichte, Philoſophie und die klaſſiſche Bildung.
— Offenbar, ſo groß auch das Bild iſt, das ſich uns in dieſem for-
malen Syſtem der Berufsbildung entfaltet, ſo hat es doch Eine Gefahr.
Indem jede Berufsbildung jetzt mächtig genug iſt, den ganzen Menſchen
zu erfaſſen und in ſich aufzunehmen, und ihn geiſtig zu erfüllen, hat
ſie auch die Gewalt, ihn zu beſchränken. Sie beſchränkt ihn aber
nicht bloß äußerlich; ſie zieht nicht bloß äußerlich um die Thätigkeit und
die Entwicklung ſeines Geiſtes die Gränzen deſſen, was etwa der be-
ſtimmte einzelne Beruf fordert, und macht es ihm durch die Maſſe des
Geforderten ſchwer darüber hinauszugehen, ſondern je höher ſie ſelber
ſteht, um ſo mehr greift ſie auch in ſein inneres Leben hinein, und
läßt in ihm neben der Tiefe der ſpeciellen Auffaſſung die Beſchränkung
der allgemeinen Entwicklung entſtehen. Die Macht der ſpeciellen Be-
rufsbildung iſt eine gewaltige für alles, was der Einzelne lernt oder
zu verſtehen hat. Sie biegt gleichſam alles Wiſſen und Denken wie
mit ſtarker Hand zuſammen, und wendet es auf einen und denſelben
Punkt; ſie läßt durch die Mühe die ſie koſtet, durch die Höhe die ſie
im Einzelnen erreicht, durch den praktiſchen Werth den ſie beſitzt, jede
andere Bildungsart als minder bedeutend erſcheinen; ſie macht den Men-
ſchen einſeitig, und gefährdet das Höchſte der geiſtigen Welt, indem ſie
das beſchränkte Genügen im beſondern an die Stelle des Strebens nach
der Geſammtanſchauung des menſchlichen Lebens ſetzt, und damit ſogar
die Keime der Mißachtung der einen Bildungsform gegenüber der andern
begründet. Das iſt die Gefahr der ſyſtematiſchen Entwicklung des
eigentlichen Berufsbildungsweſens.
Aus dieſer Gefahr rettet nun die Wiſſenſchaft. Es iſt natürlich
hier nicht der Ort, von dem Weſen der reinen Wiſſenſchaft zu reden.
Das, warum es ſich für uns allein handeln darf, iſt die Funktion
derſelben eben in Beziehung auf jene Auflöſung der höhern Berufs-
bildung in geſchiedene, gegen einander gleichgültige, ja feindliche Fach-
bildungen, die durch die objektive und zuletzt auch ſubjektive Beſchrän-
kung am Ende zur Erſtarrung des geſammten geiſtigen Lebens führen
muß. Das Weſen derſelben beſteht darin, nicht bloß den innern Zu-
ſammenhang aller geiſtigen Güter und Arbeiten zu erkennen, ſondern
auch die gewaltige Thatſache feſtzuhalten und nachzuweiſen, daß zuletzt
doch nur eben in dieſem Zuſammenhange die wahre Erfüllung des Ein-
zelnen, die Möglichkeit der höchſten Entwicklung jedes Theiles liege.
Sie erreicht dieß Ziel auf zweifachem Wege. Sie hält zuerſt die hiſto-
riſche Entwicklung des Menſchengeſchlechts im Ganzen und die der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/185>, abgerufen am 27.11.2024.
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