Es ist nicht thunlich, das Berufsbildungswesen Europas in seinem ungeheuren Umfang, seiner Vielgestaltigkeit und seiner Unklarheit dar- zustellen und durch ein festes System den einzig möglichen Ausgangs- punkt für eine vergleichende Auffassung zu gewinnen, wenn man sich nicht über die Grundbegriffe und über die Bedeutung der Worte einigt, welche man für jede Darstellung und Vergleichung auf diesem zwar statistisch wohlbekannten, systematisch aber ganz unbearbeiteten Felde gebraucht. Wir müssen daher auch hier, um zu einem festen Resultat zu gelangen, einen allgemeinen Theil dem besondern voraussenden; denn bei aller Verschiedenheit im Einzelnen ist das Volksschulwesen den- noch seiner Natur nach in allen Ländern gleichartig und leichtverständ- lich; das Berufsbildungswesen dagegen ist in Umfang, Gestalt, Namen und Entwicklung so sehr verschieden, daß eine gemeinschaftliche Auffassung aller jener Verhältnisse ohne völlige Klarheit über seine Grundbegriffe und ohne jene Einigung über Sinn und Umfang der Wörter nicht erzielt werden kann.
Wir werden daher in dem folgenden allgemeinen Theil zunächst den Begriff des Berufs und das System des Berufsbildungswesens an sich darlegen und dann das Berufsbildungsrecht als die selbständig zu betrachtende Thätigkeit der Verwaltung für das erstere auf seine allge- meinen Principien zurückführen. Erst dann wird es möglich sein, auch hier von den Elementen der Geschichte des letzteren zu reden, die uns bis zur Gegenwart führen. Die letztere bildet dann in ihrer Darstellung den besondern Theil. Und hier kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das positive Recht des deutschen Berufsbildungswesens so hoch über allem ähnlichen steht, daß wir das deutsche System zugleich als das allgemeine Rechtssystem der Berufsbildung aufstellen und die französischen und englischen Verhältnisse als unvollständige Nachbildungen desselben daran anschließen können.
Zweiter Theil. Das Berufsbildungsweſen.
Es iſt nicht thunlich, das Berufsbildungsweſen Europas in ſeinem ungeheuren Umfang, ſeiner Vielgeſtaltigkeit und ſeiner Unklarheit dar- zuſtellen und durch ein feſtes Syſtem den einzig möglichen Ausgangs- punkt für eine vergleichende Auffaſſung zu gewinnen, wenn man ſich nicht über die Grundbegriffe und über die Bedeutung der Worte einigt, welche man für jede Darſtellung und Vergleichung auf dieſem zwar ſtatiſtiſch wohlbekannten, ſyſtematiſch aber ganz unbearbeiteten Felde gebraucht. Wir müſſen daher auch hier, um zu einem feſten Reſultat zu gelangen, einen allgemeinen Theil dem beſondern vorausſenden; denn bei aller Verſchiedenheit im Einzelnen iſt das Volksſchulweſen den- noch ſeiner Natur nach in allen Ländern gleichartig und leichtverſtänd- lich; das Berufsbildungsweſen dagegen iſt in Umfang, Geſtalt, Namen und Entwicklung ſo ſehr verſchieden, daß eine gemeinſchaftliche Auffaſſung aller jener Verhältniſſe ohne völlige Klarheit über ſeine Grundbegriffe und ohne jene Einigung über Sinn und Umfang der Wörter nicht erzielt werden kann.
Wir werden daher in dem folgenden allgemeinen Theil zunächſt den Begriff des Berufs und das Syſtem des Berufsbildungsweſens an ſich darlegen und dann das Berufsbildungsrecht als die ſelbſtändig zu betrachtende Thätigkeit der Verwaltung für das erſtere auf ſeine allge- meinen Principien zurückführen. Erſt dann wird es möglich ſein, auch hier von den Elementen der Geſchichte des letzteren zu reden, die uns bis zur Gegenwart führen. Die letztere bildet dann in ihrer Darſtellung den beſondern Theil. Und hier kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das poſitive Recht des deutſchen Berufsbildungsweſens ſo hoch über allem ähnlichen ſteht, daß wir das deutſche Syſtem zugleich als das allgemeine Rechtsſyſtem der Berufsbildung aufſtellen und die franzöſiſchen und engliſchen Verhältniſſe als unvollſtändige Nachbildungen deſſelben daran anſchließen können.
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[[148]/0176]
Zweiter Theil.
Das Berufsbildungsweſen.
Es iſt nicht thunlich, das Berufsbildungsweſen Europas in ſeinem
ungeheuren Umfang, ſeiner Vielgeſtaltigkeit und ſeiner Unklarheit dar-
zuſtellen und durch ein feſtes Syſtem den einzig möglichen Ausgangs-
punkt für eine vergleichende Auffaſſung zu gewinnen, wenn man ſich
nicht über die Grundbegriffe und über die Bedeutung der Worte einigt,
welche man für jede Darſtellung und Vergleichung auf dieſem zwar
ſtatiſtiſch wohlbekannten, ſyſtematiſch aber ganz unbearbeiteten Felde
gebraucht. Wir müſſen daher auch hier, um zu einem feſten Reſultat
zu gelangen, einen allgemeinen Theil dem beſondern vorausſenden;
denn bei aller Verſchiedenheit im Einzelnen iſt das Volksſchulweſen den-
noch ſeiner Natur nach in allen Ländern gleichartig und leichtverſtänd-
lich; das Berufsbildungsweſen dagegen iſt in Umfang, Geſtalt, Namen
und Entwicklung ſo ſehr verſchieden, daß eine gemeinſchaftliche Auffaſſung
aller jener Verhältniſſe ohne völlige Klarheit über ſeine Grundbegriffe
und ohne jene Einigung über Sinn und Umfang der Wörter nicht
erzielt werden kann.
Wir werden daher in dem folgenden allgemeinen Theil zunächſt
den Begriff des Berufs und das Syſtem des Berufsbildungsweſens an
ſich darlegen und dann das Berufsbildungsrecht als die ſelbſtändig zu
betrachtende Thätigkeit der Verwaltung für das erſtere auf ſeine allge-
meinen Principien zurückführen. Erſt dann wird es möglich ſein, auch
hier von den Elementen der Geſchichte des letzteren zu reden, die uns
bis zur Gegenwart führen. Die letztere bildet dann in ihrer Darſtellung
den beſondern Theil. Und hier kann es keinem Zweifel unterliegen,
daß das poſitive Recht des deutſchen Berufsbildungsweſens ſo hoch über
allem ähnlichen ſteht, daß wir das deutſche Syſtem zugleich als das
allgemeine Rechtsſyſtem der Berufsbildung aufſtellen und die franzöſiſchen
und engliſchen Verhältniſſe als unvollſtändige Nachbildungen deſſelben
daran anſchließen können.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. [148]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/176>, abgerufen am 22.12.2024.
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