der Statistik dieses Gebietes mit der Staatenkunde überhaupt ge- schehen kann, dafür gibt Brachelli uns ein hochachtungswerthes Beispiel. Nur wenn wir uns die Arbeit theilen, werden wir des fast übermächtigen Stoffes Herr werden. Und wir nun glauben unsrerseits, daß dieß dadurch geschehen wird, daß die Statistik sich an das System der Wissenschaft anschließt -- denn diese soll das organische Wesen, jene die äußeren Grenzen der lebendigen That- sachen geben. Können daher beide ein verschiedenes System haben?
Wir können nicht schließen, ohne einer Arbeit zu erwähnen, die wir nicht mehr haben benützen können. Wir meinen A. Beer und F. Hochegger: "Die Fortschritte des Unterrichtswesens in den Kulturstaaten Europa's" 1867. Erster Band. Die Arbeit scheint zunächst aus einer Reihe von Journalartikeln entstanden zu sein und behält diesen Charakter auch in ihrer gegenwärtigen Form. Wenn man einen systematischen Gedanken über das Bildungswesen mitbringt, ist vieles in diesem Werke recht gut zu benutzen. Auf Vollständigkeit macht es wohl selbst weder für Frankreich noch für Oesterreich einen Anspruch. Die Literatur ist, wie es scheint, grund- sätzlich nicht berücksichtigt; ebensowenig ist die pragmatische Geschichte der Gesetzgebung gegeben. Was namentlich Frankreich betrifft, so ist die eigentliche Bedeutung der Gesetze von 1833 und 1850 und 1852 kaum recht verstanden, das System Duruy weit überschätzt; die Zusammenstellung des College de France mit der "Universität" (namentlich S. 63) läßt einigen Zweifel darüber entstehen, ob das Wesen der letzteren überhaupt richtig erfaßt ist; die Behauptung, daß die Ecole polytechnique an der Spitze des technischen Stu- dienwesens stehe, ist uns unbegreiflich geblieben. Was Oesterreich betrifft, so ist Fickers Abhandlung bei Schmid an exactem Mate- rial weit reicher, wird aber gar nicht angeführt; auch auf Hel- fert wird keine weitere Rücksicht genommen. Wie es möglich war, in einer wissenschaftlichen, für das ganze deutsche Publikum be- stimmten Arbeit die lokale und höchst unfertige Kategorie der sog. "Mittelschule," bei der man sich stets zu viel oder zu wenig denken muß, beizubehalten, ist uns unverständlich geblieben. Das Werk
der Statiſtik dieſes Gebietes mit der Staatenkunde überhaupt ge- ſchehen kann, dafür gibt Brachelli uns ein hochachtungswerthes Beiſpiel. Nur wenn wir uns die Arbeit theilen, werden wir des faſt übermächtigen Stoffes Herr werden. Und wir nun glauben unſrerſeits, daß dieß dadurch geſchehen wird, daß die Statiſtik ſich an das Syſtem der Wiſſenſchaft anſchließt — denn dieſe ſoll das organiſche Weſen, jene die äußeren Grenzen der lebendigen That- ſachen geben. Können daher beide ein verſchiedenes Syſtem haben?
Wir können nicht ſchließen, ohne einer Arbeit zu erwähnen, die wir nicht mehr haben benützen können. Wir meinen A. Beer und F. Hochegger: „Die Fortſchritte des Unterrichtsweſens in den Kulturſtaaten Europa’s“ 1867. Erſter Band. Die Arbeit ſcheint zunächſt aus einer Reihe von Journalartikeln entſtanden zu ſein und behält dieſen Charakter auch in ihrer gegenwärtigen Form. Wenn man einen ſyſtematiſchen Gedanken über das Bildungsweſen mitbringt, iſt vieles in dieſem Werke recht gut zu benutzen. Auf Vollſtändigkeit macht es wohl ſelbſt weder für Frankreich noch für Oeſterreich einen Anſpruch. Die Literatur iſt, wie es ſcheint, grund- ſätzlich nicht berückſichtigt; ebenſowenig iſt die pragmatiſche Geſchichte der Geſetzgebung gegeben. Was namentlich Frankreich betrifft, ſo iſt die eigentliche Bedeutung der Geſetze von 1833 und 1850 und 1852 kaum recht verſtanden, das Syſtem Duruy weit überſchätzt; die Zuſammenſtellung des Collège de France mit der „Univerſität“ (namentlich S. 63) läßt einigen Zweifel darüber entſtehen, ob das Weſen der letzteren überhaupt richtig erfaßt iſt; die Behauptung, daß die École polytechnique an der Spitze des techniſchen Stu- dienweſens ſtehe, iſt uns unbegreiflich geblieben. Was Oeſterreich betrifft, ſo iſt Fickers Abhandlung bei Schmid an exactem Mate- rial weit reicher, wird aber gar nicht angeführt; auch auf Hel- fert wird keine weitere Rückſicht genommen. Wie es möglich war, in einer wiſſenſchaftlichen, für das ganze deutſche Publikum be- ſtimmten Arbeit die lokale und höchſt unfertige Kategorie der ſog. „Mittelſchule,“ bei der man ſich ſtets zu viel oder zu wenig denken muß, beizubehalten, iſt uns unverſtändlich geblieben. Das Werk
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[IX/0015]
der Statiſtik dieſes Gebietes mit der Staatenkunde überhaupt ge-
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Beiſpiel. Nur wenn wir uns die Arbeit theilen, werden wir des
faſt übermächtigen Stoffes Herr werden. Und wir nun glauben
unſrerſeits, daß dieß dadurch geſchehen wird, daß die Statiſtik ſich
an das Syſtem der Wiſſenſchaft anſchließt — denn dieſe ſoll das
organiſche Weſen, jene die äußeren Grenzen der lebendigen That-
ſachen geben. Können daher beide ein verſchiedenes Syſtem
haben?
Wir können nicht ſchließen, ohne einer Arbeit zu erwähnen,
die wir nicht mehr haben benützen können. Wir meinen A. Beer
und F. Hochegger: „Die Fortſchritte des Unterrichtsweſens in
den Kulturſtaaten Europa’s“ 1867. Erſter Band. Die Arbeit ſcheint
zunächſt aus einer Reihe von Journalartikeln entſtanden zu ſein
und behält dieſen Charakter auch in ihrer gegenwärtigen Form.
Wenn man einen ſyſtematiſchen Gedanken über das Bildungsweſen
mitbringt, iſt vieles in dieſem Werke recht gut zu benutzen. Auf
Vollſtändigkeit macht es wohl ſelbſt weder für Frankreich noch für
Oeſterreich einen Anſpruch. Die Literatur iſt, wie es ſcheint, grund-
ſätzlich nicht berückſichtigt; ebenſowenig iſt die pragmatiſche Geſchichte
der Geſetzgebung gegeben. Was namentlich Frankreich betrifft, ſo
iſt die eigentliche Bedeutung der Geſetze von 1833 und 1850 und
1852 kaum recht verſtanden, das Syſtem Duruy weit überſchätzt;
die Zuſammenſtellung des Collège de France mit der „Univerſität“
(namentlich S. 63) läßt einigen Zweifel darüber entſtehen, ob das
Weſen der letzteren überhaupt richtig erfaßt iſt; die Behauptung,
daß die École polytechnique an der Spitze des techniſchen Stu-
dienweſens ſtehe, iſt uns unbegreiflich geblieben. Was Oeſterreich
betrifft, ſo iſt Fickers Abhandlung bei Schmid an exactem Mate-
rial weit reicher, wird aber gar nicht angeführt; auch auf Hel-
fert wird keine weitere Rückſicht genommen. Wie es möglich war,
in einer wiſſenſchaftlichen, für das ganze deutſche Publikum be-
ſtimmten Arbeit die lokale und höchſt unfertige Kategorie der ſog.
„Mittelſchule,“ bei der man ſich ſtets zu viel oder zu wenig denken
muß, beizubehalten, iſt uns unverſtändlich geblieben. Das Werk
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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